Standpunkt

Die Kirche ist groß genug für Gegensätze – und für Kompromisse

Veröffentlicht am 29.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das heutige Hochfest Peter und Paul hat es nach Ansicht von Tilmann Kleinjung in sich. Denn die beiden Apostelfürsten waren sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die handfesten Streit hatten. Darin sieht der Journalist ein Vorbild für die Kirche.

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Heute ist Feiertag in Rom und im Vatikan: Peter und Paul. Die Römer haben arbeitsfrei zu Ehren der beiden Apostel, die ganz wesentlich zur Verbreitung des christlichen Glaubens beigetragen haben und dafür auch mit ihrem Leben bezahlen mussten. Petrus und Paulus waren unterschiedliche Typen und sie hatten, so wird es überliefert, handfeste Meinungsverschiedenheiten. Die Versöhnung fand post mortem statt, indem das frühe Christentum beider an einem gemeinsamen Feiertag gedachte. Dieser Tag steht auch dafür, dass die Kirche durchaus in der Lage sein kann, Unterschiede auszuhalten, Gegensätze zu versöhnen.

Heute scheint die katholische Kirche weit von diesem Ideal entfernt. In der deutschen Reformdebatte stehen sich ohne Aussicht auf Kompromiss zwei Lager gegenüber. In den USA diskutierten katholische Bischöfe darüber, katholische Politiker wegen ihrer Haltung zur Abtreibung vom Empfang der Kommunion auszuschließen. Immer geht es darum, Prinzipien zu verteidigen, Kompromisse zu kompromittieren. Denen, die die katholische Kirche verändern wollen, fehlt die Geduld, auch kleine Schritte als Fortschritte zu akzeptieren. Und denen, die ihre Kirche bewahren wollen, fehlt die Weisheit des Tommaso di Lampedusa: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert."

Vom Papst, der einst angetreten war, die Lehre mit der Wirklichkeit zu versöhnen ("Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee"), ist keine Hilfe zu erwarten. Er spricht von einer "synodalen" Kirche. Aber wenn es darum geht, Synodalität mit Leben zu füllen, kommt garantiert ein Schreiben aus Rom, das dem Adressaten klarmacht, warum dieses und jenes nicht geht. Der Brief von Franziskus, mit dem er den Rücktrittswunsch des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx abschlägig beschieden hat, ist ein weiteres Zeugnis dieser Ambivalenz. Da finden sich sowohl Reform-Befürworter wie -Gegner wieder. Das mag als Strategie taugen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen, führt aber kaum zu Fortschritten. Der Gedenktag der so grundverschiedenen Apostel Petrus und Paulus zeigt: Die Kirche war und ist groß genug für Unterschiede, für Gegensätze und für Kompromisse.

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.