Standpunkt

Franziskus' Auftrag: Die eingebrockte Suppe auslöffeln

Veröffentlicht am 22.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Brief des Papstes an Kardinal Marx sei in vielem wegweisend, kommentiert Werner Kleine. Denn der Auftrag, sich der Verantwortung zu stellen, gelte auch anderen Bischöfen. Theologisch gesprochen: Vor der "österlichen Wende" stehe die Entäußerung.

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Wenn das Gesagte nicht das Gemeinte ist, ist das meist kein Ausdruck komplexer kommunikativer Kompetenzen. Man mutmaßt zwar, die so Redenden seien einfach mit einem hohen Maß an Dialektik ausgestattet oder – wie man es jetzt wieder anlässlich des Antwortschreibens von Papst Franziskus auf das Rücktrittsangebot des Münchner Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, beobachten konnte – eben ein Jesuit durch und durch. Ich muss gestehen, dass mich solche Verbrämungen immer etwas ratlos zurücklassen. Warum sagt man denn nicht das, was man meint?

Mit der Lust, das Weiße zwischen den Zeilen mit Bedeutung aufzuladen, musste sich schon Paulus herumschlagen, der den Korinthern in ihrer Deutungslust entgegenhält, er schreibe nichts anderes, als was sie lesen und kennen würden (vgl. 2 Kor 1,13). Dabei ist das, was Papst Franziskus an den geliebten Bruder Reinhard Kardinal Marx schreibt, eigentlich klar und deutlich: Du bleibst! Tu doch, was Du wünschst: Sei Seelsorger als Erzbischof von München und Freising!

Tatsächlich ist ein Rücktritt eben nicht immer die symbolische Übernahme von Verantwortung; er kann auch die Flucht aus der Verantwortung sein. Das erinnert an die Nachfolgegeschichten in den Evangelien. Immer wieder heißt es dort, dass Menschen nach einer – oft heilenden – Begegnung in die Nachfolge Jesu treten. Bisweilen aber weist Jesus diesen Wunsch zurück – so etwa bei dem Besessenen von Gerasa (vgl. Mk 5,1-20parr). Bei ihm handelt es sich offenkundig um einen Kollaborateur mit den römischen Besatzern, der sich wohl mit seiner Familie überworfen hat. Ihn lässt Jesus nicht nachfolgen; sein Auftrag ist ein anderer: Er muss zu seiner Familie zurück, um dort seine Verantwortung übernehmen. Die direkte Nachfolge wäre da eher eine Flucht gewesen...

Das ist der Auftrag, den Papst Franziskus an Reinhard Kardinal Marx gibt: Lauf nicht weg, sondern bleib und stell dich der Verantwortung in deinem Bistum. Da gibt es einiges zu tun – Aufklärung, Hören der Betroffenen (etwa in der Katholischen Integrierten Gemeinde), Aufräumen. Die eingebrockte Suppe muss eben auch gelöffelt werden. Darin ist die Antwort von Franziskus sicher wegweisend, gilt sie doch auch anderen Bischöfen. Wenn die Hoffnung von Kardinal Marx auf eine österliche Wende nicht trügen soll, muss ihr nämlich eine Entäußerung vorangehen. So ist es jedenfalls im Philipperhymnus (vgl. Phil 2,5-11): Bevor der Gehorsam zum Kreuzestod zum Umkehrpunkt wird, musste der Gottgleiche sich entäußern, indem er den Menschen zum Menschen wird. Ihm darin ähnlich soll ein Bischof sein – der Entäußerung geweiht. Das sollte eigentlich normal sein, hört sich aber leider neu an. Jetzt muss man es auch tun. Also: Butter bei die Fische!

Von Werner Kleine

Der Autor

Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent im Erzbistum Köln und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.