Beim Namen gerufen: Ordensnamen und ihre wechselhafte Geschichte
Pater Tarcisius aus dem Stift Heiligenkreuz heißt eigentlich Georg – das ist der Name, auf den ihn seine Eltern taufen ließen. Auf Georg hört er auch immer noch – Familie und Freunde aus der Zeit vor seinem Eintritt bei den Zisterziensern nennen ihn immer noch so, und in seinem Personalausweis steht weiterhin "Georg Sztubitz". In Österreich ist, wie in den meisten Ländern, kein besonderes Feld im Ausweis für Ordensnamen vorgesehen. "Mein Ordensname ist außergewöhnlich, den hört man nicht so häufig", erzählt der Pater. In seiner Jugend war er Oberministrant – Tarcisius ist der Patron der Ministranten. "So hatte ich einen persönlichen Bezug, und der Namen hat mir gefallen. Ich habe den Abt gefragt, ob ich diesen Ordensnamen haben dürfe, und er hat gleich ja gesagt", berichtet Pater Tarcisius. Der Name ist zwar nicht ganz einfach zu schreiben, und am Telefon muss man ihn meistens buchstabieren.
Die Tradition, dass Ordensleute einen neuen Namen annehmen, ist noch nicht so alt wie die Geschichte der Orden. Zwar gab es immer wieder in der Kirchengeschichte Beispiele dafür, dass ein neuer Name für einen neuen Abschnitt im Glaubensleben steht – Simon etwa, dem Jesus den Beinamen "Kephas", Petrus, gegeben hat, oder der Apostel Paulus, der nach seiner Bekehrung zum Christentum in den Schriften des Neuen Testaments nicht mehr mit seinem hebräischen Namen Saulus bezeichnet wurde. Oder Winfried, der unter seinem neuen Namen Bonifatius im 8. Jahrhundert Apostel der Deutschen wurde. Um diese Zeit sind auch noch weitere Beispiele für andere Ordensleute bekannt, die einen neuen Namen erhielten. Aber erst im Hochmittelalter wurden die Namensänderungen zu einem weiter verbreiteten Phänomen, um sich schließlich im 15. und 16. Jahrhundert zu etablieren.
Das hat auch Pater Tarcisius überrascht. Der Mönch hat sich in einer kirchenhistorischen Arbeit mit Ordensnamen befasst, in der er die Entstehung und Bedeutung dieser Tradition herausgearbeitet hat. "Das ist eine viel freiere Tradition, als ich mir das vor fünf, sechs Jahren gedacht habe, als ich mit der Arbeit begonnen habe", erzählt er. Der Mönch schätzt es, dass seine Gemeinschaft an dieser Tradition festhält – aber zugleich betont er auch, dass der neue Name nicht das wichtigste beim Ordenseintritt ist.
Rechtlich ein Niemandsland
Darauf deutet auch hin, wie die Kirche in ihrem Recht mit Ordensnamen umgeht: nämlich gar nicht; es gibt kein universalkirchliches Namensrecht, der Codex Iuris Canonici kennt nur die Bestimmung, dass Taufnamen nicht dem christlichen Empfinden widersprechen dürfen. Ordensnamen sind bestenfalls im Eigenrecht der einzelnen Gemeinschaften geregelt. Viele Konstitutionen enthalten aber auch gar nichts zu Ordensnamen.
Auch im weltlichen Recht sind Ordensnamen kaum geregelt: Dass im deutschen Personalausweis ein eigenes Feld für Künstler- und Ordensnamen vorgesehen ist, ist international die Ausnahme. In wenigen Ländern können Ordensleute daher mit ihrem Ordensnamen auch weltliche Rechtsgeschäfte abschließen, wie sie es in Deutschland ganz selbstverständlich tun. In der EU gab es 2008 nur in Irland, den Niederlanden, im Vereinigten Königreich und unter bestimmten Bedingungen in Zypern die Möglichkeit der Eintragung in den Ausweis oder Pass, wie die Bundesregierung in diesem Jahr in einer Antwort auf eine kleine Anfrage zu Ordens- und Künstlernamen mitteilte. Die Anfrage hatte einen für die Orden ernsten Hintergrund: Zuvor hatte der Bundestag mit den Stimmen der damaligen Großen Koalition im Zuge von Bürokratieabbauplänen das Zusatzfeld im Ausweis abgeschafft – ohne zu bedenken, dass viele Ordensleute nur mit ihrem Ordensnamen in Miet- und Versicherungsverträgen, in Testamenten, in den Unterlagen für Visa- und Aufenthaltsgenehmigungen und auf Zeugnissen auftauchen. Der vermeintliche Bürokratieabbau wurde zur großen Erleichterung der Orden nach einem Jahr wieder zurückgenommen – seitdem können deutsche Ordensleute ihren Namen auch wieder im Ausweis führen.
Große Vielfalt je nach Orden
Die fehlende rechtliche Grundlage im Kirchenrecht führt zu einem großen Pluralismus bei den Ordensnamen. Es gibt Orden, in denen eine Namensänderung noch nie üblich war, die Jesuiten etwa, die seit ihrer Gründung als Gemeinschaft eines ganz neuen Typs bewusst auf einige Merkmale des Ordenslebens – das Chorgebet, den Habit und eben Ordensnamen – verzichteten. In vielen Orden entscheidet noch heute der oder die Obere, so wie in Heiligenkreuz – dort haben die neuen Ordensleute aber ein Mitspracherecht, in der Regel folgt der Abt ihren Wünschen. In anderen Gemeinschaften legen die neuen Mitglieder dem Oberen eine Dreierliste vor, aus der dieser wählt.
Bei den Dominikanern ist der Ordensname eine "freiwillige, persönliche und autonome Entscheidung", berichtet der Novizenmeister der deutschen Ordensprovinzen, Pater Laurentius Höhn. Drei von vier Novizen wählten einen Namen, üblicherweise zur Einkleidung. Später kann der Name geändert werden – was aber selten vorkomme. "Erfahrungsgemäß wird der Taufname nicht vorschnell abgelegt und der Ordensname nicht leichtfertig gewählt", betont Pater Laurentius.
"Im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert hat man die Praxis der Ordensnamen fast schon unmenschlich betrieben", sagt Pater Tarcisius über diese Zeit, in der besonders viele Ordensleute eindeutige Namen brauchten – und fremdbestimmt zugeteilt bekamen. Das änderte sich mit dem Konzil, vor allem in den Frauenorden: War es zuvor üblich, dass der Ordensname von der Oberen ohne Mitspracherecht bestimmt wurde und die neuen Schwestern bei der Einkleidung oder der Profess überrascht wurden, hat sich das in vielen Gemeinschaften seither geändert. War zuvor die Zuteilung eines Namens als Übung der Demut gesehen worden, gewann danach die Wahl eines geistlichen Vorbilds mehr Bedeutung. So berichtet Schwester Elisabeth Kralemann, die Äbtissin der Benediktinerinnen von Kloster Engelthal, dass der Name der neuen Schwester bei der Einkleidung zwar eine Überraschung ist – aber für die Mitschwestern. Die Äbtissin und die Kandidatin haben ihn vorher besprochen.
Nach dem Konzil kam die große Freiheit
Dabei ist es auch möglich, den Taufnamen zu behalten, ergänzt die Äbtissin. "Der Name ist 'Programm' für den neuen Lebensabschnitt, kann aber auch für Kontinuität stehen", erläutert sie. Ähnlich ist es auch im Kloster Hegne der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz. "Seit 1968 kann die betroffene Anwärterin gegenüber der Ordensleitung ihren Wunsch bekunden, den Taufnamen auch als Schwesternnamen zu behalten, oder einen neuen Namen wählen", berichtet Schwester Josefa aus Hegne: "In meiner Zeit als Noviziatsleiterin war es für mich oft sehr bewegend, wie die jungen Frauen zu ihrer jeweiligen Entscheidung fanden und diese auch begründeten. Es wurde immer sehr deutlich, dass es um mehr geht als nur einen 'Etikettenwechsel', dass die Namenswahl etwas mit der persönlichen Berufung zu tun hat, dass es zur oder zum gewählten Heiligen eine geistliche Spur gibt." Sie selbst habe Josef, den Mann Marias, als Vorbild gewählt.
Schwester Maria Uttenreuther von den Dillinger Franziskanerinnen berichtet ähnliches. Zwar durften dort bis zur Konzilszeit Wünsche geäußert werden, die konnten aber nicht immer berücksichtigt werden – zumal jeder Name nur einmal in der Provinz vorkommen sollte. Als die Praxis geändert wurde, kehrten einige der Schwestern zu ihrem Taufnamen zurück. Heute können die Schwestern frei wählen, auch Namensdoppelungen sind möglich – allerdings tragen alle Schwestern zusätzlich den Namen Maria.
Der Wunsch, Doppelungen bei den Namen zu vermeiden, hat vor allem in an Ordensberufungen reichen Zeiten oft zu seltsamen Ergebnissen geführt – nicht immer zur Freude der Namensträger, die bisweilen kuriose Neuschöpfungen wie "Agathangelus" zugeteilt bekamen. Der Spiritaner-Bruder, der vor dem Konzil unter diesem Namen bekannt war, war nach dem Konzil sehr glücklich, als er sich Bruder Hubert nennen durfte, berichtet die Sprecherin des Klosters Knechtsteden. Die Spiritaner unterscheiden zudem zwischen den Brüdern und den Patres: Während die Patres keinen Ordensnamen tragen und nur einen zusätzlichen Patron erhalten, können heute die Brüder noch frei wählen, ob sie beim Taufnamen bleiben wollen oder nicht.
Martin Luther war kein Freund von Ordensnamen
Die fremdbestimmte Zuteilung von Namen hat noch ganz andere Blüten getrieben. Recht bekannt sind Bezüge zu marianischen Attributen und Festen: Ancilla (Magd), Annuntiata (Verheißung), Assumpta (Himmelfahrt), Cordula (Jungfrau, Mädchen), Immaculata (Unbefleckte), Oblata (Hingegebene) und Regina (Königin) sind nur einige Beispiele. Neben Heiligen wurde auch auf Tugenden Bezug genommen, Sophronia, die Besonnene, ist ein Beispiel, oder Fides, Spes und Caritas (Glaube, Hoffnung, Liebe). Bei den Dernbacher Schwestern soll bisweilen der Name des Vaters der Novizin in weiblicher Form vergeben worden sein, wenn die Eltern den Ordenseintritt nicht gutheißen wollten, quasi als Wiedergutmachung. Manchmal wurden ganze Kohorten benannt, etwa in alphabetischer Abfolge – Pater Tarcisius berichtet sogar von Neuzeller Zisterziensern mit den Namen Otto, Placidus, Isidorus, Abundus, Oswaldus und so weiter – der Abt vergab die Namen so, dass die Anfangsbuchstaben die Schlussworte des "Salve Regina" ergaben: "O pia, o dulcis virgo Maria". "Der letzte Novize erhielt den Namen Marianus, danach wurde das Kloster 1817 aufgehoben", schreibt Pater Tarcisius.
Kein Wunder, dass Ordensnamen daher auch immer in der Kritik standen – besonders zur Zeit der Reformation: Martin Luther war kein Freund von Ordensnamen. Dass er selbst einmal einen getragen hatte, nämlich Augustin, ist kaum bekannt. "Was könnte schändlicher sein oder ein größeres Sakrileg, als wegen des Anlegen des Habits den Taufnamen wegzuwerfen?", schrieb er gegen Ende seines Lebens. Das Argument des Taufnamens wird auch heute noch vorgebracht. Der Sprecher der deutschen Kapuzinerprovinz berichtet, dass Anfang der 1990er Jahre dort die Tradition des Ordensnamens abgeschafft wurde. "Heute ist es ein Ausnahmefall, der eigens genehmigt werden muss, und dann eher durch einen Zweitnamen gelöst wird als durch einen neuen Namen", so der Sprecher. Dahinter stehe letztlich das Ernstnehmen der Tauftheologie: "sprich: das Ordensleben steht nicht über der grundlegenden christlichen Berufung".
Dem kann auch Pater Tarcisius etwas abgewinnen. "Meinen Taufnamen schätze ich immer noch sehr", sagt er, auch wenn er nur noch von Familie und alten Bekannten verwandt wird. Zugleich ist er auch dankbar für die Tradition seines Klosters: "Ich habe mich aber immer gefreut auf den neuen Namen!", erzählt er von seiner Anfangszeit im Orden. "Für mich ist der neue Name Zeichen für einen neuen Abschnitt in meinem Leben. Ein Symbol für eine vertiefte Christusnachfolge."