Nach wie vor kein Schutzgut "sexuelle Selbstbestimmung"

Kirchenrechtler Anuth: Neues kirchliches Strafrecht kein großer Wurf

Veröffentlicht am 09.07.2021 um 12:06 Uhr – Lesedauer: 

Tübingen ‐ Jahrelang hat der Vatikan an einem neuen kirchlichen Strafrecht gearbeitet. Nun setzte es Papst Franziskus in Kraft und fordert von den Bischöfen, es auch anzuwenden. Doch ein großer Wurf sei die Reform nicht, so der Tübinger Kanonist Bernhard Anuth.

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Der Tübinger Kirchenrechtler Bernhard Sven Anuth sieht in der Reform des kirchlichen Strafrechts keinen großen Wurf. Gegenüber der Zeitschrift "Publik Forum" (Freitag) sagte Anuth, dass zwar manches besser geworden sei, es sich aber nicht um eine grundsätzliche Neuaufstellung handle. Die Neuordnung der Sexualdelikte begrüßte der Kirchenrechtler, merkte jedoch an, dass sexualisierte Gewalt gegen Erwachsene rechtssystematisch weiterhin primär als Zölibatsverstoß gefasst werden. "Das Schutzgut 'sexuelle Selbstbestimmung' kennt das Kirchenrecht zudem nach wie vor nicht", so Anuth. Mit Blick darauf hatte die Bochumer Kirchenrechtlerin Judith Hahn von "systematischen Schieflagen" auch im neuen Strafrecht gesprochen. Der Kampf gegen Missbrauch könne "ohne einen grundlegenden Perspektivwechsel in der kirchlichen Sicht auf sexuelle Integrität" kaum gelingen, so Hahn.

Die Ausweitung des Täterkreises nicht mehr nur auf Kleriker sieht Anuth als eine "programmatische Veränderung", auch wenn das kirchliche Strafrecht nur begrenzt Wirkung entfallen könne: "Ein scharfes Schwert war und ist das kirchliche Strafrecht nur für diejenigen, die in einem existenziellen Abhängigkeitsverhältnis von der Kirche stehen, also Kleriker oder andere kirchlich Beschäftigte – und für die, die sich von geistlichen Strafen innerlich treffen lassen wollen", betonte der Tübinger Professor.

Strafrecht soll wirksames Instrument der Pastoral werden

An der Aufnahme eines Straftatbestands für Eltern, die ihre Kinder nicht katholisch taufen oder erziehen (can. 1367 CIC neue Fassung), könne man Prioritäten des Gesetzgebers erkennen. Die Pflicht zur Taufe und Erziehung in der Kirche habe schon zuvor bestanden. "Bei dieser Rechtspflicht hätte es der Gesetzgeber belassen und von einer zusätzlichen Strafdrohung absehen können. Dass es sie trotzdem weiterhin gibt, zeigt, dass der Gesetzgeber hier keine Kompromisse machen will", so Anuth. Es sei der erklärte Wille von Papst Franziskus, "das Strafrecht wieder zu einem wirksamen Instrument der Pastoral in der Hand der Bischöfe machen".

Mit der Anfang Juni veröffentlichten Apostolischen Konstitution "Pascite gregem Dei" hat Papst Franziskus die strafrechtlichen Normen im Buch VI des Codex Iuris Canonici (CIC), des kirchlichen Gesetzbuchs, neu gefasst. Die Reform gibt dem kirchlichen Strafrecht einen neuen Stellenwert, nachdem zuvor eine mangelnde Anwendung des Rechts insbesondere beim Umgang mit Missbrauch "viel Schaden" verursacht habe. Zu den Änderungen gehört die Ausweitung der Geltung auch auf Laien, eine Reform der Sexualdelikte und die Aufnahme von bisher in eigenen Gesetzen geregelten "schwerwiegenden Straftaten" sowie von Wirtschaftsstraftaten unmittelbar in den CIC. Die Reform tritt am 8. Dezember in Kraft. (fxn)