Der Briefwechsel von Franziskus und Marx ist ein geistliches Lehrstück
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Im Englischen gibt es den "teachable moment", ein unvorhergesehenes und eigentlich störendes Ereignis, das durch einen geschickten Lehrer zu einer echten Bildungserfahrung werden kann. So etwas haben wir gerade in München und Rom erlebt.
Voraussetzung dafür war, dass die Beteiligten – der Kardinal und der Papst – für ihren Dialog bereitwillig das Licht der Öffentlichkeit akzeptiert haben. Oder besser gesagt: dass sie aus einem sehr persönlichen Briefwechsel eine spektakuläre Inszenierung gemacht haben. Dabei war Beiden persönliche Ernsthaftigkeit anzumerken, und genug vom echten Kardinal und vom wahren Papst, um das Ganze für ziemlich authentisch halten zu dürfen.
Die Antwort von Papst Franziskus kam sehr schnell und ist ungemein persönlich. Das fängt mit der Sprache an – er schreibt auf Spanisch, mit einer Wärme, die so gar nicht nach Sekretariatsprosa schmeckt. Inhaltlich geht der Papst ein auf die Spannung zwischen institutioneller und persönlicher Verantwortung, die ja schon im Rücktrittsschreiben des Kardinals zentral war. Franziskus spitzt das zu, und zwar auf sehr ignatianische Art: Auch aus der transpersonalen allgemein-kirchlichen Schuldgeschichte kann und soll ein ganz persönliches "Ich habe gesündigt" werden, ein "Heulen und Stammeln".
Indem der Papst bekräftigt, dass der Kardinal das alles so persönlich nehmen darf, korrigiert er noch einmal die deutsche Leidenschaft für Strukturreform, mit einer zurückhaltenden Anspielung auch auf die Reformation. Die echte Reform besteht darin, sich der Krise auszusetzen. Und zwar ganz persönlich, "im Fleisch". Von diesem Fleisch spricht er dreimal: "Fleisch auf den Grill" als Redewendung für persönlichen Einsatz, die Fleischlosigkeit von Reformideologen, und schließlich der Reformvollzug Jesu, der sein eigenes Fleisch ans Kreuz getragen hat. Das Bild ist theologisch tief.
Der Auftrag zum Weitermachen erinnert noch einmal an die ignatianischen Exerzitien. Da soll ja auch die gleiche Materie ein zweites und drittes Mal durchmeditiert werden. Und so endet der Brief mit einer Hausaufgabe, die dem Schreiben von Marx entnommen wurde und ihm nun gespiegelt wird: intensivere Seelsorge und Einsatz für die geistliche Erneuerung der Kirche – aber halt weiterhin in München.
Sind andere mitgemeint? Franziskus schreibt, dass jeder Bischof - und auch jeder Ordensobere, denke ich - die Realität der historischen Schuld "auf sich zu nehmen und sich zu fragen hat: Was muss ich im Angesicht dieser Katastrophe tun?" Wenn die Antwort heißt: ich habe immer alles richtig gemacht, dann reicht es wohl nicht.
Nicht jeder wird immer mit so viel Aufmerksamkeit und Verständnis des Papstes rechnen können. Aber das gestrige Schreiben ist ein Lehrstück dafür, wie geistliche Menschen miteinander umgehen können.