Über die Belastungen im Priesteralltag

Jesuit Frick: Soziales Ansehen der Priester schmilzt dahin

Veröffentlicht am 26.08.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Anforderungen an Priester sind heute hoch – und können zu Stress führen. Psychotherapeut und Jesuit Eckhard Frick hat diese Belastungen 2015 in einer Studie untersucht. Im katholisch.de-Interview spricht er darüber, welche Ergebnisse er heute erwarten würde – und was Priester tun können.

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2015 sorgte eine Studie unter Seelsorgern für Aufsehen: Unter dem Titel "Sorge für die Seelsorgenden" wurden 8.600 Teilnehmende zu den Anforderungen an ihren Beruf als Seelsorger befragt. Sechs Jahre danach spricht der Studienleiter, Jesuit und Professor für Anthropologische Psychologie, Eckhard Frick, im Interview darüber, wie seine Studie heute ausfallen würde – und warum man die MHG-Studie berücksichtigen müsste.

Frage: Herr Frick, Burn-out scheint unter Priestern und Seelsorgern ein immer größeres Thema zu werden. Immer mehr Priester gehen an die Öffentlichkeit, weil Sie über zu hohe Belastung klagen, und nehmen eine Auszeit. Nehmen Sie da seit der Veröffentlichung ihrer Studie auch einen Anstieg wahr?

Frick: Selbstverständlich nehme ich das in Einzelfällen wahr. Allerdings ist das Gefühl der Belastung oder der Wunsch nach einer Auszeit nicht ohne Weiteres mit Burn-out gleichzusetzen. Ich muss gestehen, dass ich als Psychiater und Psychoanalytiker eher skeptisch gegenüber der Bezeichnung "Burn-out" bin. Häufig verbirgt sich dahinter eine depressive Störung, die mit einem freundlichen Ausdruck benannt wird, sodass es eine Art Türöffner gibt, um sich in Behandlung zu begeben und auch den Gemeinden und der eigenen persönlichen Umgebung sagen zu können, was los ist. Um die Frage nach dem generellen Anstieg von Burn-out in einem spezifischen Sinn unter Priestern besser beantworten zu können, bräuchte man eine bessere empirische Basis.

Frage: Burn-outs und andere psychische Erkrankungen sind noch immer ein gesellschaftliches Tabu-Thema. Gilt das für Priester noch einmal besonders?

Frick: Ich denke schon. Der Priester gilt aufgrund seiner sozialen Fassade als jemand, der hilft und selbst eine gewisse Stärke hat, sodass psychosomatische Störungen wie zum Beispiel Schwächeanfälle am Altar oder auch Suchterkrankungen relativ lange hinter dieser Fassade versteckt werden. Das heißt, es ist für Priester auf ihre Weise schwer, selbst Hilfe zu suchen. Allerdings ist in den letzten Jahren – ich erinnere an das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach – das Bewusstsein gewachsen, dass auch Priester und andere Seelsorgende in Situationen kommen können, in denen sie eine Auszeit brauchen. Da gibt es aber ein Übergangsfeld zwischen Erkrankungen im engeren Sinn und Krisen, die durchaus auch zu einem Wachstum führen können.

Frage: Kann es eine zusätzliche Belastung sein, wenn man "in persona Christi" wirkt? Damit geht ja ein besonderer Anspruch an die Priester einher.

Frick: Das hängt davon ab, wie man das versteht. Wenn wir im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils vom Priester im Gottesvolk ausgehen, bedeutet "in persona Christi" handeln kein auf den Priester beschränktes Geschehen, sondern es ist die Gemeinde, die sich um diesen Christus herum versammelt, an dessen Präsenz wir glauben – der aber gar nicht da ist. Die Kirche ist entstanden, weil es eine Lücke gibt, eine Abwesenheit, eine Trauer. Und für diese Lücke steht der Priester. Er steht nicht unter dem Anspruch, wie eine Art Schauspieler Christus zu vertreten, sondern er steht genau an dieser Lücke, insbesondere in der Eucharistie, in der es laut Thomas von Aquin um den Trost über diese Abwesenheit geht.

Frage: Heißt das, die Priester sollen im Hinblick auf ihre Belastung ihre Rolle noch besser reflektieren?

Frick: Ja, und zwar besonders dann, wenn sie den Zölibat als Lebensform gewählt haben. Der Psychoanalytiker D. W. Winnicott spricht von der "Fähigkeit zum Alleinsein": Diese Fähigkeit kann und soll der Priester entwickeln, um wirklich für Gott und die Menschen offen, beziehungsfähig zu werden.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

"Wenn wir unsere Studie jetzt wiederholen würden – was grundsätzlich wünschenswert wäre –, müssten wir das, was wir aus der MHG-Studie gelernt haben, in die Planung miteinbeziehen", sagt Eckhard Frick.

Frage: Ihre Studie zu den Belastungen der Seelsorger hat vor sechs Jahren in kirchlichen Kreisen für viel Aufsehen gesorgt. Wenn Sie die Untersuchung heute wiederholen würden: Welche Ergebnisse würde es geben?

Frick: Seither hat sich natürlich viel geändert. Insbesondere ist die Welle der Missbrauchsskandale mit ihren Auswirkungen deutlicher geworden. Uns war das damals zwar auch schon bewusst, aber nicht in diesem Ausmaß. Die MHG-Studie, die von den Bischöfen in Auftrag gegeben wurde, untersucht missbräuchlich gewordene Priester und stellt dort auch gewisse Hypothesen auf, was Pathologien angeht. Wenn wir unsere Studie jetzt wiederholen würden – was grundsätzlich wünschenswert wäre –, müssten wir das, was wir aus der MHG-Studie gelernt haben, in die Planung miteinbeziehen.

Frage: Inwiefern?

Frick: Die MHG-Studie ist eine retrospektive Untersuchung von Akten. Was sie an Pathologien, Grenzverletzungen und Verbrechen zu Tage gefördert hat, ist schlimm genug. Unsere Studie wollte jedoch nicht beim Missbrauch priesterlicher Macht stehen bleiben, sondern nach Ressourcen der Seelsorgenden fragen. Das heißt, wir schauen nach heilsamen Faktoren, die dazu führen, dass Priester und andere Seelsorgende "gesund" werden. Wir haben durchaus auch Pathologien oder Defizite wahrgenommen, insbesondere im Bindungstyp der Seelsorgenden. Wir haben recht viele unsicher gebundene Personen getroffen, denen von Kindheit an die Erfahrung fehlt, sich anderen anvertrauen zu können. Möglicherweise wählen diese auch deshalb diesen Beruf, um eine Heimat zu finden. Wenn wir jetzt die Chance hätten, eine "Seelsorgestudie 2.0" zu machen, müssten wir das, was in der Zwischenzeit geschehen ist, insbesondere auch den Synodalen Weg, die Infragestellung kirchlicher Machtstrukturen mit ins Kalkül nehmen.

Frage: Und wie genau müsste man da konkret vorgehen?

Frick: Wer heute noch die priesterliche Identität identitär und exklusiv in Abgrenzung von den Laien denkt, ist wahrscheinlich angstgesteuert oder will die Fragen nicht wahrnehmen, welche die säkulare Gesellschaft der Kirche stellt. Die "Problemliste" der Kirche ist lang: Machtmissbrauch, Entfremdung gegenüber Frauen, jungen Leuten und engagierten Menschen, die sich für Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzen… Binnenkirchliche Problemlösungen reichen nicht mehr. Wir sind, wie Kardinal Marx vor Kurzem mit den Worten Alfred Delps sagte, "trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt". Beispiel "Priestermangel": Die Klage über leere Seminare ist zwar verständlich, viel wichtiger ist es aber, dass die Kirche sich selbstlos der jungen Generation zur Verfügung stellt, die nach Orientierung sucht. In der Tradition des Glaubens verwurzelt zu sein, heißt doch: Die Spuren Gottes und das Wirken seines Geistes in dieser Welt zu entdecken, so wie sie nun einmal ist.

Frage: In den vergangenen Jahren wurde intensiv über Klerikalismus und das Priesterbild diskutiert. Der Priesterberuf wird in diesen Debatten sehr kritisch hinterfragt. Was macht es mit einem Priester, wenn er merkt, es gibt eine grundlegende Skepsis gegenüber seiner Rolle?

Frick: Das teilen sie auch mit den Laien im kirchlichen Dienst. Auch eine Pastoralreferentin muss den Kopf hinhalten für die Kirche und wird auch entsprechend angegriffen. Nach dem Motto: Wie kannst du in dem Verein arbeiten? Es ist sicherlich so, dass das hohe soziale Ansehen dahinschmilzt, das die Priester in der Vergangenheit genossen haben. Die Verunsicherung der Priester und anderer Seelsorger, aber auch junger Leute, die sich für diese Berufe interessieren, hängt zusammen mit der Unfähigkeit der Kirche als Institution, sich zu schämen, wie es Hans-Joachim Sander ausgedrückt hat. Gerade in der Missbrauchsaufarbeitung wird man dazu verleitet, die Verfehlungen auf einzelne abzuschieben und nicht die systemischen Ursachen in den Blick zu nehmen. "Klerikalismus" ist die Eigenschaft eines gesellschaftlichen Systems, das nur mit sich selbst und seiner internen Perfektionierung beschäftigt ist. Das zeigt sich dann an den Individuen, übrigens nicht nur an Priestern, sondern auch am Neo-Klerikalismus von Laien, die zu sehr Apparatschiks sind und zu wenig "missionary disciples", wozu Papst Franziskus uns einlädt.

Bild: ©KNA (Archivbild)

Der Jesuit Eckhard Frick ist Professor für Spiritual Care am Uniklinikum München und hat 2015 die Studie "Sorge für die Seelsorgenden" geleitet.

Frage: Gleichzeitig werden in den Diözesen immer weiter Pfarreien zu teilweise noch größeren Einheiten zusammengelegt. Laut Ihrer Studie hat die Größe der Kirchengemeinde keine Konsequenzen auf Belastung, Gesundheit und Zufriedenheit der Seelsorger. Stimmt das noch?

Frick: Allein dadurch, dass es mehrere Teams sind, mehrere Gemeinden, verschiedene Leute, ist das sicherlich ein Belastungsfaktor. Wir haben versucht, Korrelationen zu rechnen und zu schauen, ob man da mit statistischen Methoden etwas nachweisen kann. Das ist uns mit unserem Datenmaterial nicht gelungen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Modelle, die man da braucht, recht komplex sein müssen. Man kann nicht nur die Größe der Pfarrverbände mit hineinnehmen, sondern muss zum Beispiel auch beachten, wie die Teams gestaltet sind. Ist damit ein Empowerment der Menschen vor Ort verbunden? Sind die Wortgottesdienstbeauftragten nur Notbehelf oder ist damit sogar eine Erneuerung verbunden? Insofern darf man da jetzt nicht einen Punkt herauspicken. Natürlich sticht die Größe der Pfarrverbände ins Auge. Aber wenn wir diesen Zusammenhang erforschen wollen, müssen wir uns ein Modell überlegen, in das sehr viele Variablen einfließen. Insofern ist mir das auch weiterhin zu schlicht gedacht, die Krise durch die Größe der Pfarrgemeinde zu erklären.

Frage: Aber es ist doch sicher belastend, wenn man seinen eigentlichen Beruf als Seelsorger nicht mehr ausüben kann, weil man nur noch mit administrativen Aufgaben beschäftigt ist.

Frick: Es gibt ja verschiedene Arten von Priestern: Es gibt die Pfarrer mit Verwaltungs- und Leitungsaufgaben und die kooperierenden Priester. Das wird sehr verschieden erlebt: Die einen sehen es als Entlastung, dass sie nur kooperierende Priester sind, die anderen sehen es als Kränkung, dass sie nicht Pfarrer sein dürfen. Wieder andere moderieren gerne, auch aufgrund einer Begabung, größere Teams von Priestern und anderen Seelsorgern. Es kommt also auf den jeweiligen "Priestertypus" und auf die Passung zwischen Persönlichkeit und Arbeitsumfeld an.

Frage: Sie haben damals die persönliche Spiritualität als großen Motivator für den Seelsorgedienst ausgemacht. Inwiefern wird es angesichts zunehmender Aufgaben schwieriger, diese Quelle zu pflegen?

Frick: Das Problem in unserer leistungsbezogenen Zeit ist, dass auch noch die persönliche Resilienz zu einem Stress werden kann. Es ist sozusagen irgendwie uncool, verwundbar oder nicht resilient zu sein. So ist es auch in der Spiritualität: Sie ist einerseits eine große Kraftquelle, andererseits haben wir damals mit einer eigenen Skala die "spirituelle Trockenheit" untersucht. Das ist ein sehr vielschichtiges Phänomen. Auch große Mystiker haben das erlebt. Das gehört also anscheinend zu einer spirituellen Entwicklung dazu. Darin darf man jedoch nicht verharren, sondern sollte sich auf die Suche nach den spirituellen Oasen machen. Die Pflege sollte nicht in ein ungutes Leistungsdenken ausarten. Es gilt in der Spiritualität mit der eigenen Verletzlichkeit umzugehen, mit der eigenen Stärke und Kreativität. Entscheidend ist, da für sich einen eigenen Weg zu finden.

Frage: Was raten Sie als Psychotherapeut betroffenen Geistlichen, die – durch welche Faktoren auch immer – an ihre Belastungsgrenze geraten?

Frick: Das erste ist, zu beschreiben und zu verstehen, worin diese Belastung eigentlich besteht. Es könnte eine depressive Störung sein. Da braucht es erst mal Diagnostik: gemeinsam mit einem Arzt oder Therapeuten einen Blick darauf zu werfen, was genau los ist. Es hat manchmal schon einen sehr heilsamen Effekt, seine Sorgen mit jemandem zu teilen, der nicht in meinem Team oder mein Vorgesetzter ist, sondern einen therapeutischen Blick hat. Es gibt aber auch darüber hinaus sehr verschiedene Möglichkeiten, etwa die einer Organisationsentwicklung. Man darf nicht den Fehler machen, immer alles aufs Individuum zu schieben, sondern es braucht teilweise eben auch systemisches Verständnis: Wie ist die Zusammenarbeit im Seelsorgeteam organisiert? Wo entstehen die Spannungen? Die zeigen sich dann zwar im Einzelnen, aber es ist nicht immer der Einzelne, bei dem wir ansetzen müssen. Es kann ja auch sein, dass es darum geht, ob die einzelne Person an der richtigen Stelle ist.

Von Matthias Altmann