Kölner Pfarrer U. steht wegen Missbrauchs vor Gericht
Der Vorgang steht beispielhaft für das "System der Unzuständigkeit", das das im März veröffentlichte Missbrauchsgutachten dem Erzbistum Köln bescheinigt. Und er ist einer der wenigen bekannten Fälle, in denen der mutmaßliche Täter noch lebt und zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Am 23. November muss sich ein 70 Jahre alter katholischer Priester wegen sexuellen Missbrauchs vor dem Landgericht Köln verantworten. In dem Prozess soll auch der Hamburger Erzbischof Stefan Heße als Zeuge aussagen, der ehemals Personalverantwortlicher im Erzbistum Köln war.
Dem früheren Pfarrer Hans U. wird vorgeworfen, sich zwischen 1993 und 1999 in 31 Fällen an seinen drei minderjährigen Nichten vergangen zu haben – in drei davon schwer. Er war damals als Seelsorger in Gummersbach tätig.
Neue Anklage
Am Dienstag wurde bekannt, dass U. kürzlich erneut angeklagt wurde, weil er im Januar 2011 zwei Mal ein elfjähriges Mädchen missbraucht haben soll. Das Landgericht will kurzfristig darüber entscheiden, ob diese Vorwürfe ab heute mitverhandelt werden.
Die mutmaßlichen Vergehen des Priesters an seinen Nichten waren bereits Thema in dem Kölner Missbrauchsgutachten, das Heße Fehler im Umgang mit dem Fall vorwirft. Erste Anschuldigungen und Ermittlungen gegen U. gab es demnach bereits vor elf Jahren. Im Juni 2010, so heißt es, soll eine der Nichten Anzeige erstattet haben. Die Staatsanwaltschaft nahm daraufhin ein Ermittlungsverfahren auf.
Das Erzbistum Köln erfuhr durch einen anonymen Brief von dem Verfahren. Der damalige Erzbischof Joachim Meisner entschied zunächst pflichtgemäß, U. von seiner Tätigkeit als Krankenhausseelsorger zu beurlauben. Personalchef Heße lud den damaligen Pfarrer zu einem Gespräch und überreichte ihm seine Entpflichtungsurkunde. In einer von Heße unterzeichneten, handschriftlichen Notiz seiner Sekretärin ist niedergeschrieben, dass der Beschuldigte alles erzählt habe. Und weiter: "Es wird von uns kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre. Es bestehen lediglich eigene handschriftliche Notizen, die notfalls vernichtet werden können."
Fehlendes Protokoll
Heße sagte den Gutachtern, er könne sich nicht erklären, wie seine Unterschrift unter die Notiz gelangt sei. Möglicherweise sei an jenem Tag viel zu tun gewesen. Laut Heße hat der Pfarrer, den er als "sehr unangenehm" in Erinnerung hat, die Taten in dem Gespräch gar nicht gestanden, sondern alle Vorwürfe von sich gewiesen. Ob das tatsächlich so war, lässt sich angesichts des fehlenden Protokolls nicht klären.
Die Staatsanwaltschaft stellte laut Gutachten 2011 ihre Ermittlungen in dem Fall wieder ein – also zu jenem Zeitpunkt, um den U. mutmaßlich erneut übergriffig wurde. Eine der Nichten hatte – offenbar auf Druck der Familie – ihre Anzeige zurückgezogen. Das sorgte im Erzbistum Köln für Unsicherheit. Bei einem informellen Treffen kamen Personalchef Heße, der damalige Generalvikar und heutige Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, der Leiter des Kirchengerichts Günter Assenmacher und die Justiziarin des Erzbistums zu dem Schluss, "dass nichts weiter zu tun war". Kardinal Meisner setzte daraufhin U. wieder als Krankenhausseelsorger ein. Das Erzbistum beteiligte sich sogar mit 3.000 Euro an dessen Anwaltskosten.
Die Gutachter werfen Heße vor, seine Pflicht verletzt zu haben, ein Protokoll von dem Gespräch mit dem Beschuldigten zu führen. Der heutige Hamburger Erzbischof hatte wegen diesem und weiterer Vorwürfe Papst Franziskus vergangenen März seinen Rücktritt angeboten, den dieser aber nicht annahm.
2018 Meldung nach Rom
Der heutige Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki rollte den Fall 2018 wieder auf. Er meldete ihn nach Rom und an die Staatsanwaltschaft und untersagte U. die Ausübung priesterlicher Dienste. Im vergangenen Jahr klagte die Staatsanwaltschaft den Geistlichen erstmals an.
Das Landgericht hat in dem Verfahren zunächst 20 Verhandlungstermine bis Ende Januar angesetzt. Neben Heße sind dazu bislang 37 weitere Zeugen aus dem persönlichen und beruflichen Umfeld des Priesters geladen. Der Angeklagte soll außerdem durch einen Psychiater begutachtet werden. Die drei Nichten treten in dem Verfahren als Nebenklägerinnen auf.