Gebärdensprache in Gottesdienst und Seelsorge

Das ist die einzige Pfarrei für gehörlose Menschen in Deutschland

Veröffentlicht am 26.09.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Trier ‐ Ein Pfarrgemeinderat, ein Pfarrbüro und ein eigener Pfarrer: Die Katholische Gehörlosengemeinde im Bistum Trier unterscheidet sich in vielen Dingen nicht von einer gewöhnlichen Pfarrei – und ist damit in Deutschland einmalig. Zum internationalen Tag der Gehörlosen stellt katholisch.de sie vor.

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Wenn Pfarrer Ralf Schmitz Gottesdienste mit seiner Gemeinde feiert, ist es oft still. Sehr still sogar. Denn man hört keine feierliche Orgelmusik, keine Gesänge und nicht einmal Gebete. Trotzdem können sich Priester und Gemeindemitglieder verstehen, weil sie die Deutsche Gebärdensprache benutzen. "Wenn keine Hörenden da sind, dann gibt es auch keinen Ton", beschreibt Schmitz die Atmosphäre.

Dass Pfarrer Schmitz heute mit seiner Gemeinde Gottesdienste in Gebärdensprache feiern kann, ist nicht selbstverständlich. Lange Zeit war diese Art der Kommunikation unterdrückt und verpönt. Erst Anfang der 2000er Jahre sei in Deutschland das Bewusstsein gewachsen, dass die Gebärdensprache nicht defizitär ist, sondern schön und würdig und daher auch im Gottesdienst benutzt werden könne, so Schmitz. Und es hat noch einen zweiten Grund: Während die Gehörlosenseelsorge in anderen Bistümern im Seelsorgeamt oder beim Caritasverband angesiedelt ist, ist eine eigene Pfarrei für gehörlose Menschen im deutschsprachigen Raum einmalig.

Gebärdensprache als Zugehörigkeitsmerkmal

Kirchenrechtlich betrachtet ist die Katholische Gehörlosengemeinde im Bistum Trier eine Personalpfarrei und hat damit die gleichen Rechte und Pflichten wie andere Ortspfarreien. Im Gegensatz zur sonst üblichen Territorialpfarrei, zu der alle Katholiken in einem bestimmten Gebiet gehören, haben Personalpfarreien kein eigenes Gebiet und stattdessen ein anderes Merkmal der Zugehörigkeit. Im Fall der Gehörlosengemeinde ist das die Fähigkeit, die Gebärdensprache zu verwenden. Die Gemeinde ähnelt in ihrer Organisationsform damit muttersprachlichen Gemeinden, in denen die Sprache und damit auch die Kultur und die Spiritualität eine besondere Ausprägung haben. Neben einem eigenen Pfarrer, der mit halbem Stellenumfang die Pfarrei leitet, hat die Gemeinde auch ein eigenes Pfarrbüro, einen Pfarrgemeinde- und einen Verwaltungsrat. Seit Anfang September unterstützt ein gehörloser "qualifizierter Mitarbeiter" die Gemeindearbeit.

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Im Jahr 2000 wurde die Gehörlosengemeinde im Bistum Trier gegründet. Auslöser war damals eine Neuaufstellung in der Behindertenseelsorge. Bei einer Reise einer Gruppe gehörloser Menschen aus dem Bistum zu Gehörlosengemeinden in den USA sei klar geworden, dass es eine Möglichkeit brauche, wo gehörlose Menschen mit ihrer eigenen Sprache ihren Glauben leben können. Ralf Schmitz beriet sich damals mit einem Kirchenrechtler, der über muttersprachliche Gemeinden promoviert hatte. Dessen Einschätzung: "Ihr seid eigentlich ein klassischer Fall für eine Personalpfarrei", erzählt der Pfarrer. Diesen Vorschlag unterbreitete Schmitz dem an Kommunikation interessierten damaligen Bischof Hermann Josef Spital. Kurz vor seiner altersbedingten Emeritierung unterschrieb er die Gründungsurkunde der Katholischen Gehörlosengemeinde. Seitdem ist Schmitz Pfarrer der Gemeinde – und mittlerweile der einzige Hörende. 

Durch die Organisation mit Haupt- und Ehrenamtlichen hat die Gehörlosengemeinde eine strukturelle Verankerung im Bistum. "Wir merken, dass sich zum Beispiel bei größeren Zusammenkünften im Bistum die Gehörlosengemeinde mit ihren Anliegen so viel stärker in Veranstaltungen und Prozesse einbringen kann", sagt Ulrich Stinner, Abteilungsleiter für Pastorale Grundaufgaben im Bistum Trier. Ein Beispiel dafür war die Diözesansynode in Trier, bei der auch zwei Gläubige aus der Gehörlosengemeinde berufen wurden, die mit Gebärdensprachdolmetschern an den Beratungen teilnehmen konnten.

"Die Gehörlosengemeinde ist sicherlich solch ein Ort"

In den Leitsätzen, die aus der Synode hervorgegangen sind, finde sich auch ausgedrückt, was dem Bistum mit Blick auf gehörlose Menschen wichtig ist, sagt Stinner: "Sie sollen auch ihre Themen rund um ihren Glauben wie andere Gemeinden in ihrer Sprache gestalten und verantworten können." Im Rahmenleitbild sei zudem die Rede davon, dass Glaube heute nicht mehr nur in klassischen Pfarreien gelebt werde, sondern dass es vielfältige Orte brauche, die "je in eigener Prägung Leben und Glauben konkret verbinden", so der Abteilungsleiter weiter. "Die Gehörlosengemeinde ist sicherlich solch ein Ort."

Trotz ihrer Einzigartigkeit steht die Gehörlosengemeinde aber vor ähnlichen Aufgaben und Herausforderungen wie andere Pfarreien auch. "Die Probleme, die die Großkirche insgesamt hat, spiegeln sich bei uns wie in einem Brennglas", sagt Pfarrer Schmitz. Gerade den demographischen Wandel bekommt die Gemeinde besonders zu spüren. Statistisch gesehen ist einer von 1.000 Menschen gehörlos. Für das Bistum Trier würde das bedeuten, dass es rund 1.200 gehörlose Katholikinnen und Katholiken gibt. Wie viele Mitglieder tatsächlich zur Gehörlosengemeinde gehören, ist aber unklar. Schmitz' einziger Anhaltspunkt ist eine Adressliste für die bevorstehenden Pfarrgemeinderatswahlen. Sie umfasst 570 gehörlose Gläubige. "Von denen kenne ich persönlich über die Hälfte", sagt der Pfarrer. Für vier Pfarrgemeinderatsposten gibt es zwar neun Kandidaten – allerdings sind alle bereits um die 60 Jahre alt. Kontakte zu jungen Gehörlosen sind schwieriger, da diese nicht mehr ausschließlich Gehörlosenschulen besuchen. Die Gemeindemitglieder leben zudem im Bistumsgebiet verstreut. "Wir sind ein ländliches Bistum, das bedeutet, dass die gehörlosen Gläubigen hier in der doppelten Diaspora leben." Zu den Präsenzgottesdiensten, die seit Beginn der Corona-Pandemie wieder möglich sind, kommen auch deshalb oft nur 15 bis 20 Menschen, berichtet Schmitz.

Gottesdienstbesucher gebärden bei einer inklusiven Messe
Bild: ©Ralf Schmitz

"So geht Inklusion", sagt Pfarrer Ralf Schmitz: Die hörende und gehörlose Gottesdienstbesucher gebärden das Halleluja bei einer inklusiven Messe in der Herz-Jesu-Kirche in Trier.

Dabei sind gehörlose Menschen insgesamt krisengeprüfter, glaubt der Pfarrer. "Unsere Leute haben eine höhere Resilienz, weil sie immer schon kämpfen mussten und müssen." Diese Resilienz müssen sie häufig auch im Alltag aufbringen, wenn sie in einer hörenden Familie aufwachsen, beim hörenden Bäcker einkaufen oder zum hörenden Arzt gehen. Meistens sind es die Gehörlosen, die sich anpassen müssen.

"Umgekehrt Inklusive" Gottesdienste an den Ostertagen

Inklusion ist deshalb sowohl für Schmitz als auch für Stinner ein wichtiges Thema. Wie das mit einer eigenen Gemeinde für Gehörlose funktionieren kann? "Wenn Hörendengemeinden so ausgestattet wären, dass sie gehörlosen Menschen gleichwertige Teilhabe ermöglichen würden, dann bräuchte es uns eigentlich nicht mehr", sagt Schmitz. Ein einzelner Gebärdensprachdolmetscher mache einen Gottesdienst noch nicht inklusiv. Wichtig sei stattdessen, dass sich die hörende und die gehörlose Kultur begegnen können. Die Ostertage werden im Trierer Süden daher regelmäßig "umgekehrt inklusiv" gefeiert: Die Gehörlosengemeinde ist der Veranstalter und die Gottesdienste werden zugänglich gemacht für Menschen, die nicht gehörlos sind und alle Gottesdienstbesucher gebärden beispielsweise gemeinsam das Halleluja.

Doch Inklusion ist – nicht nur in der Kirche – längst nicht selbstverständlich. Es brauche immer wieder konkrete Orte als "Leuchttürme", um "die Anliegen der Inklusion wiederholt ins Bewusstsein und in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen aber auch, um exemplarisch die Anliegen konkret zu gestalten und Erfahrungen zu machen, wenn zum Beispiel andernorts inklusive Prozesse noch nicht so im Bewusstsein sind", sagt Stinner. "Die Gehörlosengemeinde ist sicher solch ein 'Leuchtturm'." Und auch als solcher ist die Trierer Gemeinde wohl einmalig in Deutschland.

Von Christoph Brüwer