Enxing: Bin es gewohnt, mich für die Kirche rechtfertigen zu müssen
Ende November wurde Julia Enxing als neue katholische Sprecherin des "Wort zum Sonntag" in der ARD vorgestellt. Im Interview mit katholisch.de spricht die Dresdner Theologieprofessorin über ihre Berufung auf den prestigeträchtigen Posten, ihre persönlichen Erwartungen an die Verkündigungssendung und den Wert des traditionsreichen Formats in der heutigen Zeit. Außerdem offenbart sie, was sie gerne an der Sendung verändern würde und mit welchen Gefühlen sie auf ihren ersten Auftritt vor der Kamera in wenigen Wochen blickt.
Frage: Frau Enxing, im Januar starten Sie als neue Sprecherin des "Wort zum Sonntag" in der ARD. Wie sind Sie zu dieser Aufgabe gekommen?
Enxing: Ich bin für die Aufgabe vorgeschlagen worden – man kann sich nicht selbst darum bewerben – und habe daraufhin im Februar mit mehreren anderen Teilnehmer:innen ein Casting bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn absolviert. Und im Sommer habe ich dann erfahren, dass die Jury sich für mich als neue Sprecherin der Sendung entschieden hat.
Frage: Wissen Sie denn, wer Sie vorgeschlagen hat?
Enxing: Nein, ganz genau weiß ich das nicht. Ich glaube aber, dass es Guido Erbrich war, der Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim MDR. Die Beauftragten gucken natürlich, wen aus ihrem jeweiligen Sendegebiet sie als Sprecherin oder Sprecher für das "Wort zum Sonntag" vorschlagen können. Meine Konkurrent:innen beim Casting waren, soweit ich weiß, auch alle von ihren jeweiligen Senderbeauftragten ins Rennen geschickt worden.
Frage: Und wer saß in der Jury, die sich nach dem Casting für Sie entschieden hat?
Enxing: Auch das habe ich bis heute leider nicht genau herausbekommen. Mit Sicherheit die Senderbeauftragten und Vertretende der Bischofskonferenz. Die ARD war an dem Casting und der Entscheidung, soweit ich weiß, nicht beteiligt. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Sender an irgendeiner Stelle des Verfahrens ein Veto-Recht hat. Grundsätzlich suchen die Kirchen ihre Sprecherinnen und Sprecher für das "Wort zum Sonntag" aber eigenständig aus.
„Meine persönliche Erwartung ist, dass ich in der Themenauswahl für die Sendung frei bin. Sonst würde ich das auch gar nicht machen.“
Frage: Konnten Sie sich die Aufgabe als Sprecherin der Sendung denn sofort vorstellen, als Sie dafür vorgeschlagen wurden? Oder mussten Sie länger überlegen, ob Sie das wirklich machen sollen?
Enxing: Dass ich als Sprecherin vorgeschlagen wurde, hat mich sehr gefreut. Und als ich dann erfahren habe, dass ich für die Aufgabe ausgewählt wurde, habe ich auch gerne zugesagt. Auf was ich mich damit genau eingelassen habe, werde ich aber wohl erst im Laufe der Zeit erfahren (lacht). Die Aufgabe als Sprecherin besteht schließlich nicht nur darin, alle paar Wochen mal für ein paar Minuten vor der Kamera zu stehen; da hängt noch viel mehr dran. Insofern: Ich freue mich riesig auf die Tätigkeit, sehe sie aber auch als Herausforderung. Zumal ich die Rolle als Sprecherin neben meinen sonstigen beruflichen Verpflichtungen erfüllen muss.
Frage: Mit welcher Erwartung gehen Sie die Aufgabe als Sprecherin an?
Enxing: Meine persönliche Erwartung ist, dass ich in der Themenauswahl für die Sendung frei bin. Sonst würde ich das auch gar nicht machen. Seitdem bekannt ist, dass ich eine der neuen Sprecherinnen der Sendung bin, werden allerdings auch ganz viele Erwartungen und gut gemeinte Ratschläge von außen an mich herangetragen – was man alles unbedingt mal in der Sendung sagen sollte und wie fromm das Ganze sein sollte. Aber: Ich möchte als Sprecherin vor allem die Themen einbringen, die mich persönlich bewegen und zu denen ich etwas zu sagen habe. Und das sind vor allem Gerechtigkeitsfragen – also etwa Fragen der ökologischen Gerechtigkeit, der Geschlechtergerechtigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts – sowie Fragen nach dem guten Leben. Außerdem möchte ich gerne eine ostdeutsche Perspektive in die Sendung einbringen. Ich bin zwar selbst keine gebürtige Ostdeutsche, lebe aber inzwischen seit drei Jahren in Dresden. Und zuletzt: Ich verstehe Theologie durchaus als widerständige Kraft mit einem gewissen Irritationspotential. Auch das möchte ich gerne zur Sprache bringen.
Frage: Als katholische Sprecherin stehen Sie in der Sendung stellvertretend für die katholische Kirche – und damit für eine Institution, die sich seit Jahren in einer schweren Krise befindet und im Ansehen der Bevölkerung erheblich gelitten hat. Belastet Sie das? Oder sehen Sie das im Gegenteil sogar als Chance?
Enxing: Sowohl als auch. Als Theologieprofessorin – noch dazu an einer Technischen Universität in Ostdeutschland – bin ich es gewohnt, gefühlt bei jedem Thema, das mit Glaube und Kirche zu tun hat, stellvertretend für die gesamte katholische Kirche zu stehen und mich in dieser Rolle rechtfertigen zu müssen. Ich bemühe mich dabei immer, zu erklären, dass die Kirche und ihre Mitglieder wesentlich vielfältiger sind als es medial oft den Anschein hat. Und ich denke, dass das auch die einzige Chance ist, die wir haben: Das Gespräch mit der – weitgehend säkularisierten – Gesellschaft zu suchen und unsere Kirche und unseren Glauben immer wieder neu zu erklären. Und in dieser Hinsicht ist das "Wort zum Sonntag" mit seinem prominenten Sendeplatz natürlich eine tolle Chance.
Frage: Das "Wort zum Sonntag" ist die zweitälteste Sendung im deutschen Fernsehen und hatte lange eine Art Monopol auf die christliche Verkündigung im Fernsehen. Das ist heute nicht mehr so: Verkündigungsformate gibt es im Fernsehen und im Internet inzwischen zuhauf. Braucht es das "Wort zum Sonntag" überhaupt noch?
Enxing: Ich denke, das entscheiden vor allem die Zuschauenden. Und da kann man feststellen, dass das "Wort zum Sonntag" allein im Fernsehen im Schnitt 1,3 Millionen Menschen erreicht und damit immer noch die erfolgreichste Verkündigungssendung in Deutschland ist. Daneben liegt die Zukunft des Formats aber natürlich auch in den Händen derjenigen, die für die Sendung vor der Kamera stehen. Sie – und damit bald auch ich – haben die Verantwortung, mit relevanten Inhalten dafür zu sorgen, dass das "Wort zum Sonntag" kein überflüssiges Format wird.
Frage: Haben Sie das "Wort zum Sonntag" vor Ihrer Nominierung als Sprecherin regelmäßig geguckt?
Enxing: Nein, nicht regelmäßig. In den vergangenen Jahren habe ich es vor allem dann geguckt, wenn Wolfgang Beck der Sprecher war. Ihn kenne ich durch die gemeinsame Arbeit in der Redaktion von feinschwarz.net und insofern hatte ich da einen persönlichen Bezug.
Frage: Was finden Sie am "Wort zum Sonntag" besonders gut?
Enxing: Dass es kurz und knackig ist und einen Top-Sendeplatz direkt nach den "Tagesthemen" hat. Außerdem mag ich die Vielfalt der Sprechenden; das sind alles ganz unterschiedliche Typen, die eine Vielfalt von Kirche abbilden. Ich glaube auch, dass es eine besondere Stärke der Sendung ist, dass die Sprecherinnen und Sprecher als eigenständige Persönlichkeiten erkennbar sind und eigene Themen setzen können. Das ermöglicht eine Authentizität, die hilfreich für die Glaubwürdigkeit ist.
„Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen bei der Kirche und der ARD etwas experimentierfreudiger wären.“
Frage: Trotzdem gibt es sicher auch etwas, was Ihnen an der Sendung nicht so gut gefällt. Wenn Sie die Chance hätten, eine Sache zu verändern – was wäre das?
Enxing (überlegt lange): Ich finde schon, dass die Sendung sehr formal daherkommt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist das Setting immer das Gleiche: Der immergleiche Einspieler, ähnliche Hintergründe, die immergleiche Position der Sprechenden vor der Kamera ... Die Sendung bietet – abgesehen von den behandelten Themen – kaum individuellen Gestaltungsspielraum. Das finde ich schade. Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen bei der Kirche und der ARD etwas experimentierfreudiger wären.
Frage: Ihr erster Auftritt als Sprecherin ist für den 29. Januar geplant. Wie blicken Sie heute auf dieses Datum? Sind Sie schon ein bisschen aufgeregt?
Enxing: Ich versuche natürlich, mir noch keinen zu großen Druck zu machen. Schließlich muss ich mich als neue Sprecherin erstmal ein bisschen eingrooven in das Format. Ich hoffe außerdem nicht, dass meine erste Sendung schon meine beste Sendung wird – denn dann könnte es danach nur noch bergab gehen (lacht).
Frage: Denken Sie denn schon über mögliche Themen für die Sendung nach?
Enxing: Das versuche ich zu vermeiden, denn es soll beim "Wort zum Sonntag" ganz bewusst um aktuelle Themen gehen. Selbst wenn ich jetzt schon ein tolles Thema finden würde – Ende Januar wäre das vermutlich nicht mehr aktuell.
Zur Person
Julia Enxing (*1983) ist seit 2020 Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden. Nachdem sie zunächst Veterinärmedizin in Leipzig studiert hatte, studierte Enxing von 2004 bis 2009 Katholischen Theologie, Pädagogik und Philosophie in Mainz. Von 2009 bis 2012 absolvierte sie ein Promotionsstudium an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Es folgte von 2013 bis 2016 ein Bachelorstudium der Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main; parallel widmete sich Enxing ihrem Habilitationsprojekt "Schuld und Sünde (in) der Kirche. Eine systematisch-theologische Untersuchung", das sie 2017 mit der Habilitation abschloss. Ab 2019 hatte sie die Professur für Systematische Theologie in Dresden bereits in Vertretung inne.