Die Kirchenkrise auf den Punkt bringen: Neues Fragenportal geht online
Regina Laudage-Kleeberg ist überzeugt: Es gibt viele frustrierte Gläubige, die ihrer Kirche in der Krise gerne das ein oder andere sagen würden – aber die Hürde der offiziellen Kommunikationswege ist oft zu hoch. Neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit im Bistum Essen hat die Religionswissenschaftlerin deshalb das Onlineportal "kirchenkrise.de" auf den Weg gebracht. Dort kann jeder formulieren, was er die Kirche und ihre Amtsträger schon lange fragen wollte. Im Interview mit katholisch.de spricht Laudage-Kleeberg darüber, warum sie die Aktion nicht als Abrechnung versteht, sondern als neuen Gesprächsbeginn.
Frage: Frau Laudage-Kleeberg, auf Ihrer neuen Seite "kirchenkrise.de" schreiben Sie, dass sie sich immer noch Antworten von der Kirche erhoffen. Liegt nicht gerade hier das Problem, dass die Kirche viel zu lange eindeutige Antworten gegeben hat und definieren wollte, was der Wille Gottes, was richtig und was falsch ist?
Laudage-Kleeberg: Ja, da haben Sie recht. Es gibt eine Vielzahl von überreglementierenden Antworten aus der katholischen Kirche. Aber was es nicht gibt, sind zufriedenstellende Antworten. Und auf solche warte ich immer noch, das versuche ich zu sagen. Viele Menschen sind, glaube ich, ziemlich vereinzelt mit ihrem Frust und mit ihren Fragen an die katholische Kirche. Meine Hoffnung ist, dass Fragen dazu führen könnten, deutlich zu machen: Ich will übrigens noch was von dir. Ich stelle jemandem ja keine Frage, um ein Gespräch zu beenden. Sondern ich stelle die Frage, weil ich ein Gespräch führen oder sogar neu beginnen will.
Frage: Viele der Fragen, die in der kirchlichen Reformdebatte diskutiert werden und die vermutlich auch auf Ihrer Seite auftauchen werden, sind ja seit Jahrzehnten sehr ähnlich. Warum dringen sie in der Amtskirche so wenig durch?
Laudage-Kleeberg: Ich glaube, die Fragen dringen heute mehr durch als etwa noch vor 30 Jahren. Ganz viele Menschen in der katholischen Kirche haben den Veränderungsdruck klar erkannt und ich habe den Eindruck, da sind heute auch Bischöfe dabei, die das sehr genau verstanden haben. Auf der anderen Seite gibt es aber eine – ich sage mal – klammernde Faust aus dem Vatikan oder aus bestimmten konservativen Kreisen, die es verhindert, dass die Kirche in diesen Fragen vorankommt. Das Ergebnis dieser katastrophalen Situation ist, dass die Menschen ihre Freiheit ernst nehmen und gehen. Die Kirchenkrise, in der wir stecken, ist allen sehr bewusst. Daher musste ich doch etwas schmunzeln, dass die Internetadresse "Kirchenkrise" noch nicht mal vergeben war.
Frage: Der Ausdruck Krise bezeichnet streng genommen ja einen vorübergehenden Tiefpunkt. Müsste man da bei der Kirche nicht eher von einem Dauerkonflikt sprechen – mit einer Gesellschaft, die sich emanzipiert hat und seit Jahrzehnten ihre eigenen Wege geht?
Laudage-Kleeberg: Das ist auf jeden Fall richtig. Wenn ich das Wort Krise benutze, sage ich immer etwas pathetisch: Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus den beiden Zeichen für Gefahr und Chance. Das finde ich sehr interessant und ich glaube deshalb, dass auch die Krise der Kirche nicht ihr Ende sein muss. Aber sie währt schon sehr lang, das kann ich nicht vom Tisch wischen.
Frage: Wie wollen Sie mit der neuen Seite zu einer positiven Entwicklung beitragen?
Laudage-Kleeberg: Die Seite ist ja keine Gutmacher-Seite – sie möchte nichts beschönigen. Aber ich glaube, dass Fragen wie eine Art Katalysator wirken können: Wenn ich das, was ich fühle und erlebe, in eine Frage bringe, dann schafft das eine Art Brennpunkt auf ein Thema. Da hat zum Beispiel eine Frau geschrieben, die schon in den Neunzigerjahren aus der Kirche ausgetreten ist. Sie fragt, wie es sein kann, dass die Kirche die DNA von Barmherzigkeit hat und trotzdem der Institutionsschutz über den Opferschutz geht. Und dann erzählt sie ihre ganze Geschichte, die dem Austritt vorausgegangen ist und mit den schlimmen kirchlichen Vergleichen von Holocaust und Abtreibung zusammenhängt. Ich möchte genau diese Geschichten hinter den Fragen sichtbar machen, damit sich die Kirche, alle Amtsträger und alle Seelsorgenden diesen Themen stellen müssen, wenn sie es nicht bereits tun.
Frage: Verschiedene Gruppierungen, die solche Themen inhaltlich und strukturell aufgreifen, wurden mitunter als "Aktivisten" oder "Reformer" in Verruf gebracht. Gibt es demgegenüber eine stille Mehrheit, die einfach zufrieden ist und sich deshalb nicht zu Wort meldet?
Laudage-Kleeberg: Die stille Mehrheit ist verzweifelt. Wir haben vor drei Jahren im Bistum Essen eine Studie zum Kirchenaustritt herausgegeben. Und da war eines der Ergebnisse, dass rund 90 Prozent der Kirchenmitglieder zwar Kirchensteuer bezahlen, aber keine kirchlichen Angebote wahrnehmen. Und diese unsichtbare Mehrheit hängt meiner Meinung nach am seidenen Faden. Die sind absolut nicht zufrieden. Ich glaube, die wollen alle dringend was loswerden, aber die offizielle Kirche baut dafür ziemlich hohe Hürde auf. Und deshalb ist es mir wichtig, diesen Menschen ein sehr einfaches Kommunikationsangebot zu machen: Die Seite soll ein ganz einfacher Weg sein, Fragen zu stellen und etwas von sich zu erzählen.
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Frage: Wie wollen Sie konkret erreichen, dass die kirchlichen Verantwortungsträger diese Stimmen auch zu hören bekommen?
Laudage-Kleeberg: Mein Anliegen ist es nicht, konkrete Forderungen zu veröffentlichen. Obwohl ich es eine ganz starke Aktion fand, wie Maria 2.0 ihre Thesen an die Domtüren gehängt hat. Ich kann mir aber gut vorstellen, wenn ein großes Bündel Fragen zusammengetragen ist und zentrale Themen sichtbar werden, dass ich damit losgehe und bei verschiedenen Generalvikaren und Bischöfe anklopfe und sage: Mensch, wollen wir darüber nicht mal ein ehrliches Interview führen, das wir dann veröffentlichen können? Und ich glaube, dass das der Kirche insgesamt, aber sicherlich auch jedem einzelnen, der sich diesen Fragen stellt, total guttun würde.
Frage: Was denken Sie, warum die Bischöfe auf diese Fragen nicht selbst kommen?
Laudage-Kleeberg: Ich bin mir sicher, die Fragen haben alle schon mal gehört. Und viele Bischöfe haben auch erkannt, dass wir an einem absoluten Tiefpunkt sind und es dringenden Handlungsbedarf gibt. Aber noch sind die äußeren Zwänge für die Verantwortungsträger vielleicht zu hoch. Und es gibt natürlich welche, die das nicht nur nicht verstanden haben, sondern einfach negieren. Und das halte ich für eine absolute Katastrophe.
Frage: Befürchten Sie keine Konsequenzen, wenn Sie neben Ihrer kirchlichen Anstellung ein so kritisches Projekt in die Wege leiten?
Laudage-Kleeberg: Nein, da habe ich überhaupt keine Sorge. Mein Hauptberuf im Bistum Essen ist ja Organisationsentwicklung und insofern interessiere ich mich schon beruflich für das Thema Veränderung. Und ich habe mich natürlich mit meinen Vorgesetzten abgestimmt und da war die einhellige Meinung: Fragenstellen darf man ja wohl. Wahrscheinlich wäre das vor 20 Jahren so nicht möglich gewesen, das weiß ich nicht. Aber ich glaube, da hat sich im kirchlichen Umgang viel weiterentwickelt und ich arbeite natürlich in einem ausgesprochen vorausdenkenden und realitätsbereiten Bistum.
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Frage: Sie knüpfen an ein Augustinus-Zitat an "Unter dem Blick deiner Augen bin ich mir selbst zur Frage geworden" und wünschen sich eine Kirche, die alles hinterfragt, auch sich selbst. Welche Aspekte müssen Ihrer Meinung nach denn am dringendsten auf den Prüfungstand?
Laudage-Kleeberg: Ich kann jetzt natürlich alle schmerzlichen Klassiker aufzählen, die wir sowieso kennen – die Rolle der Frauen, die Akzeptanz von Diversität jeglicher Art und so weiter. Ich würde es aber lieber etwas abstrakter sagen: Ich glaube unser zentrales Problem ist, dass wir die Botschaft nicht mehr richtig durchdenken. Die biblische Erfahrung sagt uns, ihr seid mit allem, was euer Leben ausmacht, auch mit dem, was euch nicht gelingt, geliebt und angenommen. Und auf der anderen Seite haben wir eine institutionelle Kirche, die dieses Leben reglementiert und sanktioniert. Diese Bereitschaft, unterschiedliche Lebensentwürfe und auch Brüche im Leben anzuerkennen, wird weder rechtlich noch dogmatisch ausreichend gut gezeigt. In der Pastoral gibt es ganz viele, die das wunderbar sichtbar machen: Wir Menschen sind auch mit unseren Brüchen bei Gott angenommen und geliebt. Aber wie kann es sein, dass es uns nicht gelingt, diese zentrale Botschaft auch offiziell umzusetzen? Die Leute merken das und wollen da nicht mehr mitmachen, und das betrifft inzwischen längst auch den inner circle.
Frage: Was ist dementsprechend Ihre zentrale Frage an die Kirche?
Laudage-Kleeberg: Was hält dich davon ab, den Menschen so zugewandt zu sein, wie deine Botschaft es eigentlich vorsieht?
Link
Auf ihrer neuen Website lädt Regina Laudage-Kleeberg zur Beteiligung ein: "Wenn Sie Amtsträgern, Gläubigen oder der Kirche allgemein eine Frage stellen könnten, wie würde diese lauten?"