Hoffnung auf Gesprächsbereitschaft der Taliban im Blick auf humanitäre Hilfe

Militärbischof Overbeck: Aus Afghanistan-Einsatz Lehren ziehen

Veröffentlicht am 25.09.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Fulda ‐ Nach der Rückeroberung des Landes durch die Taliban scheint die Lage in Afghanistan hoffnungslos. Im katholisch.de-Interview mahnt Militärbischof Franz-Josef Overbeck eine Reflexion des Einsatzes der Nato-Bündnistruppen an. Außerdem äußert er sich zur Debatte um den Mali-Einsatz der Bundeswehr.

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Bei ihrer Herbstvollversammlung in Fulda beschäftigten sich die deutschen Bischöfe auch intensiv mit dem Thema Afghanistan. Welche Perspektiven hat das Land nach der Rückeroberung durch die Taliban? Welche Konsequenzen muss man aus dem Abzug der Nato-Bündnistruppen für mögliche kommende Einsätze ziehen? Katholisch.de sprach am Rande des Treffens mit dem Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, dem Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr.

Frage: Bischof Overbeck, Anfang Juli haben Sie in einem Statement gegenüber katholisch.de Ihre Erleichterung darüber kundgetan, dass der Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan ohne Probleme über die Bühne gegangen ist. Nach dem Abzug der Nato-Truppen haben die Taliban innerhalb kurzer Zeit wieder die Macht übernommen. War es eine Fehlentscheidung, das Land zu verlassen?

Overbeck: Es war eine gute Entscheidung, einen sonst scheinbar endlosen Einsatz zu Ende zu bringen. So ähnlich hat es ja auch – wenn auch unter anderen Perspektiven – der US-amerikanische Präsident Joe Biden formuliert. Das ist das eine. Das andere ist die Frage des Wie. Hier hat es sichtlich falsche Einschätzungen gegeben, politisch und militärisch.

Frage: Welches Handeln wäre Ihrer Einschätzung nach besser gewesen?

Overbeck: Es sind große Hoffnungen gesetzt worden in die Ausbildung der afghanischen Armee, die dann die Aufgaben des Militärbündnisses übernehmen sollte, ohne die kulturellen, religiösen, sozialen oder ethnologischen Realitäten ernst zu nehmen. Das hat dann dazu geführt, dass die Waffen, die das westliche Bündnis dieser afghanischen Armee überlassen hat, ganz schnell an die Taliban gefallen sind. Es braucht jetzt eine Reflexion, damit so etwas nicht mehr passieren kann.

Frage: Was muss bei der Aufarbeitung der vergangenen 20 Jahre in Afghanistan noch besonders berücksichtigt werden?

Overbeck: Erstens: Wenn man etwas anfängt, soll man an das Ende denken – das muss sehr viel klarer politisch und militärisch bedacht werden. Das war ein großes Problem aller Verantwortungsträger. Und das Zweite: mit möglichst wenig Waffengewalt versuchen, Interventionen auf den Weg zu bringen.

Menschen versammeln sich vor dem Flughafen in Kabul
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited (Archivbild)

Hunderte Menschen sammeln sich nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor dem Flughafen in Kabul.

Frage: Die Lage in Afghanistan sieht ziemlich hoffnungslos aus. Dennoch heißt es von vielen Seiten, es sei noch zu früh, ein abschließendes Urteil über den Militäreinsatz zu fällen. Da ist von Samen die Rede, die gesät wurden. Wo besteht konkrete Hoffnung?

Overbeck: Wenn es etwas gibt, von dem ich hoffe, dass es auf Dauer für alle Gesellschaften von Bedeutung ist, dann sind es die Einsichten, die auch wir im Westen mit viel Schweiß und Blut errungen haben: dass Freiheit und Gleichheit hohe Werte sind, die für alle gelten. Wenn diese Einsicht auch unter den Menschen in Afghanistan wächst, dass beispielsweise gleiche Rechte für alle oder Bildung für Mädchen wichtig sind, dann ist zumindest ein kleiner Schritt getan.

Frage: Was fordern Sie in der aktuellen Lage von der westlichen Wertegemeinschaft?

Overbeck: Erst einmal die Hilfe für eine sichtlich auf eine Hungerkatastrophe zusteuernde Gesellschaft. Gleichzeitig muss auch weiterhin alles getan werden, was notwendig ist, um den Kräften zu helfen, die aufgrund ihrer Nähe zu den Bündnistruppen von Verfolgung und Tod bedroht sind. Und das Dritte: weiterhin eine öffentliche Stimme dafür zu erheben, dass alle Religionen dem Frieden dienen sollen.

Frage: Die Frage, wie man unter den aktuellen Umständen humanitäre Hilfe organisiert, ist sehr schwierig. Hilfsorganisationen, auch kirchliche, kommen vermutlich nicht darum herum, sich in irgendeiner Weise mit den Taliban zu arrangieren. Wie soll das funktionieren?

Overbeck: Ich habe in den vergangenen zehn Jahren bei meinen Besuchen im Afghanistan immer sehr seriöse muslimische Autoritäten getroffen. Ich hoffe, dass das ein Zeichen dafür ist, dass wir solche Wege einfach immer weiter beschreiten – manchmal auch wider alle Hoffnung und wider alle sichtbaren Zeichen, die von der anderen Seite kommen.

Linktipp: Militärseelsorger: Bundeswehreinsatz in Afghanistan war nicht umsonst

Trotz des Vormarschs der Taliban in Afghanistan hat der Militärseelsorger Joachim Simon den jahrelangen Einsatz der Bundeswehr in dem Land verteidigt. Der Einsatz sei nicht umsonst gewesen, sagte Simon am Dienstag gegenüber katholisch.de

Frage: Sie hoffen also darauf, dass sich die Taliban in irgendeiner Form offen zeigen?

Overbeck: Ja – und selbst wenn es aus der Not heraus ist, der Komplexität der Lage gerecht zu werden, nämlich Menschen zu sättigen, für Ordnung und eine Infrastruktur zu sorgen.

Frage: Immer noch leben in Afghanistan Christen – wenn auch nicht viele. Diese gelten aktuell als besonders gefährdet. Muss sich die Kirche stärker dafür einsetzen, diese aus dem Land zu holen?

Overbeck: Wenn sie herausgeholt werden wollen, geschieht das schon. Aber viele Dinge, die jetzt getan werden müssen, tut man besser im Diskreten.

Frage: Aktuell gibt es auch Debatten um den Bundeswehr-Einsatz in Mali. Einige Politiker, darunter die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, stellen die Sinnhaftigkeit dieses Einsatzes infrage. Wie stehen Sie dazu?

Overbeck: Es ist ein hochgefährlicher Einsatz. Von daher teile ich die Nachdenklichkeit, die die Bundesverteidigungsministerin geäußert hat.

Von Matthias Altmann