Kolumne: Mein Religionsunterricht

LGBTIQ: Wo Religionslehrer von Schülern lernen können

Veröffentlicht am 02.07.2021 um 13:49 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück/Bonn ‐ Die Diskussion um Regenbogenfarben an der Allianz-Arena in München war der Anlass für eine Religionsstunde über Homophobie. Die Vorbereitung dazu hat Jens Kuthe an seine Grenzen gebracht – und zur Frage, für wen er Religionsunterricht macht.

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Machen wir Religionsunterricht eigentlich noch für unsere Schüler*innen oder für uns selbst? Zu dieser Frage bin ich am Ende einer kurzen Unterrichtsidee zum Thema LGBTIQ+ im Religionsunterricht der Mittelstufe gekommen.

Anlass war ganz aktuell das Verbot der UEFA, die Regenbogenfarben an der Allianz Arena in München auszustrahlen. Ihr Agieren hat – wie wir auf allen Medienkanälen miterleben konnten – eher zur Verbreitung der Fragestellung und zur Intensivierung der Diskussion beigetragen.

Dies galt insbesondere auch für die Schüler*innen meiner Lerngruppe, die daher beschlossen, in einer Klassenstunde mit ihrem Klassenlehrer dazu ins Gespräch zu kommen. Eine Einführung in das Thema gestalteten zwei Schülerinnen mit einem Pecha Kucha zur LGBTIQ+-Bewegung, dem Pride-Month und zum Gendern (bei ersten Fragezeichen empfehle ich zum Überblick www.queer-lexikon.de). Bereits an dieser Stelle wurde sehr schnell deutlich, dass die eigentlichen Nutznießer dieses Einstiegsreferats die anwesenden Lehrkräfte waren. Die Schüler*innen waren mit vielen der Themen, Begrifflichkeiten und Formulierungen nicht nur vertraut, sondern konnten gezielt nachfragen beziehungsweise auf die Äußerungen eingehen.

Wie wird die Buntheit der Gesellschaft dargestellt?

Das Referat hatte die Zielsetzung, die Vielfarbigkeit von Geschlecht und Sexualität darzustellen, sodass sich folgerichtig am Ende des Referats und zum Einstieg in die Diskussion die Fragestellung ergab, ob in einer Gesellschaft, die solche Vielfalt umfasst und eigentlich ihre Buntheit feiern sollte, ein Verbot der Darstellung dieser Buntheit hinnehmbar sei. Dabei wurde in für eine Mittelstufe angemessener Weise nicht über die sogenannte "politische Dimension" der Forderung des Münchner Bürgermeisters, sondern über die grundsätzliche Frage der Darstellung von Buntheit einer Gesellschaft diskutiert. Während die Diskussion mit Blick auf den Fußballverband zum Teil doch diskursiv ausfiel, da viele sport- und vor allem fußballbegeisterte Schüler*innen für die Neutralitätsvorgaben des Verbandes grundsätzlich Offenheit zeigten, wurde im Verlauf des Gesprächs besonders deutlich, dass die Vielfalt innerhalb der Gesellschaft und deren Proklamation die Aspekte waren, die von allen Schüler*innen zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt wurden. Ganz im Gegenteil: es wurde massives Unverständnis bezüglich der Haltung geäußert, die unter anderem hinter dem Vorgehen in Ungarn zu stehen scheint.

Auch wenn nicht alle Nuancen der LGBTIQ+-Bewegung sofort für alle verständlich waren und zum Teil auch erstmal irritierten, gab es keinen Zweifel daran, dass der Oberbegriff "Mitmenschen" über allen stünde und damit Schutz vor Verfolgung und Diskriminierung in gleicher Weise, wie für sich selbst gelten müsse.

Der Regenbogen: Zeichen für Diversität mit religiöser Symbolik

In den vergangenen Wochen flatterte die Regenbogenflagge an Kirchentürmen, doch bei der Fußball-EM durfte das Stadion in München nicht in seinen Farben erleuchtet werden. Heute polarisiert der Regenbogen, doch seit Urzeiten ist er auch ein religiöses Hoffnungszeichen.

Konsequenterweise erging dann vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich angesprochenen Homophobie an mich die Frage als Religionslehrer, in wieweit diese Haltung in Kirche vorhanden sein (was die Schüler*innen für sich schon weitestgehend beantwortet hatten) und vor allem auf welcher Begründung diese Haltungen beruhen würden. Dementsprechend sah ich mich verpflichtet, die folgende Religionsstunde diesem Thema zu widmen.

Diese Vorbereitung hat mich an Grenzen gebracht. Ich erlebe hier junge Menschen (und mir ist bewusst, dass es Lerngruppen gibt, bei denen das so nicht der Fall sein wird), die mit einer reflektierten und herzlichen Offenheit die Vielfalt einer Gesellschaft als ein selbstverständliches Gut ansehen und es auch innerhalb ihrer Klassengemeinschaft leben und feiern. Sie sehen in ihrem Umfeld homosexuelle Paare neben heterosexuellen Paaren (wobei das auch schon wieder sehr binär meinerseits formuliert ist) und machen in der Qualität und Liebe dieser Beziehungen keinen Unterschied.

Müssen die Schüler*innen ihre Offenheit einschränken?

Muss ich als Religionslehrer nun verkünden, dass sie diese Offenheit bitte einschränken sollen? Dass ihre Glaubensgemeinschaft einen Teil dieser Offenheit nicht gutheißt? Dass eine Gruppe von vertrauensvollen, zärtlichen, liebevollen und treuen Paaren einen geringeren Wert aufweist als andere?

Ich bin inzwischen fest in dieser Glaubensgemeinschaft verwurzelt trotz so mancher niederschmetternder und demütigender eigener Erfahrungen im Namen der Kirche und unvorstellbarer Grausamkeiten im familiären Umfeld unter dem Schutzmantel der Kirche. Ziel meines Religionsunterrichts ist es nicht, die Schüler*innen zu überwältigen und in die Gemeinden zu scheuchen, aber doch zumindest den für mich erkannten und dann doch auch immer wieder erfahrenen Mehrwert dieser Gemeinschaft abzubilden und sie als eine wertvolle Option unter den Sinnangeboten darzustellen. Aber ich finde keine Worte dafür, warum eine Kläranlage eine Segnung verdient, aber eine homosexuelles Paar nicht.

Bild: ©privat

Ein Interview mit Mara Klein war für Religionslehrer Jens Kuthe wie eine Vertretung für seine eigene Sprachlosigkeit im Umgang der Kirche mit queeren Menschen.

Dankbar habe ich auf das Interview mit Mara Klein aus der Zeitschrift "Publik-Forum" zurückgegriffen. Eine Stimme aus dem Herzen des Synodalen Wegs als Vertretung für meine eigene Sprachlosigkeit erschien mir sinnvoll. Die Schüler*innen haben neben der Kritik von Mara vor allem mit dem Arbeitsauftrag "Gib mit eigenen Worten wieder, warum Mara trotzdem in der Kirche nicht nur bleibt, sondern sich engagiert." viel anfangen können.

Eine besondere Erfahrung für mich war noch die Ermahnung einer Schülerin (eine der beiden Referent*innen aus der Klassenstunde), die feststellte, dass ich doch in meinen Äußerungen über Mara immerzu feminine Formen nutzte. Da Mara sich selbst als nichtbinär vorstellt, sei dies doch die falsche Form. Und da hat sie einfach recht. Entgegen aller Aufmerksamkeit und inhaltlicher Vertiefung in dieses Thema, bin ich doch schlussendlich auch in die "normale" Sprechweise verfallen. Mara als Name klang für mich weiblich, also sprach ich auch so. Dankenswerterweise gab die Schülerin mir den Hinweis, den ich gerne mit Ihnen teile, einfach mit dem Namen zu arbeiten, was ich dann in diesem Text auch hoffentlich getan habe.

Haben die Schüler*innen die Botschaft der Nächstenlieber besser verstanden?

Der Hinweis der Schülerin hat mich tief beeindruckt. Leider werden mir in Zukunft gewiss noch öfters solche Ungenauigkeiten passieren, aber ich werde mich dankbar korrigieren lassen.

Am Ende bleibe ich mit der Frage "Machen wir Religionsunterricht eigentlich für unsere Schüler*innen oder für uns?" zwiegespalten. Natürlich versuchen wir die Lebenswirklichkeit unserer Schüler*innen abzubilden und die Vermittlung unserer zentralen Themen und Narrationen an ihrer Welt zu orientieren. Gleichzeitig stehen wir für eine Glaubensgemeinschaft, die aus dem Bekenntnis zum menschgewordenen Gott lebt und dieses als frohe Botschaft in die Welt in Wort und Werk tragen will, auch gegen Widerstände und in Zeiten der Bedrängnis. Aber was, wenn diese Schüler*innen die Botschaft von Nächstenliebe und Zuwendung mehr im Sinne ihres Urhebers leben als wir als Institution?

Von Jens Kuthe

Der Autor

Jens Kuthe unterrichtet Katholische Religion und Latein an der Ursulaschule Osnabrück. In der Abteilung Schulen und Hochschulen des Bistums Osnabrück ist er als Referent für Religionspädagogik für die Fort- und Weiterbildung von Religionslehrkräften sowie die Hochschulpastoral zuständig.

Linktipp: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

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