Gutachten zu Bischof Janssen kann Missbrauchsvorwürfe nicht klären
Es ist nicht die erste und auch nicht die letzte Studie über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Hildesheim. Und es ist auch deutschlandweit nicht die erste. Das am Dienstag vorgestellte Gutachten über sexualisierte Gewalt während der 25-jährigen und bis 1982 laufenden Amtszeit von Bischof Heinrich Maria Janssen bestätigt das für die Nachkriegsjahrzehnte festzustellende Handlungsmuster: Des Missbrauchs beschuldigte Priester hatten wenig zu fürchten. Die Kirchenoberen versetzten sie in ein andere Gemeinde, in ein anderes Bistum oder auch mal ins Ausland und schützten sie vor Strafverfolgung. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen waren der Kirche egal. Sie schwiegen und auch ihre Eltern schwiegen, wenn sie denn dem Nachwuchs überhaupt Glauben schenkten. Zu groß die Angst, von der Gemeinde als Nestbeschmutzer verunglimpft zu werden.
"Der Schutz durch Schweigen war fast perfekt", sagte die Obfrau der Untersuchung, die ehemalige niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz bei der Vorstellung der 422 Seiten langen Expertise. Diese hatte der aktuelle Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer vor zweieinhalb Jahren beim Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) in Auftrag gegeben. Bei der Untersuchung ging es vor allem auch um die Frage, ob Janssen selbst ein Missbrauchstäter war.
Zwei Personen erhoben bisher Vorwürfe gegen Janssen
Der Geistliche ist der erste deutsche Bischof, den solche Vorwürfe treffen. Zum einen hatte 2018 ein Mann Wilmer berichtet, dass er als Heimkind von Janssen Ende der 1950er-Jahre aufgefordert worden sei, sich nackt vor ihm auszuziehen. Anschließend habe dieser ihn mit den Worten weggeschickt, er könne ihn nicht gebrauchen. Zudem hatte 2015 ein Ex-Ministrant berichtet, Janssen habe ihn zwischen 1958 und 1963 sexuell missbraucht. Die Fachleute um Niewisch-Lennartz haben nach Aktenrecherchen sowie Interviews von Betroffenen und Mitarbeitern keine weiteren Belastungen entdeckt – aber auch keine Entlastungen. Die im Raum stehenden Vorwürfe halten sie weiter für plausibel.
Der Vorwurf des Ministranten war bereits Thema in einem 2017 veröffentlichten IPP-Gutachten, das auch den Umgang mit Peter R. beleuchtet. Der Geistliche soll in den 70er- und 80er Jahren mindestens 100 Kinder am Berliner Canisius-Kolleg missbraucht haben, bevor er 1982 ins Bistum Hildesheim wechselte. Die neue Untersuchung sollte das Agieren von Bischof Janssen genauer beleuchten – und auch die Frage beantworten, ob es um ihn ein Netzwerk von pädophilen Tätern gegeben habe, die sich Minderjährige zum Missbrauch zuschoben. Das verneinen die Gutachter, betonen aber zugleich, dass es eines solches Netzwerks gar nicht bedurft hätte. Einschlägige Geistliche hätten keinen besonderen Zugang zu Kindern gebraucht, sondern immer gehabt – ob in Zeltlager, Kita oder Pfarrhaus.
Auch die Studie für Hildesheim belegt darüber hinaus, dass sich die Kirche beim Verharmlosen und Vertuschen auf Behörden verlassen konnte. Bei den nicht-öffentlichen Strafverfahren habe mitunter ein Geistlicher als Ohr des Bischofs mithören können. Staatliche Stellen hätten außerdem deutliche Nachsicht gegenüber priesterlichen Tätern gezeigt. Ähnlich sieht es der Historiker Thomas Großbölting, der im vorigen Jahr Studienergebnisse für das Bistum Münster vorstellte: Gerade in den 1950er und 60er Jahren habe die Kirche "einen hoheitlichen Schutz" genossen. Staatsanwälte hätten mit Bischöfen oder Generalvikaren telefoniert und Arrangements getroffen. Großbölting spricht von "Elitenverschmelzung".
Bischof Wilmer stehe für "Kulturwandel" im Umgang mit Missbrauchsfällen
Wilmer zeigte sich "entsetzt" über die Ergebnisse. Er fordert konsequente Schutzmaßnahmen und eine "Revision der katholischen Sexualmoral"; es dürfe nicht sein, dass Geschädigte etwa wegen einer leibfeindlichen Sexualerziehung keine Worte über das erlebte Unrecht fänden.
Dem seit drei Jahren amtierenden Bischof attestieren die Gutachter einen "Kulturwandel" im Umgang mit Missbrauchsfällen. Eine Zäsur sei aber schon unter seinem Vorgänger Norbert Trelle erfolgt, nachdem im Jahr 2010 der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche öffentlich wurde. Über Trelles Amtszeit und dessen Vorgänger Josef Homeyer, der auf Janssen folgte, lassen sich die Gutachter nicht näher aus. Mit Blick auf Homeyer sagte der Psychologe Peter Caspari vom IPP nur, dieser habe Täter mit der Auflage zu Therapie versetzt, sich dann aber um eine Kontrolle der Geistlichen nicht mehr gekümmert. Stoff genug also für weitere Studien, wie sie Bischof Wilmer auch schon angekündigt hat.