Reformbewegung will weiterhin an kirchlichem Kulturwandel mitarbeiten

25-Jahr-Feier von "Wir sind Kirche": Zwischen Hoffnung und Resignation

Veröffentlicht am 17.10.2021 um 13:29 Uhr – Lesedauer: 

Ludwigshafen ‐ Früher war "Wir sind Kirche" eine Randgruppe. Heute teilen viele Gläubige ihre Reformforderungen. Nun feierte die Initiative ihr 25-jähriges Bestehen. Sie will weiterhin Stimme für einen Kulturwandel in der Kirche sein – kämpft aber mit Problemen.

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Mit einem coronabedingten Jahr Verspätung hat die Gruppe "Wir sind Kirche" am Wochenende in Ludwigshafen ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert und ihre Bundesversammlung abgehalten. Immer wieder beschäftigten sich die knapp 100 Teilnehmenden mit der Frage, ob das Jubiläum angesichts des katholischen Reformprojektes Synodaler Weg Anlass zu Optimismus bietet oder ob die Erfahrungen mit kirchlichen Erneuerungsplänen nicht doch eher zu Pessimismus verleiten müssen.

Begonnen hatte alles vor einem Vierteljahrhundert im Nachbarland Österreich: 500.000 Menschen forderten damals eine "grundlegende Erneuerung der Kirche Jesu" und Reformmaßnahmen. Zuvor hatten Vorwürfe schweren sexuellen Missbrauchs gegen den damaligen Wiener Kardinal Hans Hermann Groer (1919-2003) die volkskirchlichen Strukturen in heftige Turbulenzen gestürzt. Der Funke der Veränderung sprang über, in der Bundesrepublik sammelten die Initiative "Kirche von unten" und die Leserinitiative Publik ebenfalls noch 1995 knapp zwei Millionen Unterschriften.

Forderungen werden inzwischen verhandelt

Gefordert wurden schon damals weitreichende Änderungen – die jetzt bei der von Bischofskonferenz und Zentralkomitee der Katholiken ins Leben gerufenen Reforminitiative verhandelt werden: die kirchliche Sexualmoral, die Gleichberechtigung von Frauen einschließlich der Zulassung zu allen Weiheämtern, die Aufhebung des verpflichtenden Zölibats für Priester und Machtteilung. Gilt es aber nun als Erfolg, dass die Bischöfe das, was sie damals ganz überwiegend ablehnten, heute selbst auf die Tagesordnung setzen?

Frankfurts Stadtdekan Johannes zu Eltz präsentierte sich bei einer Diskussion als einer derjenigen, die sich gewandelt hätten. Er habe mit "Wir sind Kirche" eine Zukunft, "aber keine Vergangenheit". Vor 25 Jahren habe er die Forderungen "schwer verständlich und vieles als ärgerlich empfunden". Auf einem Podium von "Wir sind Kirche" zu sitzen, sei für ihn damals unvorstellbar gewesen. Heute gebe es aber zwischen Nordsee und Bodensee eine große Mehrheit für Reformen. Entsprechend bezeugte zu Eltz den Teilnehmern Respekt und sprach Dank aus.

Bild: ©katholisch.de (Archivbild)

Änderung der kirchlichen Sexualmoral, Gleichberechtigung von Frauen einschließlich der Zulassung zu allen Weiheämtern, Aufhebung des verpflichtenden Zölibats für Priester und Machtteilung: Dafür setzt sich "Wir sind Kirche" seit Jahren ein. Doch der Nachwuchs bleibt aus.

"Wir sind Kirche" selbst vergleicht sich gern mit Löwenzahn: lästig, hartnäckig und genügsam, ausdauernd, heilsam und fruchtbar. Aber stimmt das? Als Moderatorin Gudrun Lux fragte, wer im Saal unter 40 sei, ging keine Hand nach oben. Kaum anders wäre das Ergebnis ausgefallen, hätte Lux die Zahlen 50 oder 60 verwendet. Der Nachwuchs bleibt aus. Mehr als die Hälfte reckten indes ihre Finger in die Luft, als nach studierten Theologen gefragt wurde. Ernüchternd in einer Zeit, in der bundesweit gerade mal 100 Menschen jährlich ein Vollstudium in diesem Fach abschließen und die wissenschaftliche Theologie von erheblichen Verlustängsten geprägt scheint.

Bei "Wir sind Kirche" engagieren sich seit Jahrzehnten Reformorientierte, die ihre Biografie an der Institution Kirche abarbeiten – vereint zwischen Hoffnung und Resignation. Eine Art katholischer Reform-Blase, die sich auch durch persönliche Netzwerke selbst davor bewahren will, angesichts ausgebliebener Ergebnisse und unerfüllter Träume gekränkt zu sein. "Bitterkeit und Resignation lauern um die Ecke", formulierte es der emeritierte Theologieprofessor Hermann Häring in Ludwigshafen. Aber wie sieht jenseits von Anekdotischem die Zukunft aus?

Probleme – aber dennoch Zuversicht

Christian Weisner (70), seit vielen Jahren das öffentliche Gesicht der Gruppe mit einem spendenfinanzierten Jahresetat von rund 120.000 Euro, weiß um die Probleme. Aber Weisner vertritt eine andere Sicht: Er berichtet vom Zuspruch der Basis und zählt die "Kinder" auf, die im vergangenen Vierteljahrhundert zur Welt gekommen seien: nicht nur der Synodale Weg, auch die Initiative Maria 2.0, die "Ordensfrauen für Menschenwürde", Betroffenen-Organisationen sexualisierter Gewalt und konkrete Hilfsangebote.

Was ist die Perspektive für die nächsten 25 Jahre? Mitarbeit an einem Kulturwandel hin zu einer synodalen Kirche, in der die Botschaft des Evangeliums zum Maßstab wird. "Wir sind Kirche", sagt Weisner, will dabei eine wichtige Stimme bleiben.

Von Michael Jacquemain (KNA)