Katholisches Büro: Kirche ist für AfD Teil des elitären Feindbilds
Am Sonntag wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Die AfD könnte nach jüngsten Umfragen zweitstärkste Kraft werden. Der Leiter des Katholischen Büros Sachsen-Anhalt, Stephan Rether, appelliert im Interview an die Bürgerinnen und Bürger, die Wahlentscheidung genau zu überdenken. Die AfD wolle "aus voller Überzeugung das demokratische System gegen die Wand fahren", warnte der landespolitische Vertreter der katholischen Kirche.
Frage: Herr Rether, am Sonntag wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Laut Umfragen könnte die AfD zweitstärkste Kraft werden, vielleicht sogar die meisten Stimmen erhalten. Wie erklären Sie sich diesen Zulauf - nicht nur, aber besonders auch im Osten? Hat der Ostbeauftragte der Bundesregierung Recht, wenn er den Ostdeutschen eine Neigung zu rechten Parteien attestiert, weil sie durch die DDR "diktatursozialisiert" seien?
Rether: Richtig ist, dass viele Ostdeutsche andere kollektive Lebenserfahrungen als Menschen in westlichen Bundesländern haben: Bis vor drei Jahrzehnten waren sie einer sozialistischen Diktatur unterworfen, während der Wiederaufbau und die 68er Bewegung die Westdeutschen geprägt hat. Das muss man sehen - aber nur auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben die Ostdeutschen die Wende organisiert. Sie haben sich vor gut drei Jahrzehnten aufgelehnt gegen dieses Diktatursystem. Sie haben Reisefreiheit, Bewegungsfreiheit, menschliche Achtung und Würde errungen. Das ist eine einzigartige kollektive Lebensleistung, die ihren Vergleich absolut sucht. Pauschale Äußerungen sind da wenig hilfreich.
Frage: Woher aber kommt der Zulauf zur AfD?
Rether: Es gibt Menschen - leider auch Katholiken - die ein anderes Werteverständnis haben. Die gibt es im Osten wie im Westen. Die gegenwärtige Situation ist geprägt von öffentlich geäußerten "Urinstinkten", nach dem Motto: "Ich fühle mich benachteiligt." Da werden die Ursachen bei "denen da oben" gesucht, bei den politischen Verantwortungsträgern der Legislative und Exekutive. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Politik den öffentlichen Diskurs in die Bevölkerung hinein weiter verstärkt.
Frage: Könnten Sie ein Beispiel geben?
Rether: Zum Beispiel die Corona-Politik der Bundesregierung. Wer in einem Dorf in der Altmark wohnt, hat zwar auch von Corona gehört, aber es ist da so infrastrukturschwach, dass teilweise die Regeln des harten Lockdowns kaum noch verstanden worden sind. Und wenn man einen instinktiven Widerwillen gegen diese Verordnung hat, kann das den Weg zu einer Protestentscheidung bereiten. Diese wiederum führt dann zu den politischen Extremen, bis hin zur kommunistischen Plattform oder dem völkischen Flügel der AfD.
Kirche und Politik
Arbeit und Aufgaben des katholischen Büros in Sachsen-Anhalt
Frage: Was kann man dagegen tun?
Rether: Man muss die Leute immer wieder bewegen, selbst zu reflektieren. Eine Wahlhandlung ist keine Abrechnung, sondern ein Mandat auf Zukunft, das erteilt wird. Wir alle müssen dafür eintreten, die Gemeinwohlstrukturen, die wir als Demokratie bezeichnen, weiter zu stärken. Das haben auch wir Kirchen erkannt. So macht die katholische Erwachsenenbildung etwa seit vielen Jahren Bildungsprojekte zum demokratischen Bewusstsein, insbesondere für Multiplikatoren und Verantwortungsträger, die vom Bundesinnenministerium gefördert werden.
Frage: Immer wieder wirft die AfD den Kirchen vor, dass sie "ihre ureigenste Aufgabe" - die Verkündigung der Frohen Botschaft - verfehle, wenn sie sich ständig in gesellschaftliche und politische Fragen einmische. Wie ist das Verhältnis der Kirchen zur AfD in Sachsen-Anhalt?
Rether: Die Kirche ist offensichtlich Teil des elitären Feindbilds der AfD. Der AfD-Landtagsabgeordnete Tillschneider hat 2017 einmal gesagt: "Der Austritt aus einer vom Christentum abgefallenen Kirche ist erste Christenpflicht." Das muss man kommunizieren, den Leuten sagen, darauf lasst ihr euch ein, wenn ihr AfD wählt. Grundsätzlich hat die katholische Soziallehre nichts mit den Positionen der AfD gemeinsam, die die aktuelle Asylpolitik als "größten Fehler der Geschichte" bezeichnet und für die Menschenrechte keine Rolle spielen. Dies zeigt auch eine Studie, die die Katholischen Länderbüros im Osten bereits 2017 in Auftrag gegeben haben.
Frage: Aber macht es Sinn, die AfD außen vor zu lassen? Sollte man sich nicht mit der Partei an einen Tisch setzen?
Rether: Wenn vor fünf Jahren 25 Prozent der Menschen AfD gewählt haben, dann gehört es zur demokratischen Fairness, das Ergebnis zu akzeptieren und ernst zu nehmen. Ein Ignorieren oder gar eine aktive Ächtung verbietet sich. Insofern habe ich immer die Pflicht zur protokollarischen Gleichbehandlung und auch passive Gesprächsbereitschaft, sehe aber aufgrund der Programmatik der AfD zur Zeit keine Veranlassung, aktiv auf sie zuzugehen.
Frage: Woran sollten sich die Wählerinnen und Wähler orientieren?
Rether: Trotz sehr schwieriger Bedingungen - Kenia-Koalition und Corona-Krise - hat die aktuelle Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren ganz vernünftig regiert. Das sind doch Aspekte, die einen daran hindern sollten, eine Partei zu wählen, die sich bisher vor allem mit sich selbst beschäftigt hat und damit, ein populistisches Schlagwort nach dem nächsten rauszuhauen. Ein Wahlslogan wie "Unser Geld für unser Volk" - eigentlich sollte man merken, dass das altes verführerisches Vokabular ist und keine Orientierungshilfe. Die Partei wird völlig zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet. Die wollen eindeutig aus voller Überzeugung dieses demokratische System gegen die Wand fahren. Orientierungshilfen sind - wie es auch die Bischöfe in ihrem Wahlaufruf sagen, gegenseitige Achtung und Toleranz, die Menschenwürde aller und Solidarität, aber auch die Freiheit zur Verwirklichung persönlicher Ziele.