Eklat bei der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas
Das Tischtuch zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern bei der Caritas scheint zerschnitten zu sein. Nach dem Konflikt um die Einführung eines Flächentarifs, der in der Arbeitsrechtlichen Kommission Anfang des Jahres vor allem an den Stimmen der Vertreter der Dienstgeber gescheitert war, scheint ein normales Arbeiten kaum mehr möglich zu sein. Eigentlich war für den Donnerstag eine reguläre Sitzung des Gremiums vorgesehen, das die Rahmenbedingungen für das Arbeitsrecht der über 600.000 Beschäftigten in 25.000 Caritas-Einrichtungen in ganz Deutschland setzt. Doch dazu kam es nicht.
Spätestens seit dem letzten Termin stehen die Zeichen auf Sturm – und nicht nur wegen des Pflege-Flächentarifs. Nach der hitzigen öffentlichen Diskussion um die Ablehnung hatte es zunächst noch Hoffnung gegeben, dass bei der Dienstgeberseite ein Umdenken stattgefunden haben könnte und es vielleicht doch noch eine Chance gegeben hätte, die erforderliche Zustimmung des kirchlichen Sozialverbands für die Einführung von Mindeststandards für die gesamte Branche zu erreichen. Doch schon vor der April-Sitzung wurde deutlich, dass es dazu wohl nicht kommen würde: Die Dienstgeberseite kündigte an, nicht anders abstimmen zu wollen, und Caritas-Präsident Peter Neher, selbst nicht Teil des Gremiums, bedauerte zwar das Abstimmungsergebnis, sah eine erneute Abstimmung aber nicht mit seinem Demokratieverständnis vereinbar.
Übers Urlaubsrecht kommt es zum Zerwürfnis
Daher verzichteten auch die Dienstnehmer, den Antrag erneut einzubringen. Zur Befriedung trug das nicht bei: Aus Kreisen der Kommission verlautete schon kurz nach der Sitzung, dass die Aussprache zum Thema hitzig geführt wurde. Schließlich kam es nach kontroversen Diskussionen zum Urlaubsrecht zum Eklat. In der Sache ging es dabei – wie in dem Gremium üblich – um eine vergleichsweise trockene tarifliche Materie, allerdings mit relevanten Auswirkungen für Beschäftigte: Es gab unterschiedliche Ansichten dazu, wie der über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehende Urlaubsanspruch behandelt werden solle. Die Dienstgeberseite wollten über das Gesetz hinaus vereinbarten Urlaub nur gewähren, wenn die Beschäftigten auch tatsächlich arbeiten – bei Krankheit würde also kein Urlaubsanspruch entstehen. Das sahen die Dienstnehmer anders. Sie wollten, dass der gesamte Urlaubsanspruch gleich behandelt wird. Eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, gerade für Langzeiterkrankte, sei unsozial, schädlich für die Personalgewinnung und gerade in Pandemiezeiten ein Schlag ins Gesicht der Caritas-Beschäftigten, teilten sie mit. Anträge der jeweiligen Seiten konnten die erforderliche Dreiviertelmehrheit nicht erzielen – beide Anträge erhielten laut einer Mitteilung der Dienstnehmerseite jeweils nur die Stimmen der eigenen Fraktion. Selbst der Antrag, einen Ausschuss zum Urlaubsrecht einzurichten, wurde abgelehnt.
Stichwort Arbeitsrechtliche Kommission
Die Kirchen haben auf Grundlage ihres grundgesetzlich geschützten Selbstverwaltungsrechts ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts entwickelt. Werkzeuge des Arbeitskampfs, also Streik und Aussperrung, sind dabei ausgeschlossen, das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht. Stattdessen soll der Interessenausgleich im Arbeitsvertragsrecht konsensorientiert zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern herbeigeführt werden. Alle Fragen des Arbeits- und Tarifrechts werden daher durch paritätisch besetzte Kommissionen geregelt. Im Bereich der Caritas sind dafür die "Arbeitsrechtlichen Kommissionen" zuständig. Die Bundeskommission besteht aus 62 Mitgliedern und beschließt mit Dreiviertelmehrheit. Sie trifft ihre Entscheidungen zu den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten innerhalb der Caritas ohne Beteiligung oder Weisungsrecht anderer Organe des Verbandes. (fxn)
Auch wenn einige eher kosmetische Änderungen noch beschlossen werden konnten: Die Stimmung schien auf dem Nullpunkt zu sein. "Die verbalen Auseinandersetzungen zum Tarifvertrag Altenpflege, zum Urlaubsrecht und zu Arbeitszeitfragen hatten die Emotionen von Beginn an bereits hochkochen lassen", berichtet die Dienstnehmerseite. Heftige Diskussionen über den Entwurf zu einer neuen Präventionsordnung gegen sexualisierte Gewalt – die Dienstgeberseite brachte einen Antrag zur Abstimmung ein, die Dienstnehmer sahen ihren angemeldeten Diskussionsbedarf übergangen – waren dann zu viel: Am Nachmittag kehrten die Dienstgeber nach einer Pause nicht zurück an den Verhandlungstisch – die Kommission war nicht mehr beschlussfähig und musste die Beratungen abbrechen. Im "Dienstgeberbrief", dem Newsletter der Dienstgeberseite, las sich das so: "Die Mitglieder der Dienstgeberseite haben die Sitzung unter Protest verlassen. Grund hierfür waren im Ton unangemessene Äußerungen der Mitarbeiterseite gegenüber Wortbeiträgen von Mitgliedern der Dienstgeberseite, die sich durch die gesamte Sitzung zogen und an dieser Stelle in einem erneuten direkten, persönlichen Angriff gipfelten. Eine Rückkehr zum Tagesgeschäft ist für die Dienstgeberseite möglich, wenn eine Klärung über den Umgang miteinander erfolgt ist."
Keine Sitzung bis Herbst – Denkpause oder Stillstand?
Auch zwei Monate später haben sich die Wogen nicht geglättet. Den ersten Aufschlag machte in der vergangenen Woche die Dienstgeberseite: Sie meldete sich geschlossen von der Sitzung ab. "Beide Seiten haben dadurch über den Sommer eine Denkpause, die hoffentlich im Herbst wieder sachliche Verhandlungen zulässt", begründete das der Sprecher der Dienstgeberseite Norbert Altmann mit Verweis auf den scharfen Ton bei der letzten Sitzung: "Nicht akzeptable verbale Grenzüberschreitungen haben zu einer Störung in der Zusammenarbeit geführt." Jetzt gelte es, "Spielregeln für einen gegenseitigen respektvollen Umgang einhalten".
Am geplanten Termin der Sitzung legte die Dienstnehmerseite nach. Deren Sprecher Thomas Rühl bedauerte die Absage, verbunden mit deutlicher Kritik an seinem Gegenüber: "Durch dieses Verhalten werden die Dienstgeber ihrer Verantwortung nicht gerecht!" In der Erklärung teilte er auch seine Sicht auf die vorgeworfenen "verbalen Grenzüberschreitungen" mit: "Gemeint waren deutliche Worte von Mitgliedern der Mitarbeiterseite gegen den Versuch der Dienstgeberseite, in das Arbeitszeit- und Urlaubsrecht einzugreifen", so Rühl. In der Debatte seien dann immer wieder weitere Konfliktthemen zur Sprache gekommen – "von der anfänglichen Ablehnung einer Corona-Einmalzahlung Ende letzten Jahres bis zur Verweigerung der Zustimmung des allgemeinverbindlichen Tarifs Altenpflege im Februar".
Im Januar werden die Gremien neu konstituiert
Erstmals wird auch explizit mitgeteilt, was wohl der Grund für den ersten Eklat der abgebrochenen Sitzung war: "In einigen Beiträgen erinnerten Mitarbeitervertreter daran, dass der Dritte Weg auch einen moralischen Auftrag bedeute. Das dürfe die Dienstgeberseite nicht verdrängen!", so Rühl. Während die Dienstgeberseite darauf hofft, dass die Ausschüsse und Regionalkommissionen der Caritas in den sechs Monaten "Denkpause" gut arbeiten können, verweist die Dienstnehmerseite darauf, dass die anderen Gremien auf Arbeitsergebnisse der Bundeskommission angewiesen seien. "Mit dem Verhalten der Dienstgebervertreter drohen nun sechs Monate Stillstand in der Arbeitsrechtlichen Kommission. Es gibt genug zu tun!", betont Rühl.
Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation ist zur Zeit nicht in Sicht – strittige Sachfragen und schlechte Stimmung scheinen sich zu einem Konfliktbündel vermengt zu haben, das kaum aufzulösen ist, womöglich noch befördert durch die Corona-Pandemie: Seit Monaten tagen die Gremien per Videokonferenz, wo man nach hitzigen Diskussionen Konflikte nicht von Angesicht zu Angesicht in der Pause bei einem Kaffee und unter vier Augen entschärfen kann. Eine Lösung könnte dafür die Zeit bringen: Die läuft nämlich ab für diese Amtsperiode der Arbeitsrechtlichen Kommission. Die ersten Wahlen haben in den Bistümern bereits begonnen. Im Januar 2022 konstituieren sich die arbeitsrechtlichen Gremien neu – und finden dann vielleicht in neuer Zusammensetzung eine Lösung.
Hintergrund: Konflikt um den Pflege-Flächentarif
Die Arbeitsrechtliche Kommission hatte Ende Februar einem Antrag auf flächendeckende Einführung des Tarifvertrags für die Altenpflege überraschend nicht zugestimmt. Für die Beschlussfassung wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig gewesen. Die Dienstgeberseite hatte Befürchtungen geäußert, dass ein Flächentarif die Pflicht von Kostenträgern zur Refinanzierung der höheren Caritas-Sätze gefährden würde. Dem traten Vertreter der Dienstnehmerseite entgegen. Die Ablehnung des Flächentarifs hatte zu einer großen öffentlichen Debatte geführt. Unter anderem hatten sich 17 Professoren für katholische Sozialethik mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet, in der sie eine erneute Abstimmung forderten, die Gewerkschaft ver.di rief zu Protesten auf. Caritas-Präsident Peter Neher, der selbst nicht Teil der Arbeitsrechtlichen Kommission ist, bedauerte zwar das Ergebnis und sah darin einen Schaden für die Glaubwürdigkeit der Caritas. Dies komme zu Unzeiten für die katholische Kirche, so Neher weiter. Er betonte jedoch auch, dass es für eine erneute Abstimmung keine Grundlage gebe, auch wenn er sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. Zu einer erneuten Abstimmung in der Arbeitsrechtlichen Kommission kam es nicht. (fxn)