Möglicher Beschluss hätte weitreichende Konsequenzen

Keine Eucharistie für Joe Biden? Über die prekäre Lage der US-Bischöfe

Veröffentlicht am 22.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Washington ‐ Die US-Bischöfe streiten: Soll katholischen Politikern wie Joe Biden, die sich in der Abtreibungsfrage für eine Liberalisierung einsetzen, die Eucharistie verweigert werden? Eine derartige Entscheidung hätte schwerwiegende Folgen – und könnte sich auch für die Oberhirten als verheerend erweisen.

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Die Entscheidung glich einem Dammbruch: Mit kolportierten 168 zu 55 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) votierten die Mitglieder der US-amerikanischen Bischofskonferenz für ein geplantes Papier zur "Zentralen Stellung der Eucharistie im Leben und Glauben der Katholischen Kirche". Was als theologische Frage unter normalen Umständen als gängiges Thema für ein römisches Setting und als wenig sensationsheischend durchgehen würde, erhält in der aktuellen religions- und kirchenpolitischen Situation in den USA besondere Brisanz.

Seit dem Wahlkampf 2020 wurde die katholische Identität des aktuellen US-Präsidenten Joe Biden immer wieder zum Thema gemacht. Vor dem Hintergrund seiner politischen Unterstützung im Hinblick auf die gesetzliche Liberalisierung in der Abtreibungsfrage zielten seine Gegner bereits im Rennen um das Weiße Haus auf die persönliche Integrität des bekennenden Katholiken: Wie könne ein gläubiger Katholik in seiner politischen Position für die Liberalisierung einer Handlung einstehen, wenn es für diese Handlung in der katholischen Lehre doch strenge Ahndungen bis hin zu Exkommunikation und Ausschluss von den Sakramenten gibt? Was als zwischenparteiliches Scharmützel begann, um dem demokratischen Kandidaten moralpolitischen Selbstwiderspruch und Doppelmoral vorzuwerfen, hat sich mittlerweile zu einem kirchlichen Politikum ersten Ranges entwickelt.

Umkämpfter Identitätsmarker in der Politik

Abtreibung ist in den USA nicht erst seit dem Gerichtsentscheid des Supreme Courts im Jahr 1973 ("Roe vs. Wade") zu einem umkämpften Identitätsmarker in der Politik geworden: Während sich die republikanische Partei bereits seit den 1950er Jahren in gesellschaftspolitischer Hinsicht auf einige, wenige Punkte der modernen Lebensführung konzentriert hatte, die man entschieden abzulehnen hatte, versuchte man auch interkonfessionell die religiösen Gemeinschaften besonders auf diese Themen (Abtreibung, Homosexualität, Familienbild, Gleichstellung der Frau etc.) gleichzuschalten. Das Resultat war und ist prekär. Viele der konservativen Bevölkerungsgruppen sehen die Wahlentscheidung für oder gegen eine Person ausschließlich auf diese Thematiken beschränkt, sprich: Solange ein Politiker nur ein konservatives Familienbild bedient, kann man über persönliche Hinfälligkeiten und andere politisch abweichende Einstellungen hinwegsehen. Dagegen kommen andere zentrale Themen kirchlicher Soziallehre oder moralischer Fragestellungen so gut wie nie auf das politisch umkämpfte Tapet.

Das Thema der Abtreibung ist also keinesfalls erst seit der Vereidigung Joe Bidens als 46. Präsident der USA zu einem Dauerbrenner in der Auseinandersetzung geworden, wohl aber hat sich die Stimmung in den letzten Monaten noch einmal neu entzündet: Müssten nicht die bischöflichen Oberhirten handeln, wenn ein Katholik persönlich und öffentlich gegen die Lehre der Kirche steht? Müsste es für den bekennenden Katholiken Biden nicht kirchenrechtliche Konsequenzen geben, wenn er schon in aller Öffentlichkeit und im höchsten Amt des Staates eine konträre Gesetzgebung zu den Lehren der Kirche propagiert? Biden selbst versuchte in der Vergangenheit immer zu differenzieren: Als Person und Privatmann lehne er Abtreibung strikt ab, als Politiker jedoch ginge es um eine Frage der Gesetzgebung und der öffentlichen, nicht religionsgebundenen Debatte. Insofern wäre seine Haltung in der Gesetzgebung nicht als ein Propagieren der Abtreibung zu verstehen, sondern als eine Forderung nach einem Gewissensentscheid jeder betroffenen US-Bürgerin. Dies wiederum würde eigentlich der kirchlichen Lehre nach Gewissensfreiheit und Gewissenspflicht entsprechen, wird jedoch von zahlreichen Kreisen katholischer Vertreter aufs Heftigste kritisiert: Ein Staatsmann müsse Vorbild sein – und könne deshalb in seiner Gesetzgebung nicht schlichtweg alles liberalisieren und die eigene Verantwortung abstreifen.

Linktipp: Weil er Abtreibungen erlaubt: Eucharistieverbot für Präsident Biden?

Die Bischöfe in den USA streiten über die Frage der Kommunion für Politiker, die Abtreibungen akzeptieren – wie Präsident Joe Biden. Nun begehren 60 Oberhirten gegen die Konservativen auf. Der Vatikan mahnt zur Einheit.

Die von Joe Biden immer wieder betonte Trennung von Person und Amt steht in den USA schon länger in der Kritik – besonders wenn es um das Amt des "Man in Charge" geht: Wie der moralische, politische und gesellschaftliche Führungsanspruch in der Erwählung der USA vor allen Völkern zusammenfalle, so hätte sich das auch in der Person des Präsidenten zu spiegeln. Man könne gerade bei den wichtigsten Amtsträgern nicht einfach von der Privatmeinung und dem öffentlichen Ansehen unterscheiden, so die Kritiker. Tatsächlich hat sich diese Frage jedoch in den letzten vier Jahren der Trump-Präsidentschaft in vielerlei Hinsicht umgekehrt: Es hieß, dass ein moralisch hinfälliger Mann durchaus ein guter Präsident sein könne, wenn er denn nur die als göttlich eingestufte Ordnung der USA schützen würde. Viele freikirchliche Gruppierung konnten ihre Unterstützung für Trump nur mit der Trennung von Amt und Person aufrechterhalten.

Nach der Wahl 2020 haben sich die Kräfteverhältnisse in politischer Hinsicht verändert. Die Republikaner haben die Mehrheit in Kongress und Senat sowie auch das Präsidentschaftsamt verloren. Dies wiederum hatte zur Folge, dass sie verstärkt die moralische Fehlbarkeit des aktuellen Präsidenten zum Thema machten – eine strategische Argumentation, die sie in den vergangenen Jahren tunlichst gemieden haben.  Dennoch fühlen besonders die US-Bischöfe diesen politischen Druck. Haben sie sich doch in den letzten Jahrzehnten in eine große Nähe zu den konservativen Forderungen der "Grand Old Party" begeben. Diese lange unhinterfragt gute Partnerschaft zwischen "Grand Old Party" und dem US-Episkopat hat nämlich auch ihre Risse bekommen. So haben katholischen Oberhirten während der Trump-Administration besonders dadurch aufhorchen lassen, dass sie sich in der Frage der Einwanderungspolitik von der Trump'schen Parteilinie entfernt haben. Dies hatte auch das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und der republikanischen Partei belastet. Nun stehen die Bischöfe wieder unter Zugzwang: War es damals vor allem die Frage nach Glaubwürdigkeit innerhalb ihrer eigenen Gläubigen (von denen viele aus lateinamerikanischen Gebieten stammen), ist es nun die Frage nach Glaubwürdigkeit in der konservativen Politik. Dies wissen konservative Politkreise wiederum auszunutzen, indem sie die aktuellen Abtreibungsdebatte an die Bischöfe weiter- und hochgespielt haben.

Politische Zwickmühle

Die Lage gleicht einer politischen Zwickmühle: Die Bischöfe können die Angriffe auf den scheinbaren katholischen Selbstwiderspruch Bidens nicht einfach links liegen lassen. Diesen Vorwurf zu ignorieren könnte ihre politische Autorität nach innen und außen schwächen. Setzen sie aber zu sehr auf kirchenrechtliche Strafmaßnahmen, könnte sich diese Diskussion verselbstständigen und in andere Themenbereiche (Homosexualität, Ehe für alle etc.) zurückfallen. Der Verweis auf die Gewissensfreiheit reicht jedoch vielen Diözesanleitungen schon länger nicht mehr aus – der scheinbar klare Widerspruch zwischen der politischen Haltung und religiösem Bekenntnis hat schon zu viele traditionsgerichtete Gruppierungen auf den Plan gerufen. Entsprechend laut sind auch deren Forderungen nach Verweigerung der Kommunion für Biden bis hin zu Aufrufen, dass er offiziell zu exkommunizieren sei.

Innerkirchlich gesehen ist die Situation für die US-Bischöfe jedoch alles andere als einfach. Mit dem Votum für dieses Dokument stellen sie sich explizit gegen die Wünsche und Ratschläge aus Rom – besonders für eine Bischofskonferenz, die sich in Teilen lautstark und heftig gegen den synodalen "Sonderweg" in Deutschland zu Wort gemeldet hat, kann so ein nationaler Alleingang durchaus nach hinten losgehen. Zahlreiche Beobachter im In- und Ausland sehen in der Entscheidung der amerikanischen Bischofskonferenz primär kirchenpolitische Symbolpolitik am Werk – einerseits in Richtung aller Reformbestrebungen aus Europa, andererseits aber auch gegenüber Papst Franziskus, der die kontextuellen Herausforderungen der weltweiten Bischofssynoden gerne auf eine gemeinsame Ebene führen möchte.

US-Präsident Donald Trump
Bild: ©picture alliance/NurPhoto/Jaap Arriens (Archivbild)

Trennung von Person und Amt: Viele freikirchliche Gruppierung konnten ihre Unterstützung für Trump nur damit aufrechterhalten.

Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich noch nicht abschätzen, wie das Dokument tatsächlich aussehen wird oder ob es den umstrittenen Passus zum Kommunionempfang für Politiker geben wird, die die Lehre der Kirche nicht in allen Punkten teilen. Fest steht allerdings bereits jetzt, dass ein solcher Abschnitt Präzendenzwirkung haben und nicht nur auf die Frage der Schwangerschaftsabbrüche begrenzt bleiben würde: Was wäre mit Amtsträgern, die für die Liberalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe eintreten würden? Können auch Politiker von den Sakramenten ausgeschlossen werden, wenn Sie Produktions- und Verkaufsgesetze von künstlichen Verhütungsmitteln auf den Weg bringen?

Nicht zuletzt eine Frage müsste aber in einem solchen Dokument Raum finden: Wie sieht es mit Politikern oder Richtern, ja sogar einfach Angestellten in den USA aus, die an der Durchführung beziehungsweise Umsetzung der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten mitwirken? Konsequenterweise müsste ein Passus für den umfassenden Lebensschutz auch diese Thematik implizieren – hier jedoch wäre ein Punkt in der republikanischen Identitätspolitik (und zahlreicher katholischer Gläubiger) erreicht, den man in der Vergangenheit tunlichst gemieden hat. Beides jedoch scheint unmöglich: Konsequenzen für eine zu lasche Haltung in der Abtreibungsfrage zu fordern und keine Strafmaßnahmen bei Mitwirkung oder Befürwortung der Todesstrafe umzusetzen.

Eine Entscheidung, die Konsequenzen haben wird

Die Frage nach der Kommunionszulassung von Biden ist keine Frage, die eindimensional auf Basis des Kirchenrechts und der Funktion Joe Bidens entschieden werden könnte – sie würde (und wird) Konsequenzen haben. Und zwar in einem Ausmaß, in dem sich auch die US-amerikanischen Bischöfe doppelt überlegen müssten, ob sie mit einem solchen Papier nun politische, theologische und religiöse Autorität gewinnen oder verspielen. Nicht zuletzt würden sie damit einen Raum schaffen, in dem plötzlich politische Personaldebatten im religiösen Raum Fuß fassen könnten, mitunter sogar zielgerichtete Denunziation und Manipulation Tür und Tor geöffnet würde – quasi: Wer den unbeliebten katholischen Gegenkandidaten ausschalten möchte, müsste ihn nur beim zuständigen Bischof einigermaßen glaubwürdig anschwärzen. Die Folgen wären für den politischen Bereich heftig – für den religiösen Autonomiebereich der Bischöfe jedoch verheerend.

Zwar mag es für viele europäische Bürger schwer sein, die Lage der US-Bischöfe zu verstehen. Doch man darf getrost annehmen, dass in den Augen der amerikanischen Oberhirten nichts weniger auf dem Spiel als die eigene Glaubwürdigkeit. Was jedoch in der aktuellen Debatte deutlich wird, ist, dass es religiöse Vertreter im 21. Jahrhundert vielerorts nicht mehr selbst in der Hand haben, ob und welches religiöse Thema in der Öffentlichkeit verhandelt werden muss. Die Bischöfe können sich nicht mehr entscheiden, ob sie über ein Problem – sei es mit der Lehre, mit der Organisation, mit dem Gehorsam oder mit systemischen Fragen verbunden – diskutieren wollen oder nicht. Am Beispiel von Bidens Haltung wird deutlich, dass sich katholische Debattenkultur in einem komplexen Zueinander von kirchlicher, staatlicher und internationaler Politik befindet, in der es kein katholisch kirchliches Monopol mehr gibt, sondern in dem sich kirchliche Akteure selbst zu Spielbällen religionspolitischer Manipulationen entwickeln können. Die Lage der Bischöfe ist prekär – wahrscheinlich viel prekärer als die Situation des Mannes im Weißen Haus, auf den die Debatte im Eigentlichen zielt.

Von Andreas G. Weiß

Der Autor

Andreas G. Weiß ist Theologe und Religionswissenschaftler mit Forschungsaufenthalten in den USA. Der Referent im Katholischen Bildungswerk Salzburg ist Mitglied der "American Academy of Religion" (AAR).