200 Jahre Oberrheinische Kirchenprovinz im Südwesten

Nach Napoleons Niederlage organisierten sich Staat und Kirche neu

Veröffentlicht am 16.08.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Die Französische Revolution und das Ende des Deutschen Reichs bedeuteten den größten Umbruch der kirchlichen Verhältnisse Deutschlands seit der Reformation. Es galt, das Miteinander von Staat und Kirchen neu auszuhandeln.

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Nach zäher, staatlich-kirchlicher Diplomatie errichtete Papst Pius VII. vor genau zwei Jahrhunderten die neuen Bistümer Freiburg und Rottenburg. Gleichzeitig begründete das auf den 16. August 1821 datierte päpstliche Dokument "Provida solersque" eine Neuordnung der katholischen Kirche im Südwesten Deutschlands. Denn auch die Grenzen der Bistümer Fulda, Limburg und Mainz wurden neu geschrieben und unter der Leitung Freiburgs zur Oberrheinischen Kirchenprovinz zusammengefasst.

Den höchsten Preis für die Neuordnung zahlte 1821 das traditionsreiche, historisch bedeutsame Bistum Konstanz – im Spätmittelalter Schauplatz der einzigen Papstwahl nördlich der Alpen. Denn Papst Pius VII. dekretierte in "fürsehender und eifriger Sorgfalt" und in zugleich drastisch-unmissverständlichem Ton, dass "Namen, Natur, Wesen und aller Bestand" des Bistums Konstanz "unterdrückt, zernichtet und vertilgt" seien. Zusätzlich fielen an Freiburg Teile der früheren Bistümer Straßburg, Speyer, Mainz, Worms und Würzburg.

Zugleich drückte der Papst seine Hoffnung aus, dass die Bistumsneugründungen in der "ausgezeichneten Hauptstadt im Breisgau" und dem "mitten im Königreiche Württemberg" gelegenen Rottenburg der "Erhöhung des wahren Glaubens und zur Beförderung der catholischen Religion" dienen werden.

Umwälzungen der Französischen Revolution

Die Vorgeschichte der Neuaufteilung Südwestdeutschlands liegt in den verheerenden politischen Umwälzungen der Französischen Revolution, Napoleons Niederlage, der Säkularisierung – also Aufhebung des Kirchenbesitzes – sowie in der europäischen Neuordnung durch den Wiener Kongress (1814-1815). Die kirchlichen Angelegenheiten konnten dort indes nicht wirklich geklärt werden. Dies versuchten daher 1821 die päpstlichen Bullen "De salute animarum" für Preußen und eben "Provida solersque" für den südwestdeutschen Raum nachzuholen. Zuvor hatte der Heilige Stuhl – das Rechtssubjekt der katholischen Weltkirche – bereits mit dem bayerischen Staat ein Konkordatsabkommen geschlossen.

Gemeinsames Ziel war die Angleichung der Kirchenprovinzen an die staatlichen Grenzen. Bereits seit dem 18. Jahrhundert drängten die Staaten auf eine Unter- und Einordnung der Kirchen und Religionen im Sinne von Staatskirchen. Die damit verbundenen Kämpfe und Auseinandersetzungen waren mit den formalen Bistumsgründungen dabei keineswegs ausgefochten. Vielmehr zogen sich die Konfliktlinien bis in den Staat-Kirchen-Kampf der 1870er Jahre. Weitreichende Freiheiten errangen die Kirchen erst durch die Verfassung der Weimarer Republik. Deren Bestimmungen wirken bis heute im Grundgesetz und der daraus abgeleiteten wohlwollenden Neutralität des Staates gegenüber den Kirchen und Religionen nach.

Bild: ©picture alliance / © Fine Art Images/Heritage Imag

Papst Pius VII. ordnete die kirchliche Landschaft neu.

Doch zunächst war von der Erfindung des Erzbistums Freiburg und der Erhebung der damals kaum 9.000 Einwohner zählenden Stadt zum Erzbischofssitz kaum etwas zu spüren, wie Diözesanarchivar Christoph Schmider beschreibt. "Die Papstbulle wurde 1821 nicht veröffentlicht, sondern erst sechs Jahre später, als endlich klar war, dass der bisherige Münsterpfarrer Bernhard Boll (1756-1836) erster Freiburger Erzbischof werden konnte." Im Königreich Württemberg dauerte die Besetzung des Bischofsstuhls noch ein Jahr länger: Am 20. Mai 1828 wurde Johann Baptist von Keller (1774-1845) erster Rottenburger Oberhirte.

Theorie und Praxis

Zwischen der formalen Errichtung und der Umsetzung in die Praxis, dem Beginn der realen Arbeit der Diözesen, vergingen also mehrere Jahre. Dies mag auch ein Grund sein, warum die beiden baden-württembergischen Diözesen so gut wie kein Aufheben um den runden Jahrestag machen und die 200-Jahr-Feiern der Diözesen mit der Einsetzung der Bischöfe 1827 und 1828 verbinden.

Am Anfang standen jedenfalls Personalquerelen: Der als Favorit auf das Freiburger Erzbischofsamt gehandelte Konstanzer Bistumsverwalter Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg (1774-1860) war in Rom ein rotes Tuch. "Dem Vatikan galt Wessenberg als gefährlicher Aufklärer. Ihm schlugen gar Vorwürfe entgegen, sich von Rom abspalten und eine deutsche Nationalkirche gründen zu wollen", so Schmider. Ein Vorwurf aus Rom, der den deutschen Kirchenvertretern im Blick auf aktuelle Kirchenreformen auch heute bekannt vorkommen dürfte. Der dann als Kompromisskandidat benannte Theologieprofessor Ferdinand Geminian Wanker (1758-1824) starb vorzeitig und so wurde der Weg frei für den Freiburger Münsterpfarrer Boll.

Rottenburger Dom St. Martin
Bild: ©adobestock/globetrotter1

Der Rottenburger Dom St. Martin ist heute die Kathedrale der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Das neue Erzbistum stand zudem vor der Herausforderung, Verwaltungsstrukturen zu schaffen und Arbeitsabsprachen mit der Landesregierung zu treffen. Dabei beanspruchte der Staat das Recht, über Ernennungen von Pfarrern zu entscheiden. Mitsprache verlangte das Großherzogtum Baden auch bei Finanzen und Priesterausbildung. Das bis heute als Priesterseminar genutzte Collegium Borromaeum baute der Staat 1823. Im Kulturkampf der 1870er Jahre durfte nur Priester werden, wer eine staatliche Prüfung – das sogenannte Kulturexamen – ablegte. Pfarrer, die diese Prüfung verweigerten, durften nicht im Erzbistum tätig sein.

Ökumenischer Flickenteppich

Seine eigene Gründungsgeschichte schrieb das Bistum Rottenburg auf der anderen Seite des Schwarzwalds: Nachdem aus dem Herzogtum Württemberg ein Königreich geworden war, galt es, auch Landstriche zu integrieren, die – im Unterschied zum stark protestantisch geprägten Kerngebiet – früher habsburgisch und somit gut katholisch waren. Vor Gründung der Diözese teilten sich die Katholiken auf die Bistümer Konstanz, Speyer, Augsburg, Worms und Würzburg auf. König Friedrich I. wollte nicht, dass ein auswärtiger Bischof Einfluss auf seine halbe Million Katholiken hatte – und startete 1812 eine Kapriole besonderer Art, als er eigenmächtig in Ellwangen ein Generalvikariat und eine Katholische Landesuniversität ins Leben rief. Sein Sohn Wilhelm I. ordnete ein paar Jahre später aber den Umzug von der Jagst an den Neckar an. Aus einem anfänglich spannungsvollen Verhältnis zwischen der württembergischen Regierung und der Diözese entwickelte sich mit den Jahren ein gedeihliches Miteinander.

Eine kleine Feierstunde am 200. Jahrestag der Unterzeichnung der Papstbulle ist zumindest in der Freiburger Caritas-Akademie geplant. Vorgestellt wird dort auch ein Bildband zur Kirchenarchitektur der vergangenen zwei Jahrhunderte. Anfang November gibt es in der Katholischen Akademie eine Wissenschaftler-Tagung: Beteiligt sind Forscherinnen und Forscher aus dem gesamten Südwesten. Dann soll es auch um Kontinuitäten bis in die Gegenwart gehen – beispielsweise im Blick auf den Widerspruch der Oberrheinischen Bischöfe 1993, die sich gegen den Kommunionausschluss für wiederverheiratete Geschiedene aussprachen.

Von Volker Hasenauer (KNA)