Wegen Missbrauch: Kevelaer diskutiert über Bischof-Janssen-Straße
In der nordrhein-westfälischen Wallfahrtsstadt Kevelaer wird über eine mögliche Umbenennung der Bischof-Janssen-Straße diskutiert. Das bestätigte Kevelaers Bürgermeister Dominik Pichler (SPD) am Donnerstag auf Anfrage von katholisch.de. Auslöser der Diskussion sei das im September im Bistum Hildesheim vorgestellte Missbrauchsgutachten, das für die Amtszeit von Hildesheims langjährigem Bischof Heinrich Maria Janssen (1957-1982) "eklatante Missstände" im Umgang mit Missbrauchsfällen festgestellt hatte. Als Reaktion darauf hatte die Betroffeneninitiative in der niedersächsischen Diözese zuletzt bereits die Umbenennung der Bischof-Janssen-Straßen in Duderstadt und Hildesheim gefordert.
Pichler erklärte, dass seiner Verwaltung zwei Bürgeranträge vorlägen, die die Umbenennung der Bischof-Janssen-Straße forderten. Diese seien unmittelbar nach der Vorstellung des Hildesheimer Gutachtens gestellt worden. "Wir prüfen die Anträge derzeit und werden uns voraussichtlich in der nächsten oder übernächsten Sitzung des zuständigen Haupt- und Finanzausschusses mit dem Thema beschäftigen", kündigte der Bürgermeister an. Die nächste Sitzung des Ausschusses sei für Anfang Dezember geplant.
Auch Ehrenbürgerwürde könnte Thema werden
Um die Frage der Straßenumbenennung seriös prüfen zu können, werde sich das Gremium intensiv mit dem Hildesheimer Gutachten beschäftigen, kündigte Pichler an. Er selbst habe die Untersuchung bislang aber noch nicht vollständig gelesen. "Außerdem haben wir die Wallfahrtsleitung in Kevelaer und das Bistum Münster um Stellungnahmen in der Sache gebeten", sagte der Bürgermeister. Er gehe davon aus, dass die Kirche die Stellungnahmen liefern werde, derzeit lägen sie allerdings noch nicht vor. Grundsätzlich denke er, so Pichler, dass die Stadtverwaltung in absehbarer Zeit in der Lage sein werde, den Sachverhalt seriös zu beurteilen: "Die Fakten liegen durch das Gutachten ja relativ klar auf dem Tisch."
Pichler deutete darüber hinaus an, dass im Zuge der aktuellen Debatte auch die in den 1950er Jahren von der Stadt Kevelaer an Janssen verliehe Ehrenbürgerwürde ein Thema werden könnte. Zwar gehe man gemäß der gängigen Rechtsauffassung davon aus, dass eine Ehrenbürgerwürde mit dem Tod des Ehrenbürgers erlösche; das wäre bei Janssen im Jahr 1988 der Fall gewesen. Es gebe jedoch einen – wenn auch nur bedingt vergleichbaren – Präzedenzfall, so der Bürgermeister: "Im Jahr 2003 hat sich der Haupt- und Finanzausschuss ausdrücklich von der im Jahr 1933 verliehenen Ehrenbürgerwürde an Adolf Hitler distanziert." Ob es im Fall Janssen zu einem ähnlichen Votum des Ausschusses kommen werde, sei aber noch völlig offen und hänge von der weiteren Prüfung des Falls ab. Klar sei für ihn aber, so Pichler, dass man Heinrich Maria Janssen und Adolf Hitler nicht auf eine Ebene stellen könne. Ein eventuelles Votum des Ausschusses zu dem Bischof müsse deshalb sicher wesentlich differenzierter ausfallen, als das 2003 bei Hitler der Fall gewesen sei.
Laut dem Hildesheimer Gutachten bleibt weiterhin offen, ob sich Janssen, der 1907 in der Nähe von Kevelaer geboren wurde und der Region am Niederrhein Zeit seines Lebens eng verbunden war, selbst an Kindern vergangen hat. Es könne nicht festgestellt werden, "ob Bischof Janssen sexuellen Missbrauch oder sexuelle Grenzüberschreitungen gegenüber Minderjährigen begangen hat", heißt es in dem Bericht. Die Gutachter stellten allerdings "eklatante Missstände" im Umgang mit Missbrauch während Janssens Amtszeit fest. Demnach gab es von kirchlicher Seite Zuwendung und Schutz für die Täter, während die Betroffenen keinerlei Hilfen erhielten. Die Untersuchung spricht von "massivem Unrecht" gegenüber Kindern. Insbesondere in katholischen Kinderheimen habe es physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegeben.
Gutachter: Janssen wollte Ruf der Kirche und Täter schützen
Janssen ist der erste deutsche Bischof, dem sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen angelastet wird. Zum einen hatte 2018 ein Mann dem heutigen Bischof Heiner Wilmer berichtet, dass er als Heimkind von Janssen Ende der 1950er Jahre aufgefordert worden sei, sich nackt vor ihm auszuziehen. Anschließend habe er ihn mit den Worten weggeschickt, er könne ihn nicht gebrauchen. Zudem hatte 2015 ein ehemaliger Ministrant dem Bistum berichtet, Janssen habe ihn zwischen 1958 und 1963 sexuell missbraucht. Dieser Vorwurf war bereits Thema in einem 2017 veröffentlichten Gutachten. Die Autoren der neuen Studie konnten diese Vorwürfe nicht erhärten, fanden aber auch keine entlastenden Anhaltspunkte.
Laut den Gutachtern ging es Janssen vor allem darum, den Ruf der Kirche und die Täter zu schützen. Bevorzugte Maßnahme sei die Versetzung eines beschuldigten Priesters in eine andere Gemeinde oder in ein anderes Bistum gewesen. Auch Schutz vor staatlicher Strafverfolgung sei gewährt worden. In einem Fall sei ein Geistlicher mit Hilfe der Bischofskonferenz in Südamerika untergebracht worden. Ein organisiertes Täternetzwerk habe es aber nicht gegeben und auch nicht gebraucht, weil sich die Täter auch so geschützt fühlen konnten. Auch staatliche Stellen hätten deutliche Nachsicht gegenüber priesterlichen Tätern gezeigt. (stz)