Erste Ergebnisse zu Missbrauch im Bistum Münster vorgelegt
Erste Ergebnisse der Studie zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster bestätigen nach Angaben beteiligter Wissenschaftler die MHG-Studie. Der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting betonte bei der Vorstellung auf der Herbstvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am Samstag in Berlin die systemischen Ursachen des Missbrauchs.
Nach seinen Worten will die zuständige Kommission über das "ethische Minimum des rechtmäßigen Handelns der Kirche" im juristischen Sinne einen breiten mentalitätsgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen und theologischen Rahmen abdecken. Die Studie sei aber bestenfalls ein erster Schritt der Aufarbeitung.
Nach Angaben des Münsteraner Historikers Klaus Große Kracht zeichnet sich ab, dass die bisherigen Zahlen aus Münster die MHG-Studie bestätigen, nach der gut vier Prozent des Klerus seit 1945 des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden. Das entspreche auch der Täterprozentuale in der Normalbevölkerung.
Drei Tätertypen
So seien auch in Münster drei Tätertypen zu finden: der pädophil fixierte Typ, der Kinder über mehrere Monate missbrauche und auf rund ein Viertel bis ein Drittel der Täter zutreffe; der "narzisstisch-soziopathische Typ", der die Opfer degradiere, er betreffe nur eine kleine Gruppe; und der "regressiv-unreife Typ", der vor allem Jugendliche als sogenanntes Ersatzobjekt für reifere Beziehungen missbrauche. Er liege gut in der Hälfte der Fälle vor.
Darüber hinaus gebe es noch einen "pastoral-manipulativen Typ", der seine geistliche Überlegenheit nutze, um sich an Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu vergehen, wie es weiter hieß. Dabei gehe dem sexuellen Missbrauch eine Phase des geistlichen Missbrauchs voraus. Dieser Typus nutze die professionelle Ausbildung etwa in der Seelsorge zur Tatanbahnung.
Leiter der Missbrauchsstudie in Münster: Opfer wurden am Reden gehindert
Bereits im Zwischenbericht zur Münsteraner Missbrauchsstudie zeichnet sich ein erhebliches Fehlverhalten von Bischöfen ab. Im Interview mit katholisch.de erklärt Studienleiter Thomas Großbölting, dass er 2022 noch mehr Namen nennen wird – und sich dafür den Umgang mit Stasi-Akten zum Vorbild nimmt.
Die Zahl der Betroffenen liegt laut den Wissenschaftlern nach bisherigen Erkenntnissen bei einer mittleren dreistelligen Zahl. Drei Viertel der Betroffenen seien männlich. Viele könnten erst nach Jahrzehnten über ihre Erfahrungen sprechen. Die Probleme begännen nicht erst bei den Personalverantwortlichen, sondern schon in den Familien und Gemeinden: Den Betroffenen sei häufig nicht geglaubt worden oder ihnen haben eine Sprache für das Erlebte gefehlt.
Der Historiker führte die Sprachlosigkeit auf einen "Klerikalismus der Laien" zurück, für die Kritik am Klerus ein soziale Tabus gewesen sei, sowie auf "enge Sagbarkeitsgrenzen" der katholischen Sexualmoral. Aus diesem Grund fühlten sich viele Missbrauchsopfer bis heute schuldig.
Täterfürsorge "frappierend"
Großbölting übte scharfe Kritik an Personalverantwortlichen. Bis zum Jahr 2000 hätten sie in der Regel mit Versetzung reagiert. Selbst von den 16 verurteilten Fällen seien elf später wieder in der Seelsorge eingesetzt worden, was bei Serientätern besonders fatal gewesen sei. Nur wenige Täter seien laisiert worden. "Frappierend" nannte er die Täterfürsorge, während der Kontakt zu Opfern nur selten gesucht worden sei.
Großbölting forderte, bei den systemischen Ursachen anzusetzen. Die Taten hätten eine "tief katholische Prägung" durch die massive Abhängigkeit von Machtverhältnissen. Aus dem Machtverständnis habe sich auch das "Leitungsversagen" der Bischöfe abgeleitet, die dem Täter nicht nur als Richter, sondern als Seelsorger und geistlicher Begleiter begegnet seien. Dabei sei die Maxime oft gewesen, trotz aller Vergehen das Priesteramt aufrechtzuerhalten.
Bei der Prävention gehe um deshalb auch um die Begrenzung von Pastoralmacht. Nach Großböltings Worten hätten viele Taten in den 70er, 80er und 90er Jahren verhindert werden können, wenn die Verantwortlichen den kirchlichen Vorgaben und dem Kirchenrecht entsprochen hätten.
Bei ihrer Herbstvollversammlung kündigte das ZdK zudem seine Absicht an, bei der Aufarbeitung des Sexuellen Missbrauchs in der Kirche mit Betroffenen zusammenzuarbeiten. Der Vorsitzende des zuständigen ZdK-Arbeitskreises, ZdK-Vizepräsident Wolfgang Klose, dankte am Samstag den Sprecherinnen und Sprechern des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz für deren Bereitschaft der Mitarbeit. Dazu gehören Johanna Beck, Johannes Norpoth – beide auch Mitglieder des ZdK –, Kai Christian Moritz und Jens Windel sowie Matthias Katsch, der auch Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" ist.
Der Arbeitskreis habe in den zurückliegenden Monaten intensive Gespräche geführt, berichtete Klose. Es sei ihm wichtig, mit Betroffenen zusammenzuarbeiten, die Aufarbeitung in den Diözesen und Verbänden kritisch zu begleiten und sich ein umfassendes Bild von den spezifischen Ursachen des Missbrauchs in der katholischen Kirche, in den Orden und in katholischen Verbänden zu machen.
Norpoth sagte: "Meine Erwartung an das Präsidium des ZdK ist, dass sich dieses Präsidium konsequent auf die Seiten der Opfer stellt. Ich möchte nie wieder hören, dass Aufarbeitung Aufgabe der Bischöfe sei." ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp erklärte, das ZdK stehe an der Seite der Betroffenen. ZdK-Vizepräsident Thomas Söding betonte mit Blick auf die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt: "Wir brauchen systemische Lösungen." Dies sei überdeutlich geworden. (cbr/KNA)