Der UN-Weltraumvertrag braucht eine Reform

Soziallehre im All: Wie die Kirche die Weltraum-Politik mitgestaltet

Veröffentlicht am 08.01.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

New York/Vatikanstadt ‐ Die Regeln für die Nutzung und Erforschung des Weltalls stammen aus dem Kalten Krieg – als nur Staaten Raumfahrt betrieben und der Orbit noch menschenleer war. Das hat sich gründlich geändert. Auch die Kirche diskutiert über neues Recht für den Weltraum mit.

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Der Weltraum – unendliche Weiten? Ganz so unendlich wie im berühmten Star-Trek-Vorspann ist der Weltraum nicht. Jedenfalls nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft der Erde: Über 11.000 Satelliten wurden seit dem Start von Sputnik im Jahr 1957 ins All geschickt. Immer mehr von ihnen sind Weltraumschrott, und dank des gefürchteten "Kessler-Syndroms" wird der Müll im All stetig gefährlicher: Schon 1978 hatte der Astronom Donald J. Kessler gewarnt, dass die Teile alter Satelliten, abgeworfene Tanks und Verkleidungen von Raketen und anderer Gegenstände eine Kaskade immer neuer Kollisionen und damit von immer mehr Müllpartikeln erzeugen könnte, die aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit wie Trommelfeuer für Satelliten, Raumfahrzeuge und -stationen wirken könnten.

Diese Sorge treibt auch den Vatikan bei seiner Weltraumpolitik um. Gegenüber katholisch.de erläutert der Erste Sekretär der Mission des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen, David Charters, dass Weltraumschrott ein Problem sei, dem man sich dringend annehmen müsse. Es brauche eine Regulierung des Weltraums, um den Kaskaden-Effekt einzudämmen – ein Thema, das die Vatikan-Diplomaten auch regelmäßig in die Verhandlungen der UN einbringen. 

Asteroiden im Gürtel zwischen Mars und Jupiter
Bild: ©NASA/JPL-Caltech/UCLA (Archivbild)

Der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter ist weit entfernt – aber wahrscheinlich reich an Ressourcen. Bis dort Rohstoffe gefördert werden, dauert es wohl noch lange.

Aber nicht nur Müll macht neue Regeln für den Weltraum nötig. Der aktuelle Weltraum-Boom, in dem es für Milliardäre zum guten Ton gehört, eigene Raumfahrtunternehmen zu gründen, verschärft das Kessler-Syndrom noch. Mit der Privatisierung der Raumfahrt werden auch wirtschaftliche Fragen immer drängender: Wer darf unter welchen Bedingungen die Ressourcen im All ausbeuten? Wem gehören Monde, Planeten und Asteroiden? Dazu kommt eine zunehmende Militarisierung des Weltraums; Ende 2019 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump mit der "United States Space Force" eine neue Abteilung der US-Streitkräfte eingerichtet, ein Ende des Alls als befriedeter neutraler Zone droht.

Heiliger Stuhl unterzeichnete 1967 UN-Weltraumvertrag

Noch immer regelt ein UN-Abkommen aus dem Jahr 1967 die Nutzung des Weltraums. Der "Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper" ist ein Kind des Kalten Kriegs: Ein zentrales Ziel war es, den Weltraum aus den politischen Spannungen der Erde herauszuhalten und eine friedliche Nutzung sicherzustellen. "Die Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper wird zum Vorteil und im Interesse aller Länder ohne Ansehen ihres wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungsstandes durchgeführt und ist Sache der gesamten Menschheit", heißt es im ersten Artikel des Abkommens. Dazu wurde neben einem Verbot von Massenvernichtungswaffen im All auch das Verbot für Staaten aufgestellt, auf anderen Himmelskörpern Hoheitsgebiet zu beanspruchen.

„Der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper unterliegt keiner nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt, durch Benutzung oder Okkupation oder durch andere Mittel.“

—  Zitat: Aus Artikel II des UN-Weltraumvertrags

Zu den ersten Unterstützern des UN-Weltraumvertrags gehörte der Vatikan. Bereits im April 1967 unterzeichnete der Heilige Stuhl das Abkommen, das im Oktober desselben Jahres in Kraft trat. 1968 erläuterte Papst Paul VI., der wie viele Zeitgenossen fasziniert vom beginnenden Weltraumzeitalter war, die Beweggründe in einer Botschaft an die UN-Konferenz für die friedliche Nutzung des Weltraums. Auch wenn es nicht die Aufgabe der Kirche sei, sich zu den technischen und wissenschaftlichen Aspekten der Erforschung des Weltraums zu äußern, "so ist sie doch unmittelbar an den erzieherischen, kulturellen, moralischen und sozialen Folgen interessiert, die sich aus dieser plötzlichen Ausweitung der menschlichen Tätigkeit ergeben werden", betonte der Papst. Oft sei es der Fall gewesen, dass wissenschaftlicher und technischer Fortschritt nicht von vergleichbaren Fortschritten auf den Gebieten des Rechts, der Moral und der internationalen Zusammenarbeit begleitet worden seien. Der Weltraumvertrag sei ein erster Schritt, um es dieses Mal anders zu machen. Zugleich brauche es aber eine rege Weiterentwicklung des Weltraumrechts, um mit diesem Fortschritt Schritt zu halten. "Wenn dies geschieht, wird das Raumfahrtzeitalter in geordneten Bahnen verlaufen und nicht in Verwirrung und Rivalität. Wenn dies geschieht, werden alle Völker davon profitieren und nicht nur die wenigen Privilegierten", drückte Paul VI. seine Hoffnung aus.

Stagnation in der Weltraumpolitik

Tatsächlich hat sich das Weltraumrecht seit 1967 wenig weiterentwickelt. Zwar wurden einige weitere Abkommen geschlossen, etwa zur Rettung gestrandeter Astronauten. Der wichtige Mondvertrag, der speziell die Nutzung von anderen Himmelskörpern regeln sollte, gilt als gescheitert – nur 17 Staaten haben ihn unterzeichnet, und insbesondere nicht die beiden großen Raumfahrtnationen USA und Russland. Auch der Heilige Stuhl ist dem Vertrag nicht beigetreten. Gescheitert ist auch der Versuch verschiedener Äquator-Anrainer-Staaten, 1976 mit der Bogotá-Deklaration die Nutzung von geostationären Satellitenorbits neu zu regeln – der bislang einzige Versuch einer größeren Reform des UN-Weltraumrechts.

„Der Mond und die anderen Himmelskörper werden von allen Vertragsstaaten ausschließlich zu friedlichen Zwecken benutzt.“

—  Zitat: Aus Artikel IV des UN-Weltraumvertrags

Weltraumrecht geht im Kern immer noch davon aus, dass die Nutzung und Erforschung des Alls von staatlichen Akteuren betrieben wird. Und obwohl der Weltraumvertrag erstaunlich hellsichtige Regelungsmaterien aufgenommen hat wie die Frage nach der Haftung für ins All gebrachte Gegenstände und Regeln für Raumstationen auf anderen Himmelskörpern, ist nicht klar, wie mit privater Raumfahrt umgegangen werden soll. "Die kommerzielle Nutzung des Weltraums und seiner Ressourcen muss zunächst die Regeln des Weltraumvertrags beachten", erläutert der Vatikan-Diplomat Charters.  Es könnte sich aber als notwendig erweisen, weitere Vorschriften oder "Verkehrsregeln" aufzustellen, um der wachsenden Zahl von Satelliten gerecht zu werden. Besonders wichtig für den Heiligen Stuhl: "Grundsätzlich sollte die kommerzielle Nutzung für die Menschen weltweit von Nutzen sein", betont Charters.

Aus diesem Grund ist derzeit eine Reform des Weltraumvertrags im Gespräch. Eine multilaterale Lösung der gegenwärtigen Herausforderungen ist auch deshalb angesagt, weil zunehmend Nationalstaaten Alleingänge machen. Vor allem die USA, die 2015 ein Gesetz erließ, das die kommerzielle Erschließung von Ressourcen ermöglichte, und wo die zuständige Aufsichtsbehörde Hunderttausende von Anträgen für neue Satelliten erreichen, machen ein Handeln der UN nötig. "Solche Verträge sind wichtig, aber sie werden nur funktionieren, wenn alle betroffenen Parteien verstehen, warum sie notwendig sind", betont der Leiter der vatikanischen Sternwarte, der Jesuitenbruder Guy Consolmagno, im Gespräch mit katholisch.de. "Ich bin mir aber nicht sicher, ob das schon alle verstanden haben", ergänzt er. Auch wenn die Weltraumpolitik nicht das eigentliche Arbeitsfeld des Astronomen ist: Vorschläge dafür werden auch in wissenschaftlichen Konferenzen erarbeitet, an denen der Vatikan und seine Sternwarte beteiligt sind.

Vatikan gestaltet politische Debatte mit

2018 veranstaltete der Heilige Stuhl zusammen mit dem Büro der Vereinten Nationen für Weltraumfragen (UNOOSA) ein Seminar zur Erforschung und Entwicklung des Weltraums, bei dem Chancen und Probleme im Zusammenhang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung beraten wurden. Vier Ergebnisse daraus stellte Consolmagno bei einer Tagung des UN-Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums im selben Jahr vor: die Erdatmosphäre müsse als globales Gemeingut geschützt werden, Daten aus der Weltraumforschung müssten von allen Forschern frei genutzt werden können, die Bedeutung von Weltraumpolitik müsse der Allgemeinheit besser vermittelt werden, und schließlich brauche es einen gerechtere Beteiligung an den wirtschaftlichen Aktivitäten im Weltraum.

Bruder Guy Consolmagno SJ, Direktor der Vatikanischen Sternwarte
Bild: ©Stefano dal Pozzolo/Agenzia Romano Siciliani/KNA (Archivbild)

Seit 2015 ist der Jesuitenbruder Guy Consolmagno Direktor der Vatikanischen Sternwarte. Bei einer UN-Konferenz hat er Vorschläge für eine gemeinwohlorientierte Weltraumpolitik eingebracht.

Das derzeit wohl wichtigste Thema für die vatikanische Weltraumpolitik ist Abrüstung und Frieden. Consolmagno betonte vor dem UN-Ausschuss, wie wichtig es sei, dass der Weltraum friedlich bleibe und dass alle Weltraumaktivitäten und -bemühungen dieses Ziel schützten und förderten. "Es wäre eine höchst gefährliche und beunruhigende Entwicklung, die jeden einzelnen Mann und jede einzelne Frau auf der Erde betreffen könnte, wenn der Weltraum zu einem weiteren Schauplatz bewaffneter Konflikte werden würde, so wie zuvor das Land, das Meer und die Luft. Alle Nationen haben eine gemeinsame Grenze mit dem Weltraum, so dass alle Nationen gleichermaßen in der Nähe eines solchen Konfliktgebiets wären", so der Jesuit.

Katholische Soziallehre als Maßschnur

Auch der Nuntius bei den Vereinten Nationen, Erzbischof Gabriele Caccia, bringt das Thema regelmäßig ein. "Der Heilige Stuhl möchte seine Überzeugung betonen, dass der Weltraum der friedliche Ort bleibt, der er bisher in der Menschheitsgeschichte war", so Caccia im Oktober vor einem Ausschuss der UN-Vollversammlung. Dazu müssten die bestehenden Beschränkungen für die Aufrüstung im All noch ausgeweitet werden. Dabei stellte der Nuntius auch die Verbindung zum anderen Weltall-Problem her: "Was wir über langlebigen Weltraumschrott wissen, der durch die Zerstörung von Satelliten entsteht, zeigt, wie töricht es wäre, Objekte im All der Gefahr eines Waffeneinsatzes auszusetzen."

Die von der Kirche in die Debatte eingebrachten Schwerpunkte entsprechen dabei zentralen Positionen der katholischen Soziallehre: Gemeinwohlorientierung, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Frieden und Multilateralismus – "Sorge um das Wohl aller und unseres gemeinsamen Hauses", bringt es Consolmagno mit einer Fügung von Papst Franziskus auf den Punkt. Auch wenn die Schwerpunkte feststehen: Eine ausformulierte und vollständige Position zur Reform des Weltraumvertrags hat der Heilige Stuhl noch nicht, betont Charters. Der Vatikan-Diplomat kann sich aber gut vorstellen, dass über das Engagement in den UN-Gremien zur Abrüstung hinaus auch eine Beteiligung in vorbereitenden Arbeitsgruppen für eine neue UN-Weltraumpolitik möglich sein könnte. "Die jüngsten Ereignisse im Weltraum sind beunruhigend", sagt er mit Blick auf Weltraumschrott, Militarisierung und Kommerzialisierung. "Das zeigt, dass klare Regeln und Zusammenarbeit enorm wichtig sind."

Von Felix Neumann