Digitaler Religionsunterricht – geht das überhaupt?
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Ausgerechnet auf dem Anfahrtsweg zu einer Fortbildung über Digitalität im Religionsunterricht höre ich es in den Nachrichten: Schüler und Eltern haben, nach Lockdown und Wochen des digitalen Unterrichts auf Distanz, den Eindruck: Lehrer können digitalen Unterricht nicht! Kann wirklich sein, möchte ich sagen. Aber ist das, bezogen auf den Religionsunterricht, nicht vielleicht sogar gut so? Wir wollen nah an den Schülerinnen und Schüler sein, wollen ihnen begegnen, am besten auf Augenhöhe, wir möchten ihnen erlebnis- und erfahrungsorientierte Angebote machen. Gerade im Religionsunterricht sollen sie doch erkennen, welchen Wert die echte Begegnung zwischen Menschen hat. Klar, digitale Medien benutzen gehört irgendwie dazu – als "Medien" eben, das muss schon sein. Auf der anderen Seite: "Ist das überhaupt noch echter Religionsunterricht, wenn ich digital unterrichte?", fragte einer unserer Fortbildungsbeauftragten mitten im ersten Lockdown. Digitaler Religionsunterricht – geht das überhaupt?
Diese Fragen stellen sich besonders vor dem Hintergrund des gerade erlebten "Coronaschuljahres": Auf einmal musste Schule irgendwie digital funktionieren, anders ging es nicht. Keine Chance mehr auf reale Begegnungen. Für den Religionsunterricht ergab sich das komplette Panorama. Es reichte vom totalen Ausfall des Fachs in der Stundentafel ("Ist ja nur Reli, das ist nicht so wichtig."), den direkten Einwänden mancher Kolleginnen und Kollegen nach dem Motto "Reli geht eben nicht digital" bis zu faszinierenden Projekten und Aktionen, die Religionslehrerinnen und -lehrer mit ihren Kursen unternahmen, um in Kontakt zu bleiben und um das Fach weiter zu unterrichten. Manche Kolleginnen und Kollegen entwarfen komplette digitale Lernumgebungen. Und auf der Suche nach digitalen Möglichkeiten für den Religionsunterricht wurde in unseren gezwungenermaßen digital angebotenen Fortbildungen deutlich, wie sehr wir auf der Suche nach digitalen Ideen und Anwendungen waren und wie unterschiedlich die Bedürfnisse aussahen: Einige Kolleginnen und Kollegen suchten eine einfache Einführung in Apps, die überhaupt einsetzbar sind; andere konzipierten über Homepages der Schulen dauerhafte Projekte, gestalteten darüber ganze Unterrichtsreihen (zum Beispiel Fotoprojekte zum Thema Wundergeschichten) und suchten inhaltliche Anregungen; wieder andere versuchten über vorhandene digitale Plattformen den kompletten Unterricht digital zu spiegeln und waren auf der Suche nach so etwas wie einer digitalen Didaktik.
Dauerhaft digital?
Es zeigte sich ein unglaublich buntes Bild. Aber deutlich wurde: Dort, wo sich Kolleginnen und Kollegen engagierten, wurde entwickelt, getestet und geteilt. Und gesucht. Und immer wieder die Frage gestellt: Ist das jetzt nur eine reine Notlösung und alles wird wieder so wie vorher, wenn Corona irgendwann vorbei ist – oder müssen wir uns grundsätzlich Gedanken darüber machen, ob es einen digitalen Religionsunterricht geben kann? Größer gedacht: Kann es sein, dass auch der Religionsunterricht digital werden muss, wenn er in Zukunft als ordentliches Unterrichtsfach ernst genommen werden soll? Und schließlich: Wie müsste ein Religionsunterricht aussehen, der mit Blick auf Digitalität in der Schule spezifische Impulse setzt, die eben kein anderes Fach setzen kann?
Linktipp: Von besonderen Glücksmomenten im Distanzunterricht
Auch in Corona-Zeiten erlebt man als Lehrer trotz aller schwierigen Umstände Momente des Glücks. Heinz Waldorf erzählt von solchen Erfahrungen – und das ausgerechnet bei einem schwierigen Thema, das er mit seinen Schülerinnen und Schülern behandelt.
Also, wie hält es der Religionsunterricht mit der Digitalität? Genau dieser Frage widmete sich die eingangs erwähnte Fortbildung (eigentlich eine Kick-Off-Veranstaltung zu einem Fortbildungsangebot, das für die Dauer von mehreren Monaten auf ein selbstgesteuertes Lernen angelegt ist). Hier sollte es darum gehen, sich auf diesen Weg zu machen: zu erkunden, was Religionsunterricht unter den Bedingungen der Digitalität bedeuten kann; Prototypen für digitales Lernen im Religionsunterricht zu entwickeln, zu testen und dann auch anderen zur Verfügung zu stellen. Es geht also um ein richtiges Labor: Können wir Reli-Lehrer aus verschiedenen Schulformen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dahin bringen, sich zu vernetzen und sich dem Thema "Digitalität und religiöse Bildung" gemeinsam praxisorientiert zu widmen? Können wir – digital! – ein mehrere Monate langes, selbstgesteuertes Lernen anstoßen, ohne dass die Kolleginnen und Kollegen direkt wissen, wo sie mit ihren Fragen und Projekten am Ende des Labors im Mai 2022 stehen werden? Ohne dass sie wissen, was klappen wird und was nicht? Werden wir gemeinsam am Ende des Projektes eine Idee davon haben, ob Religionsunterricht digital möglich ist und wie er dann didaktisch aussehen kann? Kurzum: ein echter Blindflug.
Was ich bei diesem Kick Off erlebt habe? Aufbrüche und Pannen: Eine Vorbereitung, in der völlig unterschiedliche Projektpartner ein erstaunliches "Buffet" für das selbstgesteuerte Lernen der LehrerInnen zusammengestellt haben. Über 100 engagierte Kolleginnen und Kollegen allein aus Nordrhein-Westfalen, die sich an diesem Tag digital von zu Hause aus oder präsentisch in Bildungshäusern zu einer Auftaktveranstaltung zusammengefunden haben – mit völlig unterschiedlichen Wissensständen und Erwartungen hinsichtlich der Digitalität. Vernetzungen – vor Ort und im deutschsprachigen Raum digital. Auch viele Enttäuschungen und Frust: eine Menge Ausfälle der digitalen Technik. Ernüchterung, keinen Partner für die eigene Frage gefunden zu haben. Aber eben auch Aha-Erlebnisse, Ideen und viele Kolleginnen und Kollegen, die sich über die regionalen Grenzen hinaus zu vernetzen versuchen auf den Kanälen, die zur Verfügung stehen. Kreativität beim Lösen der technischen Probleme, wenn mal wieder alles nicht klappt. Und eine große Neugier, das Digitale überhaupt kennenzulernen und im eigenen Religionsunterricht auszuprobieren.
Ausgang offen
Wohin dieser Weg führt, ob sich am Ende herausstellt, wie ein echter digitaler Religionsunterricht aussehen und verantwortet werden könnte, ob es diesen überhaupt geben kann, oder ob Digitalität, so eine immer wieder zu hörende Befürchtung, Religionsunterricht zerstört, ist in meinen Augen komplett offen. Aber auch wir Reli-Lehrer müssen uns dem stellen, dass Digitalität nicht einfach verschwindet – auch nicht, wenn Corona irgendwann vorbei ist. Und vielleicht haben wir im Mai 2022 nach dem Reli-Lab so viel zusammen erlebt und zusammengetragen, dass wir erste Antworten auf einige der vielen Fragen gefunden haben werden.
Meine persönliche Zwischenbilanz in diesem Momen? Eigentlich stelle ich mir einen digitalen Religionsunterricht vor wie unser Kick Off: gemeinsames Ausprobieren, Scheitern, erneutes Versuchen und immer wieder das gemeinsame und eigenverantwortliche Abstecken des eigenen Lernweges – in digitalen Kanälen und analog vor Ort, je nachdem, was gerade nötig, möglich oder sinnvoll ist. Aber so, dass die Schülerinnen und Schüler "in echt" erleben, dass auch wir Lehrer mit ihnen lernen wollen. Mein Wunsch ist, dass es mir gelingt, meine Schülerinnen und Schüler solch ein gemeinsames Lernen erleben zu lassen. Vielleicht wird dann der Religionsunterricht zu einem echten digitalen Religionsunterricht werden können. Und vielleicht sind dann Eltern und Schüler hinsichtlich der digitalen Unterrichtsfähigkeiten der (Religions-)Lehrer zufrieden. Und vielleicht wir Lehrer selbst auch.
Utopisch? Vielleicht.
Zur Person
Heiko Overmeyer ist Referent für die Schulformen Gymnasium, Gesamtschule und Weiterbildungskollegs in der Abteilung Religionspädagogik im Bistum Münster. Er unterrichtet Geschichte und Katholische Religionslehre an der Friedensschule in Münster.