Leo X.: Mit 13 Kardinal, mit 37 Papst – aber kein Löwe
Fast auf den Tag genau ein halbes Jahrtausend vor dem heutigen Papst Franziskus kam ein besonders junger Petrus-Nachfolger ins Amt, unter dem die Kirche ins Wanken geriet. Gerade 37 Jahre alt war Giovanni de Medici, als ihn die Kardinäle im März 1513 in ungewöhnlicher Einmütigkeit zum Papst wählten. Für ein jahrzehntelanges Pontifikat reichte es dennoch nicht. Gerade 46-jährig, starb Papst Leo X. am 1. Dezember 1521, vor 500 Jahren, an einem Fieber. Gerüchte über eine Vergiftung machten die Runde.
Ein gegensätzlicheres Paar lässt sich kaum denken: hier Martin Luther, der grobianische Augustinermönch aus Thüringen, dort Leo X., Florentiner Renaissancefürst, feinsinniger Humanist und leichtfertiger Lebemann. Leo begriff nicht, was Luther wollte, und er reagierte auf dessen polternde Kritik ganz im Stil der Zeit: eine Drohung, eine Lehrverurteilung, dann ab zum Bankett – in der Regel hatte sich damit der Fall. Doch der Rumor im Norden blieb – und die römische Kurie hatte weder Mittel noch Antworten, weder Zeit noch Lust, sich mit "Mönchsgezänk" zu beschäftigen. Die Folgen sind bekannt.
Ein Kind seiner Zeit
In seiner Ignoranz gegenüber dem Reformstau der Kirche war Leo X. ein Kind seiner Zeit. Weder der Borgia-Papst Alexander VI. (1492-1503), der sich vor allem mit der Versorgung seiner missratenen Familie beschäftigte, noch Julius II. (1503-1513), der als Krieger die Interessen des Kirchenstaates gegen ausländische Mächte verteidigte und die Finanzen des Vatikan durch Ablässe sanierte, waren priesterlich demütig unterwegs.
Immerhin: Leos direkter Amtsvorgänger Julius II. berief – freilich aus rein machtpolitischen Gründen – 1512 das Fünfte Laterankonzil nach Rom, das der Medici-Papst fortführen ließ. Trotz vielversprechender Ansätze versandeten jedoch unter Leo X. alle ernsthaften Reformbestrebungen vollends.
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2021 wird an die Exkommunikation und den ikonischen Auftritt auf dem Wormser Reichstag des Reformators Martin Luther erinnert. Seine berühmten Sätze von damals sind vielen noch heute im Ohr.
Luther ließ daran kein gutes Haar: In Rom wisse man "selbs fast nichts mehr ... vom glauben zu sagen, wilchs sie gar groblich beweysset haben in diesem letzten Romischenn Concilio, darinnen unter vielen kindischenn, leychtfertigen artickel auch das gesetzt haben, das ... ein priester yhe einmal ym Monat sein gepet zu sprechen schuldig ist, will er sein lehen nit verlierenn".
Kardinal mit 13 Jahren
Die kirchliche Karriere des Giovanni de Medici war ungewöhnlich reichhaltig, wenn auch zu seiner Zeit keineswegs so unglaublich, wie sie dem heutigen Betrachter erscheinen muss. Geboren 1475 als Sohn des legendären Lorenzo des Prächtigen (1449-1492), mit dem das Haus Medici in Florenz zu seiner größten Blüte gelangte, wünschte die Mutter für ihren Sechstgeborenen eine geistliche Laufbahn. Der Vater pochte jedoch auf eine geistvolle Erziehung durch die führenden Humanisten seiner Zeit – so dass Giovanni beides erhielt. Mit 7 Jahren bekam er die Tonsur und den Titel eines Apostolischen Protonotars; mit 10 Jahren war er Abt mehrerer Klöster und Domherr von Florenz, mit 13 Kardinal.
1492, das Jahr der Entdeckung Amerikas, wurde auch für Giovanni zum Wendejahr: Im April starb sein Vater Lorenzo, eine charismatische Überfigur. Im August musste Giovanni in seinem ersten Konklave als Kardinal – mit 17 – die Wahl des Familienrivalen Alexander VI. (Borgia, 1492-1503) miterleben. Es begann ein düsteres Jahrzehnt: die Flucht aus Rom, die erbärmliche Regentschaft seines älteren Bruders Piero II. ("des Unglücklichen") in Florenz, die in der Vertreibung der Medici endete. Erst mit Giovanni als neuem Familienoberhaupt ging es wieder aufwärts.
Er kam nach Venus und Mars
Und 1513 erfüllte Giovanni de Medici den Auftrag seiner Eltern: mit 37 Jahren Papst. "Wenn Gott uns das Papsttum geschenkt hat, dann wollen wir es auch nutzen", soll er zum Auftakt gesagt haben. Die Künstlerschaft Roms feierte ihn, als er seine Bischofskirche in Besitz nahm. Zuletzt hätten Venus und Mars geherrscht, lautete eine Inschrift in Anspielung auf den liebestollen Hof Alexanders VI. und den säbelrasselnden Julius II. Nun solle mit Pallas Athene die Wahrheit regieren.
Doch es wurde kein Pontifikat des Aufbruchs, sondern der Leichtfertigkeit und der Kunst. Der Renaissancefürst, jung, prunkliebend und verwöhnt, nannte viele exotische Tiere sein eigen; seit 1514 auch einen indischen Hauselefanten, Hanno, ein Geschenk des portugiesischen Königs Manuel. Ein Bild für die Götter: der pummelige Papst und sein Elefant in den vatikanischen Gärten. Verbürgt ist, dass Leo durchaus Zeit mit seinem liebsten Spielzeug verbrachte.
Abführmittel für den Elefanten
Doch die Prozessionen auf Roms Straßen mit dem Zierelefanten waren so prachtvoll wie pannenbeladen. Immer wieder ging das Tier durch. Im März 1515 starben 13 Menschen. Wohl noch keine sechs Jahre alt, plagten Hanno im Frühjahr 1516 Atemnot und Verstopfung. War es Stress oder falsche Ernährung? Hingen die beiden Krankheitsbilder ursächlich zusammen oder nicht? Die Leibärzte des Papstes bekamen die Sache nicht in den Griff – und verschrieben eine elefantöse Dosis Abführmittel, nach den Gepflogenheiten der Zeit mit ordentlich Gold versetzt. Die teure Arznei führte zu nichts außer zum Tode am 8. Juni 1516. Hanno wurde ein Kollateralschaden kurialer Dekadenz.
Nicht viel anders erging es seinem Herrn. Der übergewichtige und kränkliche Papst erlag im Advent 1521 einem plötzlichen Fieber und verfärbte sich eigentümlich. Im Verdacht stand Leos Mundschenk Malaspina – der aber später freigesprochen wurde. Mit der Papstwahl von Nachfolger Hadrian VI. (1522/23) versuchte der Heilige Geist, das Blatt noch einmal zu wenden. Doch der ernste und sittenstrenge Niederländer – der letzte Nichtitaliener bis zum Polen Johannes Paul II. (1978-2005) – biss im Vatikan auf Granit. Es begann das Zeitalter der Glaubensspaltung und der Religionskriege.