Kolumne: Mein Religionsunterricht

Gegen das Theoriemonster: Der Religionsunterricht als Talkshow

Veröffentlicht am 22.10.2021 um 15:30 Uhr – Lesedauer: 

Kusel/Bonn ‐ Theorielastige Themen sind im Religionsunterricht nicht gerade beliebt. Maximilian Golumbeck empfiehlt deshalb, die Stunde als Talkshow zu inszenieren: Mit verteilten Pro- und Contra-Rollen könne sogar Feuerbachs Religionskritik für Spannung sorgen.

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Eine lebhafte Diskussion gehört zu einem guten Religionsunterricht dazu. Darüber besteht im Allgemeinen ein breiter Konsens, führt doch eine themengebundene Diskussion dazu, dass die Schülerinnen und Schüler sich vertiefend mit einem Thema auseinandersetzen. Klingt eigentlich ganz einfach: "Diskutiert in Gruppen den Einfluss der Projektionstheorie Ludwig Feuerbachs auf gegenwärtige atheistische Positionen!" Wie würde wohl mein Reli-Grundkurs reagieren, konfrontierte ich die Schüler im Anschluss an das Tafelbild zur Projektionsthese mit dieser Aufgabenstellung? Ich wage zu prognostizieren, dass die Begeisterung über den Arbeitsauftrag nicht ins Unendliche reichen würde. Neulich im Abiturjahrgang: Das Thema des Religionsunterrichts lautete: "Gibt es Gott? – Die Projektionsthese Ludwig Feuerbachs". Was gibt es schöneres, als im Religionsunterricht Positionen des Atheismus zu diskutieren und mit apologetischen Begründungen ins Gespräch zu bringen? Die Bemerkung einer Schülerin im Hinblick auf meine offenkundig gute Laune zeigt, dass man mir die Vorfreude auf dieses Thema wohl anmerkt. (Ich muss zugeben, die neuzeitliche Religionskritik gehört zu meinen Lieblingsthemen des Religionsunterrichts). Doch spätestens bei der Lektüre zu Feuerbachs religionskritischer Theorie zeigt sich, dass die Begeisterung über dieses Thema im Abiturkurs vielfach zunächst nicht geteilt wird.

Solche Situationen sind nur allzu verständlich. Die philosophische Sprache Feuerbachs wirkt auf viele Schülerinnen und Schüler des Kurses zunächst fremd und unzugänglich. Darüber hinaus haben nicht alle Schüler die Frage nach der Existenz Gottes in ihrem Leben bisher als für sie relevant begriffen. Ein konstruktiver Austausch im Unterricht braucht also eine ausführliche Vorbereitung und die Identifikation mit dem Thema, welche in der Unterrichtsreihe zu Feuerbachs Religionskritik mithilfe einer Talkshow geschehen soll. In der Vorbereitungsphase nehmen die Schülerinnen und Schüler eine der benötigten Rollen ein, die sie während der Talkshow in der darauffolgenden Stunde verkörpern. Zum Einsatz kommen: Ein Moderatorenteam, je ein Expertenteam Pro Feuerbach und ein Expertenteam Contra Feuerbach sowie ein Team aus Protokollführern. Diese Rollenverteilung bietet die wertvolle Möglichkeit der Binnendifferenzierung und damit die Chance für die Schülerinnen und Schüler, sich in ihren jeweiligen persönlichen Stärken im Unterricht einzubringen.

Der Religionskritiker Ludwig Feuerbach
Bild: ©picture-alliance / akg-images

Ludwig Feuerbach (1804-1872) gehört zu den wichtigsten Vertretern der philosophischen Religionskritik des 19. Jahrhunderts. Seine Kernthese besteht darin, dass der Mensch sich Gott als Übersteigerung seines eigenen Wesens vorstelle ("Gott ist der Spiegel des Menschen"). Dieser an sich positive Inhalt mache den Menschen jedoch klein und hemme seine Selbstentfaltung. Die Bezeichnung seiner Kritik als "Projektsionstheorie" ist nachträglich und stammt nicht von Feuerbach selbst. (Holzstich von 1876)

Die Rollenverteilung

Moderatoren: Das Moderatorenteam plant im Vorfeld eigenständig den Ablauf und die Gestaltung der Talkshow. Darüber hinaus bereiten sie passende Fragen zur Vertiefung der Thematik vor.

Protokollführer: Ein Team aus Protokollanten entwirft eigenständig ein geeignetes Protokoll und verteilt innerhalb des Teams entsprechende Beobachtungsaufträge. Den Protokollanten kommt eine äußerst wichtige Aufgabe zu, da ihre Beobachtungen später zur Ergebnissicherung herangezogen werden.

Expertenteams: Alle weiteren Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für eine Position in Bezug auf Feuerbachs Religionskritik und sind potenzielle Teilnehmer des Expertenaustauschs. Sie konsultieren im Vorfeld verschiedene Argumente und bereiten diese für ihren potenziellen Einsatz bei der Talkshow vor. Die tatsächlichen Teilnehmer können per Losverfahren ausgewählt werden.

Die Lehrkraft: Als Lehrer nehme ich die Rolle des Regieleiters ein. Damit begleite ich die Vorbereitung organisatorisch im Hintergrund und achte auf die angesetzten Zeitfenster.

Die Show beginnt

"Gott als Projektion des Menschen – Hat Feuerbach Recht?" 45 Minuten lang diskutiert der Abiturkurs lebhaft über die Existenz Gottes. Auf den Impuls des Expertenteams Pro Feuerbach: "Gott existiert natürlich nur in den Köpfen der Menschen, da sich die Menschen zwangsläufig nach einer höheren Macht sehnen!" kontert die Gegenseite prompt: "Nur weil ich mir Gott in einer bestimmten Art und Weise vorstelle, bedeutet das nicht, dass dies die tatsächliche Existenz Gottes ausschließt." Die verbale Auseinandersetzung gewinnt an Fahrt! Anstöße von der Moderation wie "Würde es uns ohne Glauben tatsächlich besser gehen?" sowie Zwischenfragen aus dem Publikum belebten die Debatte zunehmend und luden alle Beteiligten ein, sich kritisch zum Thema zu äußern. Das Moderatorenteam hatte gegen Ende des Unterrichts sichtbar Mühe, die bis dahin lebhafte Debatte zu einem Ende zu führen. Toll gemacht, liebe OG13!

Es ist schön zu sehen, wenn sich Schülerinnen und Schüler nach der Unterrichtsstunde in den Fluren weiter über das Unterrichtsthema unterhalten. Dies gelingt freilich nicht in jeder Stunde und eine bestimmte Unterrichtsmethode ist kein Garant für guten Unterricht, sondern muss natürlich zur Lerngruppe passen und didaktisch geschickt eingesetzt werden. In diesem Fall jedoch trug die Durchführung der Talkshow dahingehend Früchte, dass einige Abiturienten die Frage nach Gott nun als für sich ein Stück weit relevant begreifen. Probieren Sie es doch mal aus!

Von Maximilian Golumbeck

Der Autor

Maximilian Golumbeck ist Religionslehrer am Kaufmännischen Berufsbildungszentrum (KBBZ) Neunkirchen/Saar.

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