Vor 80 Jahren: Bischof von Galen predigt gegen Euthanasie
"Auf Heller und Pfennig" wollten Goebbels und Hitler mit ihm abrechnen: Clemens August Graf von Galen, seit 1933 Bischof von Münster, war in ihren Augen zum "Staatsfeind" geworden. Doch die Abrechnung glaubten die Nazis auf die Zeit nach dem Krieg verschieben zu müssen. Das ganze Rheinland und Westfalen seien für den Krieg abzuschreiben, wenn man aus dem Bischof einen Märtyrer mache.
Der Anlass für die Wut des "Führers": vor allem des Bischofs Predigten gegen Euthanasie und Nazi-Terror im Sommer 1941, vor 80 Jahren. Sie wurden unter der Hand in ganz Deutschland und an allen Fronten verbreitet. Auch die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" berief sich auf sie. Als einer von wenigen Bischöfe rang sich der "Löwe von Münster" zu öffentlichem Protest durch.
Schon zu Beginn der NS-Herrschaft hatte Galen, bei dessen Bischofsweihe 1933 erstmals Braunhemden in den Dom einmarschiert waren, deutliche Worte gefunden: 1934 brandmarkte der hoch gewachsene Geistliche die rassistischen und an eine pseudo-germanische Religion anknüpfenden Vorstellungen des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg. In der Folgezeit protestierte er immer wieder gegen die totalitäre Herrschaft der Nazis.
Hartes Durchhalten statt Revolution
Am deutlichsten wird das in drei Predigten vom Juli und August 1941: Weil Ordensniederlassungen von der Gestapo einfach aufgelöst und die Mönche und Nonnen aus ihrer Heimatprovinz ausgewiesen worden waren, kritisierte er am 13. und 20. Juli mit scharfen Worten die Rechtlosigkeit in Deutschland. "Der physischen Übermacht der Geheimen Staatspolizei steht jeder deutsche Staatsbürger völlig schutzlos und wehrlos gegenüber", rief er am 13. Juli von der Kanzel der Münsteraner Lambertikirche. Keiner sei mehr sicher, "dass er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der Geheimen Staatspolizei eingesperrt wird".
Eine Woche später fand der Bischof in Münsters Überwasserkirche ähnliche Worte: Die Rechtlosigkeit und der Terror der Gestapo zerstörten die Volksgemeinschaft, donnerte er von der Kanzel. Da Christen aber keine Revolution machten, gebe es nur ein Kampfmittel: starkes, zähes, hartes Durchhalten. "Wir sind Amboss und nicht Hammer", so die bildreiche Predigt, die lauten Beifall und ekstatische Zustimmung auslöste. "Wenn er hinreichend zäh, fest, hart ist, dann hält meistens der Amboss länger als der Hammer."
Am 3. August 1941 prangerte der Bischof auch den organisierten Mord an Altersschwachen und Geisteskranken an. "Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den 'unproduktiven' Menschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden." Mutige Worte, mit denen von Galen dafür sorgte, dass die Nazis das Euthanasie-Programm zumindest stark einschränkten: Zwischen Januar 1940 und August 1941 waren der von Hitler persönlich angeordneten "Erwachseneneuthanasie" mindestens 70.000 Insassen von Heil- und Pflegeanstalten zum Opfer gefallen.
Nach den Predigten des Bischofs wurde die sogenannte Aktion T4 zunächst abgebrochen. Der Luftkrieg ab 1943 und der dadurch wachsende Bedarf an Krankenhäusern lieferte dann erneut den Vorwand, um die Mordaktion wieder aufzunehmen. Nach Schätzungen wurden nach August 1941 nochmals 30.000 Behinderte ermordet.
Haltung von Galens zum Krieg umstritten
Von Galens Standhaftigkeit wurde weltweit anerkannt. Am 21. Februar 1946 erhob Papst Pius XII. den Münsteraner Bischof in Rom zum Kardinal. Einen Monat nach seiner triumphalen Rückkehr starb von Galen am 22. März 1946. 2005 wurde er seliggesprochen.
Dabei ist Galens Persönlichkeit nicht unumstritten. Historiker werfen ihm die moralische Unterstützung des Krieges gegen die Sowjetunion sowie nationalistische und moralische Ansichten vor, die in Teilbereichen durchaus mit denen der Nazis übereinstimmten. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf bezieht eine vermittelnde Position. Er beschreibt von Galen folgendermaßen: "Ein Obrigkeitsfanatiker, der jede staatliche Gewalt als von Gott kommend verstand, wird zum Widerständler gegen einen Staat, den er als Unrechtsregime erkennt und gegen dessen Morde an unschuldigen Menschen er öffentlich protestiert."