Der Becciu-Prozess geht weiter: Wer ist eigentlich Giuseppe Pignatone?
Immer wieder huscht ein Schmunzeln über das Gesicht des kleinen weißhaarigen Italieners. Giuseppe Pignatone (72) ist mit seiner leicht krummen Haltung keine imposante Erscheinung, wäre da nicht sein frech-süffisantes Lächeln. Undurchschaubar wirkte der Präsident des vatikanischen Strafgerichts beim Auftakt des größten Strafprozesses im Vatikan Ende Juli. Immer wieder unterbrach er die langen Ausführungen der Verteidiger und ließ doch jeden geduldig zu Wort kommen. Zeit schien keine Rolle zu spielen.
Am 5. Oktober werden der kleine Sizilianer und seine zwei Beisitzer wieder in schwarzer Robe den improvisierten Gerichtssaal in den Vatikanischen Museen betreten. Die zehn Angeklagten, darunter Kardinal Giovanni Angelo Becciu, sollen an höchst verlustreichen Investitionen in eine Londoner Luxusimmobilie beteiligt gewesen sein. Die Vorwürfe reichen von Amtsmissbrauch, Veruntreuung und Geldwäsche bis hin zu Betrug und Erpressung. Mit Becciu sitzt zudem erstmals ein Kardinal auf der Anklagebank. Ob für den zweiten Prozesstag so viel Ausdauer nötig ist wie beim Auftakt, ist offen.
Schon mehrere Mammutprozesse
Ausdauer im Gericht bringt Pignatone auf alle Fälle mit. Es gebe auch die Pignatone-Zeit, munkelte man im vatikanischen Gerichtssaal, als sich die Richter Ende Juli zu Beratungen zurückzogen. Spätestens als für die Robenträger Sandwiches bestellt wurden, war klar, es würde dauern.
Der aus dem sizilianischen Caltanisetta stammende Italiener hat in seiner beruflichen Laufbahn bereits den ein oder anderen Mammutprozess mit vielen Angeklagten und noch mehr Verteidigern bewältigt. Nach seinem Jura-Studium in Palermo arbeitete Pignatone zunächst dort und später in Reggio Calabria als Staatsanwalt. Er führte unzählige Ermittlungen gegen die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia, sowie gegen die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia.
Unter anderem war Pignatone an der Aufspürung und Ergreifung des "Bosses der Bosse" Bernardo Provenzano 2006 beteiligt. Auch korrupte Politiker wie der Präsident der Region Sizilien, Salvatore "Toto" Cuffaro, wanderten unter ihm für mehrere Jahre ins Gefängnis. Seit 2012 Staatsanwalt der Republik in Rom, arbeitete Pignatone in der Hauptstadt weiter gegen organisierte Kriminalität und Geldwäsche, so auch im Rahmen von Ermittlungen gegen das römische Netzwerk "Mafia Capitale", welche mit rund 40 Haftstrafen endeten.
Im Mai 2019 ging Pignatone in den wohlverdienten Ruhestand. Am 3. Oktober 2019, nur wenige Tage nach einer umfassenden Razzia der Vatikan-Gendarmerie im vatikanischen Staatssekretariat, ernannte ihn Papst Franziskus zum neuen Präsidenten des Vatikangerichts. Damit hat der Vatikan nun exzellente Verbindungen in höchste Ebenen der italienischen Justiz und Finanzaufsicht.
In den zwei Jahren, in denen Pignatone an der Spitze des Vatikangerichts steht, ist einiges passiert. Es gab zahlreiche Neuerung und Verschärfungen, darunter zu Finanz- und Wirtschaftsfragen und beim Strafrecht. Auch die Unabhängigkeit des Gerichts und der Richter wurde laut Pignatone gestärkt. Denn auch wenn diese hierarchisch unter dem Papst stünden, seien sie in ihren Entscheidungen allein an das Recht und das Prinzip der Unparteilichkeit gebunden.
Fragwürdiges Strafrecht?
Dies ist ein Knackpunkt im laufenden Prozess gegen Kardinal Becciu und seine Mitangeklagten. Denn wie am ersten Prozesstag klar wurde: Die Verteidiger halten das vatikanische Strafrecht, das auf dem Codice Zandarelli von 1889 basiert, für äußerst fragwürdig. Zumal der Papst erst im Frühjahr das Strafprozessrecht des Vatikanstaates so geändert hatte, dass nun auch Kardinäle von Laien gerichtet werden können und nicht mehr nur durch ihresgleichen oder den Papst.
Spannend wird auch das Verhältnis vom vatikanischen Strafverfolger Alessandro Diddi und Pignatone. Die beiden kennen sich gut: Diddi verteidigte mehrfach einen berüchtigten Mafioso. Nun sollte die vatikanische Strafverfolgung eigentlich bis Mitte August weiteres Beweismaterial im Prozess allen zur Verfügung stellen, weigerte sich aber unter Berufung auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten. Ob Pignatone dies süffisant lächelnd hinnimmt – am Dienstag dürfte wenigstens dies sich klären.