"Langzeitgedächtnis" des Erzbistums Köln: Historisches Archiv wird 100
"Das ist im Grunde wie ein Schiff", sagt der Leiter Ulrich Helbach über das Historische Archiv des Erzbistums Köln (AEK), das dieser Tage vor einhundert Jahren gegründet wurde. Zwei Stockwerke unter der Erde erklärt er das Schutzsystem der Räumlichkeiten vor möglichen Überflutungen. Eine Betonwanne umfasst die Zeitdokumente, die in tiefen Kellern lagern. Erst bei Erdbebenstärke 7 kann sie Risse bekommen. Vor Wasser schützen dicke Stahltüren – "da kommt dann nichts mehr durch", so der Archivar.
Die unterirdischen Gänge wurden 2007 erweitert. Aktuell umfassen die Bestände etwa zehn Regalkilometer – doch es werden immer mehr. In den nächsten Jahren soll ein Großteil der rund 800 Pfarrarchive in der Erzdiözese nach Köln umziehen. Vor Ort fehle es oft an Personal und an passenden Räumlichkeiten. Um Platz für all die Archivalien zu schaffen, gibt es schon eine Idee: Ein nicht mehr genutzter Kirchenraum könnte dem Kölner Archiv demnächst als Außenstelle dienen.
160 Bücher dokumentieren Zeit von 1662 bis 1825
Noch sind das nur Planungen. Bislang werden alle historischen Dokumente in Nachbarschaft zum Tagungshaus Maternushaus und dem erzbischöflichen Wohnsitz aufbewahrt. Auch das Generalvikariat ist fußläufig zu erreichen. Von hier stammen viele der Schriftstücke, die im Archiv lagern – unter anderem ältere Personalakten, die vor der Veröffentlichung eines Aufarbeitungsgutachtens zu früheren Missbrauchsfällen herangezogen wurden.
Rund 160 Bücher dokumentieren die Zeit von 1662 bis 1825. Teils sind sie 20 Zentimeter dick. Sie enthalten auf bis zu 1.000 Seiten pro Exemplar sämtliche Amtsprotokolle der Generalvikare, die für die geistliche Verwaltung der Erzdiözese zuständig waren. Wenig wundert es da, dass das Archiv auch als "Langzeitgedächtnis" des Erzbistums bezeichnet wird. Die älteste Archivale ist eine Urkunde aus dem Jahr 942.
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Besonders wichtig sind Helbach und seinem Stellvertreter Joachim Oepen zufolge die Kirchenbücher, in denen Taufen, Hochzeiten und Sterbefälle notiert sind. Ahnenforschende aus der ganzen Welt durchblättern sie auf den Spuren ihrer Vergangenheit. Von den 800 bis 1.000 jährlichen Besuchern des Archivs machen sie etwa 40 Prozent aus.
Künftig sollen viele Dokumente des Archivs auch online abrufbar sein. Ein erster Schritt dabei war die Digitalisierung der sogenannten Findbücher – Übersichtskataloge über die Bestände der drei Stockwerke umfassenden Magazine. So können die Forschenden schon vorab nachschlagen, ob die von ihnen gesuchten Schriftstücke überhaupt vor Ort sind. Eine großen Herausforderung indes ist für die Archivare die Sicherung aktueller, nur digital verfügbarer Zeugnisse. Immer wieder müssen deren Speicherformate überprüft und neu erstellt werden, damit sie auch noch in 50, in 100 Jahren abrufbar sind.
Ronald Reagan und das "Fringsen"
Etwas einfacher gestaltet es sich mit den haptischen Dokumenten im Archiv, das der Kölner Kardinal Karl Joseph Schulte im Jahr 1921 initiierte. Unter ihnen befindet sich die von Kardinal Josef Frings geschrieben Vorlage zu seiner berühmten Silvesterpredigt aus dem Jahr 1946. Kurz nach dem Krieg hatte der Erzbischof den Diebstahl des "Lebensnotwendigen" – von Kohle und Lebensmitteln – erlaubt. Als "Fringsen" hat sich dieses Stehlen für den Eigenbedarf in der deutschen Sprache verewigt. Im Archiv findet sich auch ein Brief vom 10. August 1982, in dem sich ein ehemaliger US-Präsident bei Kardinal Joseph Höffner für das gute Gespräch in Brühl bedankt – unterzeichnet mit "Sincerely, Ronald Reagan".
Auch Teile des Nachlasses von Philosoph Friedrich Schlegel, Architekt Fritz Schaller und die Korrespondenz zwischen Kaiser Wilhelm II. und Vertretern der Kirche im Heiligen Land sind in der Kölner Innenstadt aufbewahrt – von letzterer zeugen unter anderem rötliche Telegramme. Da der Deutsche Verein vom Heiligen Land (DVHL) seinen Sitz in der Domstadt hat, sind die kaiserlichen Botschaften im Diözesanarchiv untergekommen.
In heutigen Pandemie-Zeiten kurios: Vergilbte, große Blätter von 1820 führen Buch über die Reaktionen auf Pocken-Impfungen im nordrhein-westfälischen Sinzenich. Eigentlich gehören solche Dokumente ins Kommunalarchiv. "Das ist wie die alte Form der SafeVac-App von vor zweihundert Jahren", sagt Helbach.