Kolumne: Römische Notizen

Bernd Hagenkord in Rom: Ein Wirken, das steht und strahlt

Veröffentlicht am 12.08.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Wer nach zehn Jahren Dienst im Vatikan weggeht, zurück nach Deutschland, bleibt irgendwie doch in Rom. So wie der jüngst verstorbene Jesuit Bernd Hagenkord. Unsere Kolumnistin Gudrun Sailer hat zehn Jahre im Vatikan mit ihm zusammengearbeitet. Eine Spurensuche.

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Er war ein Vorgesetzter, der nie einen auf Chef machte. Vorgesetzt wurde er uns, das ja: Wir hatten ihn nicht selber ausgesucht (hätten das aber getan, wären wir gefragt worden). Ganz so wie im Vatikan Sitte von alters her, wird auch bei den Jesuiten im Gegensatz zu anderen Orden nicht von unten gewählt, sondern von oben entschieden. Der Obere schickt, wen er für richtig hält. Der Obere schickte uns also im Herbst 2009 nach Rom in die deutsche Abteilung von Radio Vatikan Pater Bernd Hagenkord als Nachfolger von Pater Eberhard von Gemmingen, der leichten Herzens nach Hause zurückkehrte, aber seither und bis heute seine Seele in Rom sucht. Während Hagenkord nach zehn Jahren Rom und zwei Jahren München kürzlich heimgegangen ist. Am Gedenktag des heiligen Franz von Assisi, 4. Oktober, wäre er 53 geworden.

Erst rund um die Beerdigung in München ist mir aufgefallen, dass Bernd in Deutschland immer noch vorrangig als "Römer" galt, und das, obwohl er aus Rom schon länger weg und überdies im Auftritt entschieden unrömisch war. Das höfisch-klerikale Ambiente im Vatikan hatte ihn, den Ordensmann, in zehn Jahren nicht umgefärbt. Er war da resistent, auf die ihm eigene, unverbissene Art. Immer blieb er der Cord-Typ, als der er gekommen war. Aber intellektuell tauchte er so tief ein in den täglichen Vatikan-Betrieb, der ihm sein geistiges Futter wie auch seine bevorzugte Reibungsfläche bot, dass er zum Vatikan-Erklärer Deutschlands schlechthin werden konnte. Was wiederum im Vatikan offiziell kaum jemand zur Kenntnis nahm. Man ließ den deutschen Pater machen, Gottseidank, man ließ ihn die Päpste, die Kurie und die Kirche erklären und die andere Wange hinhalten, in TV-Studios und auf nicht immer bequemen Podien in seiner Heimat. Zur job description gehörte diese Mittlertätigkeit nicht, und sie ist anderen Spracheinheiten bei Vatican News bis heute fremd.

Linktipp: "Er ging zu früh": Reaktionen auf den Tod Bernd Hagenkords

Bernd Hagenkord starb mit gerade einmal 52 Jahren. Sein Tod hat bei Kirchen- und Medienvertretern große Trauer und Bestürzung ausgelöst. Zahlreiche Stimmen würdigten das vielfältige Wirken des Ordensmannes, Priesters und Journalisten. Katholisch.de gibt einen Überblick.

In dem, was er da tat, verkörperte Bernd für mich, was sein Mitbruder Papst Franziskus wiederholt als Zielvorgabe für die Kurienreform ausgegeben hat: Dienst, nicht Herrschaft. Beistand für die Ortskirchen, nicht Gängelung. Hören. Hinausgehen. Bernd war ein Geschenk zweier Häuser, des Vatikans und des Jesuitenordens, an die katholische Kirche deutscher Sprache, die einen klugen, zurückhaltenden Brückenbauer wie ihn dringend brauchte und braucht. In der päpstlichen Medienmaschinerie selbst mit ihren 600 Leuten war er ein mittelgroßes Zahnrad, deutlich hinter seinem Potential. Sein letztes Büro hier hatte vergitterte Fenster, die er mit Nichtbeachtung strafte. Wie auch anders für jemanden mit seinem Horizont? Bernd stand für die Weite, die Einheit in der Vielfalt, die Vorstellung eines Mosaiks verschiedener, doch gleichberechtigter Sprachen und Kulturen, auch journalistischer Kulturen.

"Auf Empfang"

Für die Weite im Kopf sorgte Bernd selbst. Wenn er aus dem Radio nach Hause kam in sein Ordenshaus, 70 Jesuiten und kaum einer aus Italien, machte er sich gerne Tee in der kahlen Cafeteria, mit dabei den Laptop. Auf dem las er, erzählte mir ein Kollege, nicht etwa Theologisches, sondern Schöngeistiges, Romane, Dinge, die nicht jeder Jesuit liest. Kam ein Mitbruder herein, klappte er den Laptop runter und schaltete mit einem Lächeln "auf Empfang" (so lautet auch die Unterzeile seines whatsapp-Profils). Im Sommer nutzte er den kleinen, zauberhaften Garten des Jesuitenhauses mitsamt den Vorzügen einer Hängematte, die ein einschlägig vorbelasteter Mitbruder dort installiert hatte. Zu besonderen Anlässen öffnete er diesen Garten, wie es vor ihm schon Pater von Gemmingen getan hatte, auch uns, seinen Mitarbeitenden, und unseren Familien. Tauffeiern, Erstkommunionfeste, Sommerparties stiegen dort. Als Gastgeber war Bernd so, wie man ihn kannte: gelassen, unaufdringlich, witzig, wohltemperiert, weder langsam noch schnell, sondern einfach richtig. Beidbeinig statt breitbeinig. Gern am Grill operierend oder Gin Tonics mixend. Da standen wir dann und sahen über die Gartenmauer auf den Tiber und die Kuppeln der Stadt, die Bernd als Fotograf über die Jahre in hundertfacher Brechung einfing, immer Schwarzweiß.

In seinem Ordenshaus, so erzählt mir ein anderer Mitbruder, führt der Weg zum Speisesaal über die Krankenstation. Das ist kein Konstruktionsfehler, sondern weises Kalkül. Wer zum Essen geht, also jeder, kommt in Berührung mit den alten oder pflegebedürftigen Jesuiten der Gemeinschaft. Alle paar Wochen wird einer abberufen. Unterwegs zum Abendbrot lässt sich lernen, wie es gelingen kann, gut zu altern und zu sterben. Dass es Bernd in München getroffen hat und nicht in Rom, ist am Ende unerheblich. Aber was er in Rom bewirkt, gegeben und gelernt hat, steht und strahlt.

Von Gudrun Sailer

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.