Porträt zum Tod des Kirchenhistorikers

Arnold Angenendt: Fleiß, Akribie und Leidenschaft bis zuletzt

Veröffentlicht am 10.08.2021 um 09:37 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Seinen Studenten sagte er immerzu "No TV! Lesen Sie!" Denkfaulheit war dem Kirchenhistoriker Arnold Angenendt ein Gräuel. Mit Akribie und Leidenschaft krempelte er die kirchengeschichtliche Forschung um – zu ihrer Rettung.

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Auch auf kleinen niederrheinischen Kartoffeläckern können große Denker ihren Anfang nehmen. Arnold Angenendt war so einer. Mit seiner schwächlicher Statur tauge er nicht zur Landwirtschaft, urteilten die Eltern. Also radelte die Mutter kurzentschlossen nach Kriegsende 1945 ins acht Kilometer entfernte bischöflichen Internat Gaesdonck und meldete den Filius an. Ein Fahrradausflug mit beträchtlichen Folgen für die kirchengeschichtliche Forschung in Deutschland: Aus dem schmächtigen Asperdener Bauernsohn wurde einer der renommiertesten Kirchenhistoriker der Gegenwart. In der Nacht zu Montag ist der katholische Priester Angenendt im Alter von 86 Jahren in Münster gestorben.

Zwei Dinge zeichneten Angenendt in besonderem Maße aus: Da war zum einen sein enormer Fleiß. Mit unnachgiebiger Akribie ging er Quellen nach, brachte verschüttete Fakten ans Tageslicht. Es war der Fleiß desjenigen, der sich alles selbst erarbeiten musste: Erster Akademiker in einer alten Bauersfamilie. Hineingeboren 1934 in eine, wie er selber sagte, "volkskatholische und doch schon angefragte Dorfwelt".

Münster als Basisstation

Zugleich war es diese dörflich-bäuerliche Lebenswelt, die zum Zweiten führte, das Angenendt kennzeichnete: seine klare Sprache und Gedankenführung. Selbst kleinteilige Spezialforschung konnte er allgemeinverständlich erklären und in größere Zusammenhänge stellen. Angenendts mitreißende, humorvolle Rhetorik füllte Hörsäle wie Kirchenbänke gleichermaßen. Angenendt war Kult und als Lehrer unnachgiebiger Antreiber zum selbstständigen Denken.

Münster war Angenendts Basisstation: Dort wurde er 1963 zum Priester geweiht und hatte an der Universität von 1983 bis zu seiner Emeritierung 1999 den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte inne. Dort forschte er im Anschluss am Exzellenzkluster "Religion und Politik" weiter. Angenendts Hauptthema sowie lebenslange Leidenschaft war dabei die Geschichte der Religiösität im Mittelalter, so auch der gleichnamige Titel seines 1997 erschienenen Hauptwerks.

Kirchenhistoriker Arnold Angenendt verstorben

Der Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt ist tot. Der ausgewiesene Experte für die Kirchengeschichte des Mittelalters starb am Sonntag im Alter von 86 Jahren. Noch bis vor Kurzem publizierte der Priester und Theologe Fachbeiträge und Bücher.

Die größte wissenschaftliche Leistung Angenendts war es, mentalitäts- und sozialgeschichtliche Ansätze, wie sie von der französischen "Annales-Schule" und der "Nouvelle histoire" entwickelt wurden, für die kirchengeschichtliche Forschung fruchtbar zu machen. Wenn die Kirchengeschichte als Disziplin heute anschlussfähig für die Allgemeingeschichtsschreibung ist, Gesprächspartnerin auf Augenhöhe – dann sei das wesentlich Angenendts Verdienst, erklärt die Bonner Kirchenhistorikerin Gisela Muschiol, die bei ihm habilitierte.

Angenendt fragte nach dem Christentum als einer Organisationsform des Geistes, wie Frömmigkeit entstand und welchen Einfluss Religion auf die Entwicklung der Gesellschaft nahm. 2007 erschien sein viel beachtetes Buch "Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert." Das Werk räumte ebenso gründlich wie überzeugend mit prominenten Vorurteilen gegen das Christentum auf. Es legt dar, dass die Inquisition de facto ein Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit war und in den 317 Jahren ihres Bestehens lediglich 97 Todesurteile fällte. Selbst die der kirchlichen Lobhudelei unverdächtige Berliner Tageszeitung "taz" zollte der Publikation hohe Anerkennung.

"Mögest du, oh Herr, ihn nicht schlecht achten"

In Debatten um die Tridentinische Messe und den alten Ritus war Angenendt durch seine aktuellen Studien zur Messe im Mittelalter ein gefragter Gesprächspartner. Gegenüber konservativen Vertretern vertrat er die liberale Linie: Die Liturgie sei nicht vom Himmel gefallen, als solche nie der Zeit enthoben und keinesfalls unabänderlich. 2015 erschien "Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum", darin forderte er unter anderem, die Sinnhaftigkeit des Pflichtzölibats heute auf den Prüfstand zu stellen, ebenso wie die katholische Sexuallehre. Noch 2018 erschien sein Buch "Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Toleranz in der Geschichte des Christentums".

Angenendt, der seit einigen Jahren an Parkinson litt, ließ seine Grabplatte bereits zu Lebzeiten anfertigen. Die Inschrift: "Hier ruht einer, der fortwährend gutachten musste. Mögest du, oh Herr, ihn nicht schlecht achten."

Von Karin Wollschläger (KNA)