DDR-Regime wollte an ihrer Stelle ein sozialistisches Stadtzentrum errichten

Die Sprengung der Rostocker Christuskirche: Ein politischer Willkürakt

Veröffentlicht am 12.08.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rostock ‐ Vor 50 Jahren sprengte die DDR-Regierung die katholische Rostocker Christuskirche. Sie ist eines von vielen Gotteshäusern, das sozialistischen Plänen weichen musste – die in diesem Fall nie realisiert wurden. Doch heimatlos wurde die Gemeinde nicht.

  • Teilen:

Sie war die größte katholische Kirche Mecklenburgs und der ganze Stolz der katholischen Minderheit: Vor 50 Jahren wurde die Rostocker Christuskirche aus ideologischen Gründen vom DDR-Regime gesprengt. Noch heute erinnern sich viele Gläubige mit Wehmut an das einstige Gotteshaus. "Viele Katholiken hatten ihr Herz an die alte Kirche gehängt", sagt der frühere Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Georg Diederich. Er war Direktor des Schweriner Heinrich-Theissing-Instituts, das die Kirchengeschichte Mecklenburgs erforscht, und ist Autor eines Buchs über die Zerstörung der Christuskirche.

Anfang des 20. Jahrhunderts war es Anhängern der katholischen Konfession im protestantisch geprägten Mecklenburg untersagt, eigene Kirchen mit Turm zu errichten. Nachdem der zuständige Bischof von Osnabrück ein Grundstück in Rostock erworben hatte, wagten es die selbstbewussten Rostocker Katholiken dennoch, einen Bauantrag zu stellen. Überraschend ernteten sie Zustimmung und errichteten einen repräsentativen, neogotischen Klinkerbau in zentraler Lage. In dem 68 Meter hohen Turm wurden drei Glocken untergebracht. "Die Katholiken in Rostock hatten plötzlich Ansehen", erklärt Diederich.

Rücksicht auf protestantische Mehrheit

1909 wurde die Kirche dem Heiligen Herzen Jesu geweiht. Aus Rücksicht auf die protestantische Mehrheit, die mit der Herz-Jesu-Verehrung der Katholiken nichts anfangen konnte, wurde sie jedoch Christuskirche genannt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gotteshaus beim großen Bombenangriff auf Rostock am 11. April 1944 zerstört. Acht Menschen kamen dabei zu Tode. Unter Mithilfe zahlreicher Flüchtlinge und Vertriebener wurde schon 1945 mit dem Wiederaufbau begonnen. "Die ersten Glocken, die nach dem Krieg wieder in Rostock läuteten, waren die Glocken der Christuskirche", so Diederich.

Eine DDR-Fahne wird am Freitag (13.08.2010), dem 49. Jahrestag des Mauerbaus, vor dem Brandenburger Tor in Berlin gehalten
Bild: ©picture alliance / dpa / Rainer Jensen (Symbolbild)

1969 erfuhr man von Plänen der DDR-Regierung, nach denen die Rostocker Christuskirche abgerissen werden sollte. Das Regime wollte den Zentren der größeren Städte einen sozialistischen Stempel aufdrücken. Kirchbauten vertrugen sich nicht mit dem atheistischen Weltbild der Partei.

Gut 20 Jahre lang diente sie der Gemeinde erneut als Heimat, bis Anfang 1969 der damalige Pfarrer Nikolaus Schnitzler von Plänen der DDR-Regierung erfuhr, nach denen die Kirche abgerissen werden sollte. Das Regime wollte den Zentren der größeren Städte einen sozialistischen Stempel aufdrücken. Kirchbauten vertrugen sich nicht mit dem atheistischen Weltbild der Partei. So waren auch andernorts bereits repräsentative Gotteshäuser gesprengt worden, etwa die Marienkirche im benachbarten Wismar, die Garnisonkirche in Potsdam und die Paulinerkirche in Leipzig. An ihre Stelle traten vielfach sozialistische Hochbauten.

Schnitzler protestierte gegen die Pläne in Rostock. Doch den Abriss des Gotteshauses konnte er trotz Schützenhilfe der Bischofskonferenz nicht abwenden. Allerdings ließen sich die Genossen auf einen Kompromiss ein. Der Gemeinde wurden ein Ersatzgrundstück am Rand der Innenstadt und eine Entschädigungszahlung angeboten. Dafür musste die katholische Kirche, die gute Kontakte in den Westen pflegte, Devisen von dort beschaffen. "Die Katholiken hatten sich damit abgefunden, dass sie mit der Verlegung ihrer Kirche zwar aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn der Stadtgesellschaft gerieten", sagt Diederich.

Grundstein für den Ersatzbau

Am 16. September 1970 wurde der Grundstein für den Ersatzbau am Borenweg gelegt, am 12. Juni des Folgejahres die neue Christuskirche eingeweiht. Zwei Tage zuvor hatte in der alten Kirche der letzte Gottesdienst stattgefunden. "Dabei war schon im April klar, dass aus dem geplanten sozialistischen Stadtzentrum nichts werden würde, weil die DDR pleite war", so Diederich. Am Abrissplan hielt das Regime jedoch fest. Am 12. August 1971 wurde die alte Christuskirche unter den Blicken zahlreicher Schaulustiger gesprengt.

Ihr Standort am Schröderplatz blieb bis 2012 unbebaut. Heute steht dort ein Hotel, die Umrisse der früheren Kirche wurden in das Gehwegpflaster eingelassen. In unmittelbarer Nähe erinnert zudem ein Mahnmal an das Gotteshaus. Die neue Christuskirche – ein quadratischer Betonbau mit wellenförmigem Dach – ist weiterhin Heimat der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde. Ein Glasfenster, mehrere Heiligenstatuen und einige weitere Stücke aus der alten Kirche haben dort ebenfalls einen Platz gefunden.

Am Donnerstag will die Gemeinde mit einer Gedenkstunde an den Akt politischer Willkür erinnern, dessen Opfer sie 1971 wurde. Dazu wird auch der frühere Bundespräsident Joachim Gauck erwartet, der aus Rostock stammt und damals evangelischer Pastor in Mecklenburg war.

Von Michael Althaus (KNA)