Abgeschottete und charismatische Gemeinschaften besonders anfällig

Theologin: Geistlicher Missbrauch wirkt "wie eine Art Gehirnwäsche"

Veröffentlicht am 12.11.2021 um 12:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln/Regensburg ‐ Missbrauch ist in der Kirche oft nicht nur Gewalt sexueller Art, sondern kann auch spirituelle Züge haben. Für die Regensburger Theologin Barbara Haslbeck gehört beides zusammen – mit oft zerstörerischen Folgen.

  • Teilen:

Aus Sicht der Regensburger Theologin Barbara Haslbeck kann sich geistlicher Missbrauch und Manipulation für Betroffene "wie eine Art Gehirnwäsche auswirken". "Wenn ich Menschen zuhöre, die massiven spirituellen Missbrauch erlebt haben, fühlt sich das tatsächlich wie Psychoterror an. Sie haben keine Freiheit mehr", sagte Haslbeck in einem Interview mit "domradio.de" (Donnerstag). Die eigenen Gedanken einer Person würden dadurch umgeformt. "Sie wird zur Marionette und die Oberen ziehen an den Fäden", so die Beraterin der Anlaufstelle der Bischofskonferenz gegen Gewalt an Frauen.

Als drei Anzeichen für spirituellen Missbrauch nennt die Theologin ein Handeln gegen die spirituelle Selbstbestimmung, Zwang und die Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses. Darüber hinaus seien sexueller und spiritueller Missbrauch eng miteinander verbunden. Menschen, die im Raum der Kirche sexuellen Missbrauch erlebt hätten, würden "nahezu immer vorauslaufend spirituellen Missbrauch erleben", betonte Haslbeck. Betroffene würden lernen, dass es nicht um sie gehe und ihre Gefühle keine Rolle spielten. "Und das wirkt sich auf die Betroffenen zerstörerisch aus." Es sei ein sehr schwerer Weg, aus diesem Zustand herauszukommen. "Es beeindruckt mich, wie Betroffene trotz der schwierigen Erfahrungen Wege finden, wieder selbstbestimmt zu leben."

Gemeinschaften, die sehr autoritär seien, ein hohes Sendungsbewusstsein hätten und sich sehr von der Welt abschotteten, seien besonders anfällig für spirituellen Missbrauch. Sie beobachte auch christliche Gemeinschaften aus dem charismatischen Bereich, erklärte Haslbeck. Diese zögen Menschen mit einer sehr emotionalen Spiritualität an. "Nach außen sieht das Leben sehr frei und locker aus, doch es entsteht eine Art Leistungsdruck, wenn Menschen dann ihr ganzes Leben Jesus schenken sollen und das Spirituelle alle Dinge des Lebens lenkt." Wer nicht mitkomme, gerate schnell in eine "Versagerrolle". "Betroffene müssen dann erkennen, dass ihre Bereitschaft zu einem Leben mit Jesus ausgenutzt wurde." (cbr)