Kurzbach: "Das Erzbistum Köln ist an einem toten Punkt angekommen"
Der Konflikt zwischen dem Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki und den katholischen Laien spitzt sich zu. "Wir nehmen mit Bitterkeit wahr, dass wir nicht mehr weiterkommen", erklärte der Diözesanrat nach seiner Sitzung am Mittwoch, bei der Woelki trotz Einladung nicht teilgenommen hatte.
Stattdessen schrieb der Erzbischof einen Brief an die Laien, in dem er selbst klagt, dass der Diözesanrat den Dialog "nicht fruchtbar" führe. Immer wieder hatte der Rat massive Kritik am Erzbischof geübt.Im Interview erläutert der Vorsitzende des Diözesanrats Tim Kurzbach, wie er die Lage im Erzbistum einschätzt – und wer die verfahrene Situation jetzt lösen könnte.
Frage: Herr Kurzbach, die Apostolische Visitation des Erzbistums ist nach einer Woche schon beendet – wo steht die Diözese aus Ihrer Sicht gerade?
Kurzbach: Das Erzbistum Köln ist an einem toten Punkt angekommen, einem richtig toten Punkt. Die Visitation war ein gutes Zeichen des Heiligen Vaters. Die Situation im Bistum ist nämlich so, dass eine überwiegende Mehrheit der Laien und auch viele Priester überzeugt sind, dass es mit einem einfachen "Weiter so" nicht weitergehen kann. Es muss schnell eine Entscheidung getroffen werden, um diesen toten Punkt zu überwinden.
Frage: Zwei Wochen waren für die Visitation angekündigt, jetzt ist es deutlich schneller gegangen – ging das zu schnell? Wurden alle gehört?
Kurzbach: Ich glaube, dass die Dauer nicht ausschlaggebend ist. Ich habe wahrgenommen, dass die beiden Visitatoren und ihre Assistenten sehr akribisch sowie sehr interessiert am Detail und an umfassenden Informationen waren. Nach dem, was ich darüber weiß, wer eingeladen wurde, müssen sie ein breites Spektrum gehört haben. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass sie mit großem Interesse und ohne Vorfestlegungen ins Gespräch gingen, sie gut zugehört haben und alles sorgfältig dokumentiert wurde. Man darf die Erwartungen an die Visitatoren aber nicht überhöhen. Die eigentliche Entscheidung liegt jetzt in Rom bei der Bischofskongregation und dann beim Heiligen Vater.
Frage: Vertreter des Diözesanrats wurden von den Visitatoren befragt. Wie lief das ab?
Kurzbach: Auf jeden Fall in einer sehr konstruktiven, offenen, geschwisterlichen Gesprächsatmosphäre. Wir waren gut vorbereitet, wir haben die vielen Dutzenden von Stellungnahmen und Briefen aus Gemeinden und Verbänden sowie die Beschlüsse unserer Vollversammlung zusammengefasst und sie in einem sehr dicken Aktenordner an die Visitatoren übergeben. Dadurch konnten wir auch eine gute Chronologie der Ereignisse der letzten Wochen und Monate darlegen. Damit sind wir auf großes Interesse und große Offenheit gestoßen.
Frage: Angesichts der immer neuen Meldungen verliert man diese Chronologie etwas aus den Augen – wie ist es aus Ihrer Sicht denn überhaupt zur jetzigen Situation gekommen? Wie konnte es so eskalieren?
Kurzbach: Seit der völlig misslungenen Absetzung der Veröffentlichung des WSW-Gutachtens Ende des letzten Jahres ist die Situation völlig entglitten, auch durch eine katastrophale Kommunikation. Man gibt zwar im Erzbistum sehr hohe Summen für PR-Beratung und rechtliche Beratung aus. Am Ende führt uns diese Kommunikation aber nur in eine noch desaströsere Situation. Wenn uns die Bistumsleitung immer wieder versucht zu erklären, dass auch Vorgänge, die moralisch völlig inakzeptabel sind, in einer irgendwie verquasten kirchenrechtlichen Betrachtung dann doch nicht so schlimm sind, dann merken alle im Bistum, dass das mit unserer Wertehaltung in der Kirche gar nichts mehr zu tun hat. Da hilft auch die beste mediale Aufbereitung nichts. Ein Missbrauch ist ein Missbrauch. Wenn das dann noch relativiert wird, um fast jeden Preis, dann bereitet das nur noch Schmerzen.
Frage: Sie beziehen sich damit auf den Fall. D., bei dem ein Priester sexuellen Kontakt mit einem 17-jährigen Prostituierten hatte, was zur Tatzeit nicht strafbar war?
Kurzbach: Ja, und auf verschiedene Auftritte des Generalvikars in den Medien, als es um diesen Fall D. ging. Aussagen, dass das Verhalten ja weder nach kirchlichem noch nach weltlichem Recht eine Straftat sei und der Priester den "einmaligen Vorfall" bereut hätte, schmerzen unfassbar. Es wäre doch das natürlichste von der Welt, einfach zu sagen: Es ist völlig inakzeptabel, wenn ein Priester mit einem Minderjährigen so etwas tut, und wir bitten um Verzeihung für unsere Fehlentscheidung damals. Stattdessen greift man immer zu denselben Floskeln, um Dinge zu erklären, die man nicht erklären kann. Kardinal Marx hat als Bischof Verantwortung und Schuld eingeräumt. Das ist bei uns nicht passiert, hier versucht man immer nur zu erklären, warum das doch zu rechtfertigen sei. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Erzbistum München und Freising und der Situation hier: Kardinal Marx spricht davon, dass er die Verantwortung im Erzbistum trägt. Wir hören immer nur "wir haben doch alles richtig gemacht, jetzt versteht das doch mal".
Frage: Hat die überraschend schnelle Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Kardinal Marx eine Auswirkung auf Köln? Die Einschätzungen dazu gehen ja sehr weit auseinander.
Kurzbach: Auf solche Spekulationen lasse ich mich nicht ein. Niemand von uns war bei den Gesprächen dabei, der Briefwechsel ist unmittelbar zwischen dem Heiligen Vater und Kardinal Marx. Es sind beeindruckende Briefe, es sind interessante Briefe, die kann man aber nicht für Köln in den Zusammenhang stellen, den man gern hätte: Der eine liest dieses für Köln heraus, der andere das Gegenteil, und beide beziehen sich auf denselben Brief. Ich stehe hier in der Verantwortung im Erzbistum Köln, und für Köln muss ich feststellen, dass wir an einem toten Punkt angekommen sind und wir eine Entscheidung aus Rom brauchen.
Frage: Am Mittwoch tagte die Vollversammlung des Diözesanrats. Wie ist die Stimmung bei den engagierten Laien?
Kurzbach: Wir haben anderthalb Stunden vor Beginn der Sitzung einen Brief des Kardinals zugestellt bekommen – dann war die Stimmung bei uns am Tiefstpunkt, ich hätte nicht gedacht, dass es noch tiefer geht. Wir haben immer wieder Gesprächsangebote unterbreitet, Briefe geschrieben, wir sind zu jedem Gespräch gegangen, wir haben aus christlicher Überzeugung den Gesprächsfaden aufgenommen und beibehalten. Wir haben dabei aber immer klar gesagt: Hier sind Dinge geschehen, die nicht hinnehmbar sind, die nicht akzeptabel sind. Darüber müssen wir mit dem Ziel reden, dass sich etwas ändert. Diese Einsicht scheint aber der Bistumsleitung zu fehlen, wir hören immer nur, dass sie korrekt gehandelt habe. Da ist ein großer Bruch zwischen der Kirchenleitung und ihrem Bistum.
Frage: Wie geht es jetzt weiter? Womit rechnen sie?
Kurzbach: Zwei Männer haben die Zukunft des Bistums in der Hand, und um nichts weniger geht es: Kardinal Woelki selbst und der Heilige Vater. Von beiden erwarte ich, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden, und zwar so schnell wie möglich. Ich wünsche es Kardinal Woelki aus vollem Respekt vor seiner Person, die notwendige innerliche Freiheit zu haben, um die richtige Entscheidung für sich selbst zu treffen. Der Heilige Vater hat mit dem Bericht der Visitatoren eine klare und gute Situationsanalyse über das Erzbistum Köln in der Hand. Ich dränge darauf, dass einer der beiden Herren oder beide gemeinsam jetzt eine schnelle Entscheidung treffen. Die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen in Gemeinden und Verbänden sieht, dass es so nicht weitergeht im Bistum.