Scharfe Kritik am Kurs der Anglikanischen Kirche

Ex-Anglikaner-Bischof: Darum bin ich zum Katholizismus konvertiert

Veröffentlicht am 19.10.2021 um 12:33 Uhr – Lesedauer: 

London ‐ Vergangene Woche war bekannt geworden, dass der frühere anglikanische Bischof Michael Nazir-Ali zur katholischen Kirche übergetreten ist. Nun begründete er diesen Schritt ausführlich – und ging dabei hart mit der Anglikanischen Kirche ins Gericht.

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Der ehemalige anglikanische Bischof von Rochester, Michael James Nazir-Ali, begründet seinen Übertritt zur katholischen Kirche mit der Enttäuschung über den Kurs der Anglikanischen Kirche. Er sei "zutiefst betrübt, dass die Kirche von England nicht die Kirche ist, der ich beigetreten bin", schrieb Nazir-Ali am Sonntag in einem Beitrag für die "Daily Mail" (Online-Ausgabe). Als Institution scheine sie "ihren Weg zu verlieren". Die Anglikanische Kirche sei "zersplittert, eine lose Ansammlung von Kirchen, von denen viele widersprüchliche Auslegungen des Christentums haben", so der frühere Bischof von Rochester. Er habe sich "zu oft" allein gefühlt, "im Zwiespalt mit der Kirche".

Laut Nazir-Ali sind die Kirchenräte und Synoden der Anglikanischen Kirche "von Aktivisten durchdrungen, die jeweils eine einseitige, oft modische Agenda verfolgen", etwa politische Korrektheit, Klimawandel, Identitätspolitik oder eine kritische Theorie zu Rasse, Religion und Geschlecht. Diese sei entwickelt worden, "um Konflikte zu schaffen, indem Menschen in Opfer und Bösewichte eingeteilt werden". In letzter Zeit sei die Kirche von Bürokraten "überschwemmt" worden, während die Zahl der Geistlichen in den Gemeinden immer weiter reduziert werde, so Nazir-Ali.

Dagegen sei die anglikanische Kirche bei der Verteidigung christlicher Werte zu zurückhaltend geworden, kritisierte der ehemalige Bischof. Als Beispiel nannte er das Thema Ehe und Familie: "Die Kirche sollte auch öffentlich die Ehe als eine dauerhafte Institution unterstützen, in der sich ein Mann und eine Frau für das ganze Leben verpflichten". Oft zeige sich die Kirche in Bezug auf die traditionelle Ehe apologetisch, "aus Angst, diejenigen zu kränken, die nicht verheiratet sind", so Nazir-Ali. Zudem vermisst er eine ausreichende Unterstützung von Christen in der ganzen Welt.

"Werte, die ich vertrete"

Zu seiner Konversion schrieb Nazir-Ali, dass auch die katholische Kirche ihre Probleme habe. "Aber der Glaube und die Werte sind diejenigen, die auch ich vertrete und von denen ich das Gefühl habe, dass sie in der Kirche von England ausgehöhlt werden." Nach eigenen Worten freut er sich nun auf die Möglichkeit, die Menschenrechte zu verteidigen und Millionen von leidenden Christen und anderen Menschen auf der ganzen Welt zu helfen. "Die katholische Kirche ist eine wirklich vereinte globale Organisation, was ihr Stärke verleiht."

Vergangene Woche war bekannt geworden, dass Nazir-Ali in die katholische Kirche übergetreten Und mit Erlaubnis von Papst Franziskus bereits im kommenden Monat zum katholischen Priester geweiht werden könnte. Der 72-jährige, der das Bistum Rochester von 1994 bis 2009 leitete, gehörte zu den bekanntesten Bischöfen der anglikanischen Kirche. Der pakistanischstämmige Geistliche war der erste nicht-weiße Diözesanbischof in der Staatskirche von England. Bereits während seiner Amtszeit trat er als konservativer Kritiker des kirchenpolitischen Kurses der Anglikaner auf. Er ist seit 1972 verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Erst kürzlich hatte auch der anglikanische Bischof von Ebbsfleet, Jonathan Goodall, sein Amt niedergelegt, um zur römisch-katholischen Kirche überzutreten. Goodall erklärte, seinem Entschluss sei eine lange Zeit des Gebets vorausgegangen, die zu "den härtesten Phasen" seines Lebens gehört habe. Nach den Entscheidungen der anglikanischen Staatskirche, Frauen zu Priesterinnen und dann auch zu Bischöfinnen zu weihen, waren jeweils zahlreiche Geistliche des konservativen und des sogenannten anglokatholischen Kirchenflügels zum Katholizismus übergetreten. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen Anfang der 1990er Jahre tat dies mit dem damaligen Bischof von London sogar die Nummer drei der anglikanischen Kirchenhierarchie. Papst Benedikt XVI. schuf 2009 ein eigenes sogenanntes Personalordinariat für übergetretene Anglikaner. (mal)