ZdK-Kandidat Hemel: Sanierungsplan für die Kirche
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wählt auf seiner Vollversammlung am Freitag und Samstag einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für den bisherigen Präsidenten Thomas Sternberg. Zwei Bewerbungen gibt es: den Vorsitzenden des Bundes katholischer Unternehmer (BKU), Ulrich Hemel, und die Vizepräsidentin des Deutschen Caritasverbands, Irme Stetter-Karp. Der Unternehmer und Religionspädagoge Hemel will einen Sanierungsplan für die Kirche aufstellen – um Missbrauch aufzuarbeiten, aber auch um Glaubensfreude und Hoffnung zu zeigen. Als ZdK-Präsident will er sich an anspruchsvollen Zielen messen lassen. Ein Interview mit Irme Stetter-Karp hat katholisch.de bereits am Mittwoch veröffentlicht.
Frage: Herr Hemel, seit Jahrzehnten kommen die ZdK-Präsidenten aus der Politik. Sie wären der erste Unternehmer an der Spitze. Welche Erfahrungen und Ideen bringen Sie denn aus der Wirtschaft für die ZdK-Präsidentschaft mit?
Hemel: Zunächst bin ich wie jeder andere Mensch eine Person, und eine Person geht nicht auf in der einen oder anderen beruflichen Rolle. Ich habe die Chance gehabt, über viele Jahre verschiedene Berufe auszuüben, darunter auch in der Wirtschaft, und das hat mir Einblick gegeben in die Funktionsweise großer Organisationen. Das bringe ich gerne mit für dieses Amt, denn am Ende ist auch die katholische Kirche in Deutschland immer noch eine große Organisation mit vielen engagierten Menschen.
Frage: Und als erfahrener Unternehmer haben sie keinen besonderen Blick auf die Kirche?
Hemel: Doch, selbstverständlich. Kirche hat ja gerade einen riesigen Nachholbedarf an Organisation, an klarer Führung, an Vereinbarung und der Suche nach gemeinsamen Zielen. Da sehe ich ein gewaltiges Feld, auf dem wir noch sehr viel erreichen können.
Frage: Was sind denn die Themen, die Sie sich für das ZdK gesetzt haben? Welche Schwerpunkte möchten Sie als Präsident setzen?
Hemel: Wir haben uns als ZdK auf den Synodalen Weg gemacht. Dieser Weg ist für uns als katholische Kirche in Deutschland von herausragender Bedeutung. Dabei wird es sehr wichtig sein, die Stimme der katholischen Kirche in Deutschland zu artikulieren und auch in der Weltkirche deutlich zu machen, gleichzeitig aber auch das Gemeinsame zu suchen, denn wir können nur gemeinsam Kirche sein. Ein weiteres Thema, das mich sehr beschäftigt, ist die Frage, wie wir eine einladende und sympathische Kirche sein können. Dazu gehören Fragen der Diversität, etwa eine stärkere Gleichberechtigung von Frauen oder die Einbeziehung von Gruppen, die wir im Augenblick eher verlieren als gewinnen. Auch die Ökumene, der Blick auf Europa und die ganze Welt ist wichtig – auch auf die Weltkirche. Im katholischen Kontext gibt es die Besonderheit, dass "Blick auf die Weltkirche" als Argument verwendet wird, um möglichst wenig zu verändern. Als gäbe es anderswo in der Weltkirche keinen Reformbedarf! Und da sehe ich die Stimme aus Deutschland mit ihrer großen Tradition fundierter theologischer Argumentation als wichtigen Beitrag.
„Schon jetzt hat der Synodale Weg einen Prozess in Gang gesetzt, den ich sehr berührend fand: Die Frontststellung zwischen Laiinnen und Laien einerseits und Bischöfen andererseits hat sich aufgelöst.“
Frage: Wo steht der Synodale Weg gerade?
Hemel: Schon jetzt hat der Synodale Weg einen Prozess in Gang gesetzt, den ich sehr berührend fand: Die Frontststellung zwischen Laiinnen und Laien einerseits und Bischöfen andererseits hat sich aufgelöst. Mittlerweile arbeiten wir bei den synodalen Versammlungen gut zusammen. Wir haben inzwischen auch gelernt, dass die Kirche manchmal tatsächlich eine Täterorganisation ist. Die Berichte der Missbrauchsbetroffenen haben da viel bewirkt und bewegt. Sie haben uns deutlich gemacht, dass es nicht nur Täter unter den Priestern gab, sondern auch ein Umfeld, das weggeschaut hat und die Taten dadurch gedeckt und ermöglicht hat. Zugleich kann man die Kirche auch nicht auf ihre dunklen Seiten begrenzen. Es gibt so viel Gutes in der Kirche, und auch das sollten wir energisch aufgreifen. In der Öffentlichkeit und bei uns selbst wird unterschätzt, was alles an Gutem in der Kirche passiert, an innovativer Zuwendung zu den Menschen, etwa im Einsatz für Obdachlose und Arme. Ich wünsche mir eine sympathische, den Menschen zugewandte Kirche, die in ihrem Handeln auch so wahrgenommen wird – auch mit ihrer fröhlichen Glaubenshoffnung. Wir haben ja nicht nur Trauer, wir haben nicht nur Karfreitag, wir haben auch Ostern.
Frage: Ist das ZdK denn zuständig für solche pastoralen Themen?
Hemel: Ich bin nicht sicher, ob es einfach nur pastorale Themen sind. Es sind kirchliche Themen. Und das ZdK steht für die katholische Kirche in Deutschland, hier kommen die Vertreter aus den Verbänden und Pfarreien zusammen, die alle letztlich für die Basis, für die Kirche vor Ort stehen. Die Aufgabe des ZdK ist es, alle für die Kirche wichtigen Themen zusammenzuführen: das Organisatorische, das Pastorale, das politische und das gesellschaftliche Engagement. Da darf man nicht einfach eine Seite isolieren.
Frage: Bei der zweiten Synodalversammlung haben Sie kritisiert, dass zu viele Texte produziert werden.
Hemel: Ja, wenn wir nur eine textproduzierende Organisation sind – ob beim Synodalen Weg oder beim ZdK – wäre das zu wenig. Wir müssen auch handeln. Ich habe beim Synodalen Weg vorgeschlagen, in allen Diözesen als ein Element des Umgangs mit dem Missbrauch einen Bußgottesdienst zu feiern, möglicherweise verbunden mit einer Bußwallfahrt. Das genügt nicht, aber es wäre ein schönes Zeichen für die Lebendigkeit unserer Kirche.
Frage: Nun steht der Umzug des ZdK-Generalsekretariats nach Berlin an. Wie kann sich das ZdK aufstellen, um in Berlin gut wirken zu können?
Hemel: Die Frage ist wichtig, aber das kann nicht eine Person allein beantworten. Wir brauchen einen Strategieprozess für das ZdK. Wir müssen uns fragen, wer wir sind, wer wir sein wollen und wie wir uns in wichtigen Fragen positionieren wollen, um auch verstanden zu werden. Wir sehen ja, dass die religiöse Sprachfähigkeit der meisten Menschen eher abnimmt – da muss das ZdK die Stimme einer demokratiefähigen Religion sein, die dafür sorgt, dass religiöse Positionen gehört und verstanden werden. Die öffentliche Kommunikation des ZdK ist noch ausbaufähig. Und wir können an der Repräsentativität des ZdK arbeiten.
Frage: Was meinen Sie damit?
Hemel: Nicht alle Gruppen in der Kirche sind schon gut im ZdK vertreten. Ein Beispiel sind die sogenannten muttersprachlichen Gemeinden. Die Katholiken aus Italien, Spanien, Kroatien, Polen und anderen Ländern haben parallele Strukturen und sind oft nicht gut eingebunden in die Kirche vor Ort. Auch junge Menschen fehlen oft. Natürlich gibt es die Jugendverbände, aber junge Menschen könnten noch mehr vorkommen und gehört werden.
Frage: Noch sind die Koalitionsverhandlungen nicht abgeschlossen. Welche Erwartungen sollte das ZdK an eine neue Regierung stellen?
Hemel: Ein großes Thema, nicht nur für Christinnen und Christen, ist die Zukunftsfähigkeit unseres Landes: die Ausgestaltung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Die Familien, die in der Coronazeit vergessen wurden. Die Frage nach der wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit, nach sozialem Zusammenhalt. Wichtig ist vor allem, dass man das nicht auf Einzelfragen reduziert. Im Kern geht es bei alldem um das Menschenbild, das der Politik zu Grunde liegt – und da haben Christinnen und Christen einiges einzubringen. Wir sehen beides: den Menschen in seiner Verletzlichkeit, aber auch den Menschen, der sich schöpferisch entfalten kann.
„Ich glaube, wir brauchen auch eine veränderte Stimmungslage des Christentums in Deutschland. Wir sind ziemlich am Boden, gar keine Frage. Aber wer am Boden ist, der hat auch oft die Kraft, aufzustehen und nach vorne zu gehen.“
Frage: Die Unionsparteien werden aller Voraussicht nach nicht zur nächsten Regierung gehören. Verändert das die Arbeit und den Einfluss des ZdK?
Hemel: Nicht unbedingt. Das ZdK hat sich ja nun gewaltig verändert in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Ich bin zwar selbst Mitglied in der CDU, aber im ZdK gibt es natürlich viele Menschen, die sich aus christlicher Verantwortung in anderen Parteien engagieren. Die Parteizugehörigkeit spielt weder für die Zusammenarbeit im ZdK noch für seine Wirkung nach außen eine entscheidende Rolle.
Frage: Was wären für Sie als ZdK-Präsident Ergebnisse einer erfolgreichen ersten Amtszeit?
Hemel: Eine positive Wahrnehmung der Kirche in der Gesellschaft, aber auch in der Kirche selbst, steigende Taufzahlen, ein Sanierungsplan für die Kirche und die Umsetzung der berechtigten Anliegen des Synodalen Weges, der für viele Menschen eine große Hoffnung ist. Auch wenn dessen Erfolg nicht allein vom ZdK abhängt.
Frage: Sie waren auch Unternehmensberater. Wenn Ihnen ein Geschäftsführer solche Ziele präsentiert: Würden Sie die für machbar halten?
Hemel: Ich gebe zu, das sind anspruchsvolle Ziele. Aber das müssen gute Ziele auch sein, es lohnt sich, ambitioniert zu sein: Ich glaube, wir brauchen auch eine veränderte Stimmungslage des Christentums in Deutschland. Wir sind ziemlich am Boden, gar keine Frage. Aber wer am Boden ist, der hat auch oft die Kraft, aufzustehen und nach vorne zu gehen. Das ist das, was ich der katholischen Kirche in Deutschland wünsche, und das verbinde ich mit den Möglichkeiten eines solchen Amtes.
Zur Person
Ulrich Hemel (*1956) hat zwei Karrieren: Eine als Theologe, eine als Unternehmer. Der habilitierte Religionspädagoge begann seine Karriere in der Wirtschaft bei einer großen Unternehmensberatung und leitete mehrere Unternehmen in verschiedenen Branchen. Parallel dazu führte er seine Forschungen fort. Seit 2000 ist er Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, seit 2018 ist er Direktor des Weltethos-Instituts in Tübingen. 2008 wurde er zum Präsidenten der Katholischen Universität Eichstätt gewählt, konnte das Amt jedoch nicht antreten, da ihm die nötige kirchliche Zustimmung ohne Angaben von Gründen verwehrt wurde. 2017 wurde Hemel zum Präsidenten des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) gewählt, den er auch im ZdK vertritt. Beim Synodalen Weg ist er Mitglied der Synodalversammlung und des Forums "Macht und Gewalt".