"Es gibt keine eingespielte Seilschaft, keinen 'Kölschen Klüngel'"

Köln-Gutachter Gercke betont Unabhängigkeit von katholischer Kirche

Veröffentlicht am 16.06.2021 um 13:19 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg/Köln ‐ "Die am Gutachten beteiligten Anwälte und Mitarbeiter haben ganz überwiegend ein kritisches oder gar kein Verhältnis zur katholischen Kirche": Strafrechtler Björn Gercke weist Vorwürfe eines "Gefälligkeitsgutachtens" für das Erzbistum Köln zurück.

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Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke weist erneut den Vorwurf zurück, sein Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln weise "Merkmale eines Gefälligkeitsgutachtens" auf. In einem gemeinsamen Beitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag) betonen Gercke, seine Kanzleikollegin und Mit-Gutachterin Kerstin Stirner sowie der Münchner Strafrechtsprofessor Mark Zöller die Unabhängigkeit der Gutachter von der katholischen Kirche. "Die am Gutachten beteiligten Anwälte und Mitarbeiter haben ganz überwiegend ein kritisches oder gar kein Verhältnis zur katholischen Kirche."

Die Arbeit der Gutachter folge denselben Qualitätsmaßstäben, die auch für Compliance-Untersuchungen in Unternehmen zur Anwendung kämen. Bezahlt worden sei die Kanzlei Gercke Wollschläger bereits vor der öffentlichen Vorstellung der Untersuchung. Die beteiligten Juristen seien auch nicht regelmäßig für andere Bistümer tätig. "Es gibt keine eingespielte Seilschaft, keinen 'Kölschen Klüngel' oder Ähnliches." An der nun anstehenden Umsetzung von Reformen im Erzbistum Köln beteiligten sich die Rechtsexperten bewusst nicht, um Unabhängigkeit zu wahren.

Schon vor der Präsentation des Reports habe die Öffentlichkeit den Rücktritt des Kölner Erzbischofs Kardinal Rainer Maria Woelki verlangt. "Wir sind Juristinnen und Juristen und können nur mit einer juristischen Aufarbeitung beauftragt werden", betonten Gercke, Stirner und Zöller. "Wer uns zu uns nicht zustehenden, moralischen Bewertungen drängen möchte, verlangt unprofessionelles und unseriöses Berufsverhalten."

Strafrechtler hatten Gutachten bemängelt

Vor zwei Wochen hatten der Mainzer Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld, seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin Sarah Gade und der Essener Rechtsanwalt Christian Roßmüller in "Christ & Welt" den weltlich-strafrechtlichen Teil des Gercke-Reports bemängelt. Sie bezogen sich dabei vor allem auf die sogenannte Geschäftsherrenhaftung. Demnach könnten sich Bischöfe - ähnlich wie Manager - strafbar machen, wenn sie von Straftaten ihrer Priester erfahren, nicht dagegen vorgehen und es danach nochmals zu Taten kommt.

Gercke, Stirner und Zöller widersprachen dieser Auffassung. "Im weltlichen Recht gilt der Grundsatz der Freiverantwortlichkeit", schreiben sie. Jeder Missbrauchstäter müsse für sein Verhalten selbst strafrechtlich geradestehen. "Er kann die Verantwortung damit grundsätzlich nicht auf seine Chefs oder Vorgesetzten und eben auch nicht auf den Bischof abwälzen." Die Geschäftsherrenhaftung greife nur für "betriebsbezogene Straftaten". Die im Gutachten behandelten Missbrauchstaten fanden jedoch "im privaten Bereich und damit außerhalb kirchlicher Veranstaltungen statt, etwa bei Einladungen in die Privatwohnungen der Täter".

Laut dem Kölner Strafrechtsprofessor Martin Waßmer ist das Missbrauchsgutachten der Kanzlei Gercke und Wollschläger "ganz sicher nicht" ein Gefälligkeitsgutachten. Im Interview mit der Kölnischen Rundschau (Dienstag) sah er die Frage, ob Erzbischöfe und Generalvikare strafrechtlich belangt werden können, wenn sie nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter im Raum der Kirche vorgingen, als nicht so einfach zu beantworten an: "Gercke sagt Nein. Das ist vertretbar, man kann aber auch anderer Auffassung sein", so Waßmer. (tmg/KNA)