Augsburger Oberhirte seit einem Jahr im Amt

Bischof Meier: Werde meinen Dienst nicht fehlerlos ausüben können

Veröffentlicht am 04.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Augsburg ‐ Am Sonntag jährt sich die Bischofsweihe von Bertram Meier zum ersten Mal. Im Interview mit katholisch.de bilanziert der Augsburger Oberhirte ein erstes Amtsjahr unter besonderen Umständen. Außerdem spricht er über den Zustand der Ökumene, den Synodalen Weg – und den Umgang in der Kirche mit Fehlern.

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Es ist ein spezielles erstes Amtsjahr, das der Augsburger Bischof Bertram Meier erlebt hat. Wie am Tag seiner Weihe, dem 6. Juni 2020, gibt es nach wie vor Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die auch die Kirche beeinträchtigen. Dennoch hat Meier, der aus dem Bistum Augsburg stammt und diesem bereits vor seiner Ernennung zum Bischof in verschiedenen Funktionen gedient hatte, schon einige Weichen gestellt. Wo die Schwerpunkte seines Handelns liegen und wie er auf die aktuellen kirchlichen Debatten blickt, erläutert der Bischof im Interview.

Frage: Herr Bischof, nicht nur Ihre Weihe vor einem Jahr, sondern Ihr gesamtes erstes Amtsjahr stand unter dem Zeichen der Corona-Pandemie. Wie sieht in Anbetracht dieser Umstände Ihr persönliches Zwischen-Resümee aus?

Meier: Einerseits hat mich die Pandemie ausgebremst, andererseits konnte ich innovativ sein. Da es bis jetzt keine großen Formate für präsentische Gottesdienste und Veranstaltungen gibt, verwende ich bis heute viel Zeit darauf, Menschen einzeln oder in kleinen Gruppen zu treffen. Solche Gespräche sind Gold wert. Sie laufen oft sehr persönlich ab, wir lernen einander besser verstehen und können die Themen sorgsam abwägen. Bei aller Fachkompetenz der meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist Vertrauen wichtig, und das wächst vor allem im persönlichen Kontakt. Ansonsten bin ich natürlich auch viel digital unterwegs. Doch auf Dauer wünsche ich mir, dass die virtuellen Formate nicht zur Regel werden. Denn Kirche ist für mich keine Firma, sondern eine lebendige Realgemeinschaft.

Frage: Für Aufsehen hat Ihre Covid-19-Impfung im Februar gesorgt, für die Ihnen Impfdrängelei vorgeworfen wurde. Wie blicken Sie nun mit etwas zeitlichem Abstand darauf?

Meier: Aus der Distanz betrachtet muss ich sagen: Der Wirbel ist wohl mit dadurch entstanden, dass in der Anfangszeit, als die ersten Impfstoffe auf den Markt kamen, in Teilen der Bevölkerung durchaus noch Impfskepsis herrschte. Beinahe wöchentlich änderten sich Einschätzung und Bewertung der Impfpraxis. Jedenfalls habe ich im Hinblick auf das Impfen zu wenig reflektiert. Ich hätte mich besser beraten lassen sollen. Auf keinen Fall wollte ich Menschen den Impfstoff "wegschnappen". Ich bleibe dabei, was ich am Aschermittwoch sagte: Ich habe einen Fehler gemacht und es tut mir leid. Allerdings ist niemand vor Fehlern gefeit. Ich werde meinen bischöflichen Dienst nicht fehlerlos ausüben können. Auch in Zukunft werde ich Fehler machen. Gerade als Seelsorger wünsche ich mir, dass wir innerhalb der Kirche, aber auch in der Öffentlichkeit sensibler im Umgang mit Fehlern und Schwächen werden: Neben der Gerechtigkeit, die auch Urteil und Strafe einschließen kann, braucht es eine Kultur der Barmherzigkeit. Dafür trete ich ein.

Weihe und Amtseinführung von Bertram Meier
Bild: ©KNA/dpa/Pool/Karl-Josef Hildenbrand (Archivbild)

6. Juni 2020: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx (l.) spendet Bertram Meier die Bischofsweihe. Als Zeichen für das Hirtenamt, das Meier als Bischof ausführt, überreicht er dem neuen Augsburger Oberhirten den Bischofsstab.

Frage: Kurz vor Ihrer Weihe haben Sie in einem Interview gesagt, manchen Menschen müssen Sie als Bischof vermutlich wehtun. Haben Sie schon jemandem wehgetan?

Meier: Das müssen Sie die Menschen fragen, für die vor allem bei Personalentscheidungen berufliche Wechsel und persönliche Veränderungen angesagt waren und sind. Doch mir geht es bei Weichenstellungen nicht darum, Leute "abzusetzen" oder aufs Abstellgleis zu schieben. Weil mir die Menschen am Herzen liegen, möchte ich, dass möglichst viele die Stelle bekleiden, die zu ihnen passt und der Sache dient, nicht zuletzt bei Priestern, die ja meine "Brüder" sind. Zugleich will ich natürlich inhaltlich auch manches anders gewichten und im Bistum Augsburg mit eigener Handschrift einige Akzente setzen. Kurz gesagt: Vorsätzlich will ich niemandem wehtun, aber dass eine Veränderung, die ins persönliche Leben eingreift, durchaus als Verletzung empfunden wird, schließe ich nicht aus. Ich hoffe, dass dies mit zeitlichem Abstand heilt. Und ein Orts- oder Stellenwechsel ist ja auch eine geistliche Herausforderung, an der wir wachsen können.

Frage: Auch das diözesane Institut für Neuevangelisierung haben Sie personell und strukturell neu aufgestellt. Welchen Weg wollen Sie in diesem Bereich einschlagen?

Meier: Das Evangelium den Menschen von heute anbieten und ihm die persönliche Stimme geben, nicht nur durch das Wort, sondern durch glaubwürdiges Zeugnis: Das zählt zu meinen großen Anliegen. Dafür trete ich als Bischof an. Deshalb habe ich ja das bisherige Institut für Neuevangeliserung, von meinem Vorgänger Bischof Zdarsa gegründet und von den Verantwortlichen der ersten Stunde maßgeblich geprägt, nicht eingestampft. Im Gegenteil: Ich werte diesen zentralen Bereich insofern auf, dass aus dem Institut eine eigene Abteilung im Organigramm des Ordinariats wird, die sich der Evangelisierung widmet. Der neue Leiter wird ein erfahrener Pfarrer sein, um neben der Katechese auch das sakramentale Leben stark zu machen. Außerdem sehe ich im caritativen Engagement bei der Evangelisierung noch etwas Luft nach oben. Auf den Punkt gebracht: Evangelisierung ist eine Querschnittsaufgabe, die uns alle betrifft. Besonders die Jugend- und Berufungspastoral sind hier mit angefragt. Und als Bischof sehe ich mich selbst bei der Evangelisierung in der ersten Reihe. Wenn ich das Bistum bereise, tue ich ja nichts anderes, als den Menschen die Frohe Botschaft vorzustellen und anzubieten.

Frage: Ein zentrales Thema für Sie ist auch die Ökumene – als Sohn eines konfessionsverbindenden Elternpaares allein schon biografisch. Hinsichtlich der Frage nach dem gemeinsamen Abendmahl gab es im Herbst eine Stellungahme der Glaubenskongregation, die von vielen als enormer Rückschlag aufgefasst wurde. Wie weit ist der Weg noch bis zur Mahlgemeinschaft?

Meier: Die Wortmeldung der Glaubenskongregation, die sich übrigens mit der Position des Päpstlichen Einheitsrates deckt, ist kein Rückschritt, sondern eine Feststellung des derzeitigen Sachstandes. Es gilt die Faustregel, dass ich dort zur Kommunion beziehungsweise zum Abendmahl gehe, wo ich kirchlich dazu gehöre. Gleichzeitig kann es Einzelfälle geben, in denen bei einem sogenannten "schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis" beziehungsweise in "schwerer geistlicher Not" auch Ausnahmen gestattet sind. Darauf hat bereits 2003 der heilige Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia" hingewiesen. Genauso wenig wie also eine offene wechselseitige Einladung zur Eucharistie beziehungsweise zum Abendmahl angezeigt ist, genauso wenig werden wir diejenigen ausladen, die zum Tisch des Herrn herantreten. Dieses Prinzip habe ich in meiner Diözese in einem eigenen Brief an die Pfarrer und die Pfarrgemeinderäte entfaltet, als Grundlage für die Gestaltung von "ökumenisch sensiblen" Gottesdiensten beim vorwiegend digitalen Ökumenischen Kirchentag. Bis der Moment für eine wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft gekommen ist, werden wir noch Geduld und Ausdauer brauchen, am Thema ehrlich dranzubleiben.

Frage: Wie schätzen Sie das ökumenische Miteinander in Deutschland grundsätzlich ein?

Meier: Insgesamt sehr positiv. Wir hatten erst in Augsburg die ökumenische Eröffnung der "Woche für das Leben". Sowohl im spirituellen Bereich als auch mit unserem gemeinsamen Sprechen in die Gesellschaft hinein sind wir schon weit. Andere Länder bewundern und beneiden uns, weil uns dieser Schulterschluss unter den christlichen Kirchen gelingt. Etwas skeptisch schaue ich allerdings in die Zukunft. Denn im Hinblick auf ein Thema wie den "assistierten Suizid" nehme ich wahr, dass das gemeinsame Zeugnis bröckelt. Ich halte es für ein "Selbstmissverständnis", wenn die Kirchen meinen, am Ende des Lebens diesbezügliche Dienstleistungen anbieten zu sollen. Schon bei der Schwangerenberatung, also am Anfang des menschlichen Lebens, barg ja die Debatte um den Schein durchaus Konfliktpotential – innerkirchlich und ökumenisch. Das sollten wir mehr als 20 Jahre danach möglichst vermeiden. Denn wir Christen sind zwischenzeitlich zahlenmäßig weniger geworden und unsere Stimmen leiser…

„Mein erstes Jahr als Bischof hat mir gezeigt, dass es schwer ist, neben den vielen anderen Herausforderungen, die mit Administration und Organisation zu tun haben, die eigentliche Mission zu erfüllen: die Frohe Botschaft zu verkünden und Sakramente zu spenden – und das alles mitten im Leben, nah bei den Menschen, unter Corona-Einschränkungen.“

—  Zitat: Bischof Bertram Meier

Frage: Wenn man auf die katholische Kirche in Deutschland blickt, scheint es so, dass die Polarisierungen zwischen "Reformern" und "Bewahrern" immer stärker zutage treten. Welche Auswirkungen hat das auf die Debatten auf dem Synodalen Weg?

Meier: Es wäre schade, wenn wir uns auseinanderdividieren ließen. Wir müssen raus aus unserer eigenen "Blase" und rein in eine Haltung, die für offene Türen und ehrliches Gespräch steht. Uns alle drängt doch die Frage, wie wir die Kirche – auch angesichts des Missbrauchsskandals, der viele belastet – so erneuern können, dass wir wieder mehr Luft und Raum finden, das Evangelium den Menschen anzubieten. Mein erstes Jahr als Bischof hat mir gezeigt, dass es schwer ist, neben den vielen anderen Herausforderungen, die mit Administration und Organisation zu tun haben, die eigentliche Mission zu erfüllen: die Frohe Botschaft zu verkünden und Sakramente zu spenden – und das alles mitten im Leben, nah bei den Menschen, unter Corona-Einschränkungen. Wenn die Erneuerung der Kirche mehr sein soll als die Reform von Strukturen, dann müssen wir uns beim Projekt des Synodalen Weges selbst den Spiegel hinhalten und fragen: Bist du tatsächlich geistlich unterwegs? Willst du helfen, dass durch dich der Heilige Geist durchkommt? Oder stellst du vieles dazwischen – auch dich selber?

Frage: In anderen Teilen der Weltkirche scheint man mit Sorge auf die Debatten in Deutschland zu blicken. Auch aus dem Vatikan werden immer wieder entsprechende Stimmen laut, sogar von einem möglichen Schisma ist die Rede. Inwiefern können – und müssen – Sie mit Ihrer römischen Erfahrung da vermitteln?

Meier: Es gibt keinen besonderen "Rom-Beauftragten" der Bischofskonferenz. Jeder Bischof ist ja vom Papst ernannt und unmittelbar ihm zugeordnet. Dabei bringt sich jeder auch selbst ein mit seiner Biografie und seinen Fähigkeiten. Ausgehend von meiner Lebensgeschichte traue ich mir zu, dass ich intuitiv ein wenig erspüren kann, wie "Rom tickt". Diese Einschätzungen spreche ich auch immer wieder aus. Die Rede von einem drohenden Schisma halte ich für übertrieben. Wir sollten den Teufel nicht an die Wand malen, aber wir nehmen auch wahr, dass das Eis, die gemeinsame Basis, auf der wir uns gerade auch beim Synodalen Weg bewegen, dünn ist. Wir sollten alles vermeiden, um einzubrechen und im Strudel von Spannung und Streit zu ertrinken. Eine Kirche, die sich als Synode versteht, muss gut hinhören, einander zuhören und divergierende Meinungen dem Herrn hinhalten. Sein Heiliger Geist tut dann das Seine. Da bin ich mir sicher. Wir brauchen Hilfe "von oben".

Frage: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Nach Ihrer Ernennung im Januar des vergangenen Jahres haben Sie gesagt, Sie wollen als Bischof weiter als ganz normaler Mensch leben. Ist Ihnen das bislang gelungen?

Meier: Ich meine schon. Denn in meinem engsten Umfeld leben und arbeiten Menschen, denen ich vertrauen darf und die mich Mensch sein lassen. Bei allem Ernst der Dinge, die der Alltag bringt, lachen wir auch viel, wir setzen uns nicht nur für Besprechungen zusammen, sondern auch gesellig – natürlich mit Corona-Abstand – und wir beten! Das Bischofshaus soll ja bei aller Arbeit eine geistliche Atmosphäre auszeichnen. Übrigens habe ich auch das Glück, auf einige gute Freundinnen und Freunde zurückgreifen zu können, die weniger kirchlich unterwegs sind. Die schenken mir durchaus reinen Wein ein.

Von Matthias Altmann