Gedenkakt in Aachen mit persönlichen Zeugnissen von Flutopfern
Als sie von ihrer Angst zu sterben berichtet, trennen Renate Steffes nur zwei Sitzplätze von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Mein Leben mit all seinen guten und schlechten Erfahrungen wurde in dieser einen Nacht in Ahrweiler durch eine wesentlich schrecklichere Erfahrung erschüttert", sagt die Überlebende der Unwetterkatastrophe von Mitte Juli. "Mit den eigenen Füßen in den Fluten zu stehen, vermeintlich gerettet zu sein und dann doch im steigenden Wasser Todesängste zu erleben."
Die Frau mit der grauen Kurzhaarfrisur und dem schwarz-weiß gemusterten Blazer ist am Samstag aus dem rheinland-pfälzischen Ahrweiler nach Aachen gekommen, um auf Einladung der christlichen Kirchen einem Gedenkakt im Dom beizuwohnen. Sie war eine von rund 180 geladenen Gästen – die meisten davon Betroffene und Helfende. Hinzu kamen Repräsentanten aus Politik, Gesellschaft und Kirche, die an dem Gottesdienst teilnahmen.
Neben Steffes trugen eine Notfallseelsorgerin aus der Region Aachen und ein evangelischer Pfarrer aus dem Schleidener Tal ihre Erfahrungen vor. Aufrecht standen sie dabei an ihren Plätzen im vorderen Bereich des Doms, wo sich auch die Staatsspitze, die Ministerpräsidenten der besonders betroffenen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Malu Dreyer (SPD) und Armin Laschet (CDU), sowie hohe Kirchenvertreter versammelt hatten.
Persönliche Zeugnisse
Die persönlichen Zeugnisse holten die Geschehnisse jener Tage in die Kathedrale. Nicht vergessen zu werden – darum habe ihn eine Helferin gebeten, berichtete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Ansprache nach dem Gottesdienst. "Sie sind nicht allein. Wir hören Sie. Wir vergessen Sie nicht", versprach er auch in Richtung derjenigen, die in den Fluten einen Menschen verloren haben.
Neben dem Erinnern gab der Gottesdienst Raum zur Klage. Eindrücklich trug Schauspielerin Anette Schmidt den sogenannten Ahr-Psalm vor, den der ehemalige "Wort zum Sonntag"-Sprecher Stephan Wahl nach der Unwetterkatastrophe getextet hatte. Der katholische Priester stammt selbst aus dem Kreis Ahrweiler, die Klageworte widmete er vor allem den Flut-Toten einer Behinderteneinrichtung in Sinzig. "Stundenlang schrie ich um Hilfe", spricht die Schauspielerin die Worte des Geistlichen nach. "Um mich herum die reißenden Wasser."
Als er die ersten Bilder der Flutkatastrophe sah, habe es ihm die Sprache verschlagen, gestand der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, in seiner Predigt. "Welch eine Zerstörung in so kurzer Zeit! Was für eine Not." Trauer, Wiederaufbau und Neubeginn brauchten Zeit und Kraft.
Katastrophe und Neuanfang
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, bekundete in seiner Predigt die Hoffnung, dass die Katastrophe zu einem Neuanfang führe. "Die Folgen des menschengemachten Klimawandels sind bei uns angekommen. Das haben wir verstanden", so der Geistliche. Deutlicher wurde Bundespräsident Steinmeier. "Wir müssen den Klimawandel mit aller Entschlossenheit bekämpfen. Wir dürfen keine Zeit verlieren." Die Politik müsse Lehren aus der Katastrophe ziehen.
Diese Appelle dürften im Dom auch Kirchenvertreter aus den Niederlanden, Luxemburg und Belgien wahrgenommen haben, die zu dem Gottesdienst gekommen waren. In ihren Ländern waren ebenfalls Menschen in den Fluten gestorben. Aus europäischer Perspektive betrachtet wählten die Veranstalter mit Aachen einen Ort inmitten der Katastrophenregion. Vor allem im hart getroffenen Ahrtal in Rheinland-Pfalz – rund 120 Kilometer von Aachen entfernt – gab es daran aber auch Kritik. Dort hätten sich Betroffene gewünscht, dass der Gedenkakt näher an ihrer Region stattfindet.
Dennoch: Politische und kirchliche Querelen traten an diesem Vormittag in den Hintergrund. Der bislang oft unglücklich wirkende Wahlkämpfer Laschet saß ebenso im Dom wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der wegen der Missbrauchsaufarbeitung in seinem Erzbistum seit Monaten unter Beschuss steht. Doch an diesem Vormittag ging es weder um deplatzierte Lacher noch um nicht-veröffentlichte Gutachten.
Stattdessen trafen sich die Vertreterinnen und Vertreter von Kirche und Politik sowie Betroffene, Helfende und Notfallseelsorger nach dem Gedenkakt im Kreuzgang des Doms. In den Gesprächen dürfte noch einmal das persönlich Erlebte im Mittelpunkt gestanden haben. Viele Überlebende hoffen, dass ihre Erfahrungen noch lange Gehör finden.