Missbrauchsbetroffe sieht Papst-Nein zu Marx-Rücktritt kritisch
Die Missbrauchsbetroffene Johanna Beck bemängelt das Nein des Papstes zum Rücktrittsgesuch des Münchner Kardinals Reinhard Marx. "In seinem Rücktrittsschreiben hat Kardinal Marx seine persönliche Mitverantwortung angesprochen, aber auch ganz klar institutionelles und systemisches Versagen benannt", sagte die Sprecherin des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz dem Kölner Online-Portal "domradio.de" am Freitag. Derartige Zeichen der Verantwortungsübernahme und des Systemversagens brauche es in der Kirche. "Diese Zeichenhaftigkeit wird jetzt durch den Papst fast schon durchkreuzt. Er sagt: Gut, dass wir darüber geredet haben, aber jetzt bitte weitermachen."
In Franziskus' Schreiben kämen die Missbrauchsbetroffenen nicht vor, kritisierte Beck. Stattdessen schreibe der Papst viel über "die Last der Vergangenheit". Andererseits spreche er ausdrücklich ein Hinsehen an. "Das ist immerhin schon mal ein guter Aufruf zu sagen: Nein, wir müssen wirklich grundlegend aufarbeiten und alles beleuchten."
Rörig: Wichtig, dass Marx sich weiterhin für Reformen einsetzt
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sieht in Kardinal Reinhard Marx "eine starke Kraft, um unabhängige Aufarbeitung in der katholischen Kirche umzusetzen". Es sei wichtig, dass sich Marx in seiner Funktion als Erzbischof von München und Freising weiter für Reformen einsetze, sagte Rörig am Freitagabend im Deutschlandfunk. Zudem müsse sich der Kardinal mit möglichen Pflichtverletzungen aus der Vergangenheit auseinandersetzen.
So wie Beck sieht auch der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller in der Ablehnung von Marx' Rücktrittsgesuch durch Papst Franziskus neue Schwierigkeiten im Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche. Für die Betroffenen sei das "ein Schlag ins Gesicht", sagte Schüller am Freitag. "Sie erkennen, dass sich das System gegen Verantwortung immunisiert."
Zugleich verweise das "ungemein schwierig" zu deutende Schreiben von Papst Franziskus darauf hin, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche Marx weiter in die Pflicht nehmen wolle, betonte Schüller. Der Papst habe Marx auch klar gemacht, dass er dessen Verantwortung nicht im Verzicht auf sein Amt sehe. Offenbar erwarte Franziskus, dass Marx die Reformen der katholischen Kirche in Deutschland voranbringe. Zudem sei der Erzbischof und Kardinal für den Papst offensichtlich unverzichtbar. Marx sei von seiner kirchenpolitischen Bedeutung her ein Schwergewicht, erklärte er.
Schüller schließt zweites Rücktrittsgesuch Marx' nicht aus
Schüller sieht den Erzbischof nun in einer schwierigen Situation. Marx habe während seiner Zeit in Trier "schwere Fehler" im Zusammenhang mit der Aufklärung von Missbrauchstaten begangen. Er war von 2002 bis 2008 Bischof in Deutschlands ältestem Bistum Trier. In München untersuchten Juristen zuletzt in Marx' eigenem Auftrag mögliches Fehlverhalten von kirchlichen Amtsträgern im Umgang mit Missbrauchsfällen. Die Veröffentlichung eines Gutachtens wird in den nächsten Monaten erwartet. Je nach Ergebnis schließt Schüller daher nicht aus, dass der Erzbischof erneut seinen Rücktritt einreicht.
Kardinal Marx hatte dem Papst in einem Brief seinen Rücktritt angeboten. Darin schrieb der Münchner Erzbischof: "Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten." Am Donnerstag hatte der Papst den Amtsverzicht des Münchner Erzbischofs abgelehnt. In einem am Donnerstag veröffentlichten dreiseitigen Brief an Marx erklärte Franziskus: "Das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising." (cbr/KNA/epd)