Gottes Allmacht und das Leid der Welt – wie passt das zusammen?
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Die Frage respektive die Spannung ist nicht neu: Christen glauben an einen guten und allmächtigen Gott und müssen gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass die Nachrichten jeden Tag voll sind von Berichten über vielfaches menschliches Leid – auch und gerade in Zeiten von Corona. Da ich nicht mehr selbst unterrichte, weiß ich nicht, ob Schülerinnen und Schüler im Jahre 2021 die Theodizeefrage und die Folgen der derzeitigen Pandemie miteinander in Verbindung bringen, für ausgeschlossen halte ich es aber nicht.
Die Frage nach Gott und dem Leid bleibt in jedem Fall, wenn auch möglicherweise eher für an Gott Zweifelnde. Distanzierte hingegen bringen Gott und das Leid nicht miteinander in Verbindung; Glaubende haben eher die Stärkung ihres Glaubens im Blick.
In meinem Religionsunterricht habe ich im Rahmen grundsätzlicher Erfahrungen, auf die Bibel und Theologie versuchen, eine Antwort zu geben, meinen Schülerinnen und Schülern zunächst Gedankenexperimente angeboten. Auf diesem Weg beschäftigten wir uns mit der Güte Gottes ("Wenn Gott das Böse aufheben kann, aber nicht will..."), der Allmacht Gottes ("Wenn Gott das Böse aufheben will, aber nicht kann...") und dem Aspekt der Freiheit des Menschen ("Wenn Gott das Böse aufheben kann und will: Woher kommt das Böse?" Oder: Der Preis der Freiheit) – immer verbunden mit einem Identifikationsangebot.
Kern des Unterrichts war jedoch immer das Buch Hiob und die darin enthaltenen menschlichen Grunderfahrungen, die ich mit meinen Schülerinnen und Schülern ganz im Sinne der Korrelationsdidaktik aufgedeckt habe. Eine zentrale Frage gleich am Anfang lautet: Warum geht es Menschen, die verantwortungsvoll als Gläubige leben, manchmal schlechter als Menschen, von denen wir vermuten oder wissen, dass sie ihr Leben nicht so tadellos gestalten? Meinen Schülerinnen und Schülern fiel es jedenfalls nicht schwer, sich in Hiob hineinzuversetzen im Sinne von: Ich bemühe mich doch so – ich mache doch alles richtig. Warum passiert mir gerade dieses und jenes, warum habe ich so ein Pech?
Anschließend war dann zunächst die Kreativität der Jugendlichen gefragt als es darum ging, wie man einem Leidenden begegnet. Es fielen Äußerungen wie zum Beispiel: Jetzt stell dich nicht so an. Keiner bekommt im Leben etwas geschenkt. Selber schuld. Wer weiß, wofür das gut ist. Und dann gibt es auch noch die guten Ratschläge der Freunde Hiobs, die es ja in ähnlicher Form auch heute noch gibt: Alles scheinst du ja wohl doch nicht richtig gemacht zu haben. Es geht dir besser, wenn du das einsiehst. Letztlich kannst du auch im Leid wachsen. Schau doch mal, wie vielen Menschen es noch viel schlechter geht.
Auch Hiobs Klagen bot den Schülerinnen und Schülern eine Reihe von Anknüpfungspunkten. Unter der Rubrik falsches Klagen ging es einerseits um Verdrängung von Trauer und Wut und um Isolation und andererseits um ein sich Hineinsteigern in den Schmerz und das Überstrapazieren von Freunden. Beides kann zu Verbitterung und Unversöhnlichkeit führen. Dem entgegen steht ein Klagen, das zur Einsicht in die Grenzen des Machbaren führt und damit hilft, Leid zu bewältigen und neuen Mut zu fassen.
Klage, Bitte, Lob und Preis: Dimensionen des Betens
An dieser Stelle lohnt es sich wieder auf Hiob zu schauen, der im Dialog mit seinem Gott die Erfahrung macht, dass dieser Gott letztendlich Leben möglich macht und Hoffnung vermittelt. Auch ist es hilfreich, einen Gedanken von Hans Küng ins Spiel zu bringen, der sinngemäß einmal gesagt hat, dass auch er keine Antwort auf die Frage habe, warum es trotz eines guten und allmächtigen Gottes so viel Leid in der Welt gebe, aber dass er das Leid nur auf Basis seines Glaubens aushalten könne.
Mit dieser Aussage korrespondieren Erfahrungen aus meinem Unterricht. Ausgehend von der Aussage Jesu am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen." ging es um Phasen des Sterbens im Leben eines Menschen. Meine Schülerinnen und Schüler waren sehr beeindruckt von Bildern aus einem Hospiz, die ein 45-jähriger Mann in den zehn Wochen vor seinem Tod gemalt hat – das letzte zwei Stunden vorher – und die den Weg des Sterbens spiegeln. Überraschend war für die Jugendlichen dann die Erkenntnis, dass "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen." Teil eines Psalms ist, der sowohl Klage als auch Bitte um Beistand sowie Lob und Preis enthält und somit mit dem Ende des Hiobbuches korrespondiert. Für Juden zur Zeit des Neuen Testamentes war es ganz selbstverständlich all dies mitzudenken.
Auf diese Weise diente mein Religionsunterricht der Erweiterung des Horizonts. Meine Hoffnung ist, dass sich meine Schülerinnen und Schüler in schwierigen Situationen in ihrem Leben an den einen oder anderen Gedanken im Sinne eines Identifikationsangebots erinnern.