Theologe zur Causa Marx: Chance für neues Erzbischof-Dasein
Der Wiener Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler sieht im abgelehnten Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx die "hochinteressante Chance" für ein neues Erzbischof-Dasein. Er wünsche sich, dass Marx nun als Seelsorger in der eigenen Erzdiözese "an die Peripherie geht", um sich den Zeugnissen von Missbrauchsbetroffenen zu stellen, sagte Treitler in einem Interview mit "Vatican News" (Dienstag). "Wenn er das macht, wenn er wirklich eine neue Praxis seines Kardinals- und seines Erzbischofs-Daseins zeigt, dann – würde ich sagen – kommt man produktiv aus dieser Sache heraus und macht auch wirklich etwas aus ihr", so der Theologe. Ob das gelingen könne, wisse er allerdings nicht, da Bischöfe in der derzeitigen Konstruktion "mit administrativer Arbeit überschüttet werden".
Dass der Papst den Amtsverzicht von Marx abgelehnt hat, habe ihn gewundert, so Treitler. Der Papstbrief vermittle den Eindruck, als wenn Marx "gezwungen wird, im Amt zu verharren und die Verantwortung auszuhalten." Das sei problematisch, "weil das ja genau die Strukturen sind, in denen auch Missbrauch möglich geworden ist: Ein steil von oben kommendes Gehorsamkeitsgefüge, das die Leute in die Pflicht nimmt", sagte der Theologe, der in seiner Jugend selbst Missbrauch durch einen Lehrer erlitten hat.
"Ich glaube, dass solche Weigerungen mal sehr heilsam wären"
In der katholischen Kirche herrsche eine Halbherzigkeit bei dem Versuch, echte Veränderungen auf den Weg zu bringen. "Diese Form der echten Umkehr, die substantiell erkennbar ist – ich sehe, dass man sie anzieht, aber ich sehe sie kaum in der Praxis verwirklicht oder angedeutet", so Treitler. Um zu einer nachhaltigeren Erneuerung zu gelangen, müsse man mit den institutionellen Regeln brechen. "Was würde eigentlich geschehen, wenn nun Kardinal Marx sagt, ich habe meinen Rücktritt angeboten, er wurde nicht angenommen, ich vollziehe ihn aber jetzt?", fragte der Theologe. "Ich glaube, dass solche Weigerungen mal sehr heilsam wären, um einmal zu sehen, dass man diese Dinge nicht in geübter Form weiterlaufen lassen kann, sondern dass es hier wirklich Zäsuren und radikales Umkehren braucht." Die innere Umkehr, die in der Kirchenkrise oft gefordert werde, sei nur in Kombination mit auch äußerlich sichtbaren Zeichen und Veränderungen wirksam.
Die Krise, dass es um den Glauben an einen helfenden Gott und an eine wirklich fühlbare Erlösung im Zusammenhang mit Missbrauch "sehr finster geworden ist", habe der Papst nicht erwähnt. In dieser theologischen Frage sei "eine wesentlich stärkere Krise oder Katastrophe am Zug als die Fragen der Verbrechensbearbeitung, der Aufarbeitung und der entsprechenden Folgen daraus", findet Treitler. "Da kommt man wirklich an das Fundament, und das ist für mich deshalb wichtig, weil wir in der katholischen Kirche immer wieder diese Erlösungsreden haben, die eigentlich Woche für Woche rüberkommen, und man eigentlich kaum das wahrnimmt, was an katastrophaler Hilflosigkeit bei vielen Missbrauchten hängengeblieben ist, gerade in religiöser, in gottbezogener Hinsicht." (cbr)