Gutachter: Bischof Janssen schützte Missbrauchstäter und Kirche
Nach Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens für das katholische Bistum Hildesheim bleibt weiterhin offen, ob sich der frühere Bischof Heinrich Maria Janssen (1907-1988) selbst an Kindern vergangen hat. Es könne nicht festgestellt werden, "ob Bischof Janssen sexuellen Missbrauch oder sexuelle Grenzüberschreitungen gegenüber Minderjährigen begangen hat", heißt es in dem am Dienstag in Hildesheim vorgelegten Bericht. Die Gutachter um die ehemalige niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz stellten allerdings "eklatante Missstände" im Umgang mit Missbrauch während Janssens Amtszeit zwischen 1957 und 1982 fest.
Demnach gab es von kirchlicher Seite Zuwendung und Schutz für die Täter, während die Betroffenen keinerlei Hilfen erhielten und mit ihrem Leid alleingelassen wurden. Die Untersuchung spricht von "massivem Unrecht" gegenüber Kindern. Insbesondere in katholischen Kinderheimen wie dem Bernwardshof in Hildesheim habe es physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegeben.
Erster deutscher Bischof, dem Missbrauch angelastet wird
Janssen ist der erste deutsche Bischof, dem sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen angelastet wird. Zum einen hatte 2018 ein Mann Mitte 70 dem heutigen Bischof Heiner Wilmer berichtet, dass er als Heimkind von Janssen Ende der 1950er Jahre aufgefordert worden sei, sich nackt vor ihm auszuziehen. Anschließend habe er ihn mit den Worten weggeschickt, er könne ihn nicht gebrauchen. Zudem hatte 2015 ein ehemaliger Ministrant dem Bistum berichtet, Janssen habe ihn zwischen 1958 und 1963 sexuell missbraucht. Dieser Vorwurf war bereits Thema in einem 2017 veröffentlichten Gutachten. Die Autoren der neuen Untersuchung konnten diese Vorwürfe nicht erhärten, fanden aber auch keine entlastenden Anhaltspunkte.
Im Rahmen der neuen Erhebung wurden insgesamt 71 Tatverdächtige identifiziert, darunter 45 Geistliche. Im Vergleich zu der 2018 veröffentlichten MHG-Missbrauchsstudie der deutschen Bischöfe seien 10 zusätzliche Fälle entdeckt worden.
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Laut den Gutachtern ging es Janssen immer vor allem darum, den Ruf der Kirche und die Täter zu schützen. Bevorzugte Maßnahme sei die Versetzung eines beschuldigten Priesters in eine andere Gemeinde oder in ein anderes Bistum gewesen. Auch Schutz vor staatlicher Strafverfolgung sei gewährt worden. In einem Fall sei ein Geistlicher mit Hilfe der Bischofskonferenz in Südamerika untergebracht worden. Ein organisiertes Täternetzwerk habe es aber nicht gegeben und auch nicht gebraucht, weil sich die Täter auch so geschützt fühlen konnten. Auch staatliche Stellen hätten deutliche Nachsicht gegenüber priesterlichen Tätern gezeigt.
Wilmer, der vor zweieinhalb Jahren die Untersuchung in Auftrag gegeben hatte, bezeichnete die Ergebnisse als "entsetzlich". Der Bericht zeige auf, wie die damalige Bistumsleitung um Janssen bei den in Heimen und Pfarrhäusern verübten Verbrechen weggeschaut habe. Personalakten der Priester seien nicht nur unprofessionell geführt, sondern oft manipuliert worden: "Im Schweigen der Verantwortlichen fanden die Stimmen der Stimmlosen kein Echo."
Wilmer: Konsequente Weiterentwicklung von Schutzkonzepten
Wilmer sprach sich für eine konsequente Weiterentwicklung von Schutzkonzepten in kirchlichen Einrichtungen und für eine grundlegende Reform der katholischen Sexuallehre aus: "Es darf nicht sein, dass sich die Geschichte wiederholt, dass Geschädigte sexueller Gewalt aufgrund einer leibfeindlichen Sexualerziehung keine Worte finden, um über das ihnen angetane Unrecht zu erzählen."
Jens Windel von der Betroffeneninitiative im Bistum Hildesheim, der auch dem Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz angehört, sagte, für die Institution Kirche habe allein der Machterhalt gezählt: "Kein Mittel wurde dafür ausgelassen - vom aktiven und passiven Unterdrücken, Täuschen und Vertuschen über Manipulation bis hin zu unterschwelligen Drohungen."
Windel kritisierte weiter, dass viele Betroffene mit den Zahlungen zur Anerkennung des Leids unzufrieden seien. Ihre Erwartungen an eine Erhöhung der Leistungen entsprechend der Schmerzensgeld-Tabelle deutscher Gerichte habe sich bisher nicht erfüllt. (KNA)
14.9., 14:45 Uhr: Ergänzt um weitere Details.