Vatikan plant Reform des kirchlichen Strafrechts zu Sexualdelikten
Der Vatikan plant eine Reform des kirchlichen Strafrechts, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder besser fassen zu können. Die Bischofskonferenz von England und Wales veröffentlichte Mitte Mai einen Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden Kardinal Vincent Nichols und dem Präsidenten des Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte, Erzbischof Filippo Iannone, zu der Bitte der Bischofskonferenz, künftig Missbrauch nicht als Verstoß gegen das sechste Gebot, sondern als Straftat gegenüber Minderjährigen im Kirchenrecht zu behandeln. Der Briefwechsel war erst jetzt bekannt geworden.
In dem auf den 19. April datierten Brief des Rates teilt Iannone mit, dass das Anliegen bei der derzeit stattfindenden Überarbeitung der Strafbestimmungen in der Kirche bereits berücksichtigt werde. Im überarbeiteten Buch VI des Codex Iuris Canonici (CIC), das das kirchliche Strafrecht regelt, werden demnach Verbrechen zulasten Minderjähriger künftig nicht mehr unter die Verstöße gegen den Zölibat gefasst. "Der überarbeitete Titel wird 'Verbrechen gegen das Leben, die Würde und die Freiheit von Menschen' lauten und wird einen eigenen Kanon enthalten, der sich speziell mit Verbrechen zulasten von Minderjährigen befasst", so Iannone.
Der Vorstoß zu einer Reform des kirchlichen Strafrechts steht im Kontext des im November 2020 veröffentlichten Berichts der Regierungskommission zur Untersuchung von sexuellem Kindesmissbrauch (IICSA-Report). Der Bericht empfahl den Bischöfen, den Heiligen Stuhl um eine Änderung des can. 1395 CIC zu ersuchen. Darin wird derzeit der Umgang mit Klerikern geregelt, die sich "gegen das sechste Gebot des Dekalogs verfehlt" haben. Die Bischofskonferenz hat dieser Empfehlung Folge geleistet und in einem auf den 15. März datierten Brief des Vorsitzenden den Päpstlichen Rat für die Gesetze gebeten, den entsprechenden Kanon umfassend zu überarbeiten, Delikte zulasten von Minderjährigen und Schutzbefohlenen in einer eigenen Norm zu behandeln und auf die Formulierung "gegen das sechste Gebot" zu verzichten.
Unklarer Rechtsbegriff "gegen das sechste Gebot"
Die im vergangenen Jahr vom Vatikan im "Vademecum zu einigen Fragen in den Verfahren zur Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker" zu findende beispielhafte Aufzählung von Verbrechen "gegen das sechste Gebot" sei gegenüber der jetzigen Formulierung zu bevorzugen, da sie klarer und auch außerhalb der Kirche verständlicher sei. Im Vademecum werden als strafbare Handlungen gegenüber Minderjährigen "sexuelle Beziehungen (einvernehmlich oder nicht einvernehmlich), physischer Kontakt mit sexuellem Hintergrund, Exhibitionismus, Masturbation, Herstellung von Pornografie, Verleitung zu Prostitution, Gespräche und/oder Angebote sexueller Art, auch über Kommunikationsmittel" genannt.
Das nach katholischer Zählung sechste Gebot lautet "Du sollst nicht die Ehe brechen." (Ex 20,14|Dtn 5,18). Im Kirchenrecht wird der Verweis auf Verstöße gegen das sechste Verbot vor allem seit Einführung des CIC von 1917 verwendet, der Verweis auf das sechste Gebot im Kontext von Verstößen gegen die Sexualmoral jedoch schon seit der Zeit der frühen Kirche verwendet. Die Verwendung in der Rechtssprache der Kirche habe zwar eine gewisse Tradition in der Kirche in Bezug auf Sexualdelikte, heißt es in dem Brief des Kardinals, diese Tradition sei aber nicht zwingend und ohne Parallele im Kirchenrecht der unierten Ostkirchen. Außerdem sei die weitere Verwendung als Rechtsbegriff problematisch, da auch das Kirchenrecht ein Bestimmtheitsgebot im Strafrecht kennt und daher eine enge Auslegung von Rechtsbegriffen fordert. Das Kirchenrecht verlange "so wenig Zweideutigkeit wie möglich, und der Begriff 'contra sextum' wird dieser Forderung nicht gerecht", so Nichols. (fxn)