Unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Verantwortung von Bischöfen möglich

Strafrechtler Waßmer: Gercke-Report kein Gefälligkeitsgutachten

Veröffentlicht am 15.06.2021 um 12:10 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Das von Kardinal Woelki in Auftrag gegebene Missbrauchsgutachten wird von Juristen kontrovers diskutiert. Im Zentrum steht die Frage nach der Verantwortung des Bischofs – Strafrechtler Martin Waßmer sieht Raum für unterschiedliche Rechtsauffassungen.

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Der Kölner Strafrechtsprofessor Martin Waßmer sieht im Missbrauchsgutachten der Kanzlei Gercke und Wollschläger "ganz sicher nicht" ein Gefälligkeitsgutachten. Im Interview mit der Kölnischen Rundschau (Dienstag) sah er die Frage, ob Erzbischöfe und Generalvikare strafrechtlich belangt werden können, wenn sie nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter im Raum der Kirche vorgingen, als nicht so einfach zu beantworten an: "Gercke sagt Nein. Das ist vertretbar, man kann aber auch anderer Auffassung sein", so Waßmer.

Der Strafrechtler betonte die hierarchische Struktur der katholischen Kirche: "Natürlich kann der Erzbischof entscheiden, welcher Priester eingesetzt wird. Er hat eine Verkehrssicherungspflicht, und dazu gehört es auch, typischen personellen Gefahren im Wirkungsbereich der Kirche entgegenzutreten", so Waßmer. Eine strafbare Beihilfe könne das Abwarten aber nur dann darstellen, wenn die Missbrauchsdelikte "betriebsbezogen" seien: "Der Bischof ist nicht für die insgesamt straffreie Lebensführung seiner Mitarbeiter verantwortlich", so Waßmer weiter. Ein Bischof müsse bei stichhaltigen Vorwürfen auch von einer Wiederholungsgefahr ausgehen. Dass aufgrund wiederholter Vorfälle die Gefahr weiterer Taten naheliege, genüge jedoch nicht für eine Bewertung als "betriebsbezogen". Das sei auch im Gercke-Gutachten mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zutreffend ausgeführt worden.

Rechtsfragen noch nicht gerichtlich geklärt

Auch die Differenzierung zwischen Taten, die Priester im Amt verübt haben, und Taten in ihrer Freizeit und bei privaten Treffen sei legitim, so Waßmer: "Die Kölner Bistumsleitung kann nichts dafür, wenn ein Pfarrer zum Beispiel auf einer privaten Urlaubsreise Straftaten begeht." Geschäftsherrenhaftung sei gemäß der BGH-Rechtsprechung dann gegeben, "wenn ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit besteht, ein Mitarbeiter die ihm eingeräumten arbeitstechnischen Machtbefugnisse zur Tatbegehung ausnutzt". Daher hält Waßmer auch die Auffassung für vertretbar, "dass ein Pfarrer seine Autorität und Macht über ihm anvertraute Minderjährige, die besonders schutzbedürftig sind, ausnutzt". Das müssten allerdings Gerichte entscheiden. Fälle, in denen private Treffen in mittelbarem Zusammenhang mit der seelsorgerischen Tätigkeit stehen, also beispielsweise ein Priester seine Opfer bei seiner dienstlichen Tätigkeit kennengelernt hat, der Übergriff aber im privaten Umfeld erfolgt, seien bislang strafrechtlich noch nicht geklärt.

Waßmer ist seit 2009 Professor für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Köln und habilitierte sich mit einer Arbeit für die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung von Managern. Anfang Juni hatten der Mainzer Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld, seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin Sarah Gade und der Essener Rechtsanwalt Christian Roßmüller in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" den Vorwurf erhoben, dass das Gutachten viele Merkmale eines Gefälligkeitsgutachten habe. Insbesondere wurde kritisiert, dass die Rechtsprechung des BGH zur sogenannten Geschäftsherrenhaftung nur selektiv herangezogen worden sei. Die Kanzlei Gercke und Wollschläger wies die Kritik deutlich zurück. "Jeder Kleriker ist zunächst einmal für seine Taten selbst verantwortlich und kann diese unmittelbare Verantwortung nicht auf Bischöfe oder Kardinäle abwälzen", so Björn Gercke. Die in der Zeit-Beilage geäußerte Kritik sei "schlicht falsch". (fxn)