Die Lehre des "Adventus medius" des Bernhard von Clairvaux

Nicht nur an Weihnachten: Die dreifache Ankunft des Herrn

Veröffentlicht am 25.12.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ An Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes in dieser Welt. Doch in der Geschichte der Spiritualität wurde immer wieder von mehreren Ankünften Jesu Christi gesprochen. Ein Blick auf das Kind in der Krippe, das Ende der Welt und die Zeit dazwischen.

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Die Adventszeit dient der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Das wird schon an ihrem Namen ersichtlich, denn der lateinische Begriff "Adventus" bedeutet Ankunft. Die etwas mehr als vier Wochen der Adventszeit sollen den Grund für die Feier des Kommens Jesu Christi in die Welt bereiten, die an Weihnachten begangen wird. In einer Katechese weist der Kirchenlehrer Cyrill von Jerusalem (313-386) darauf hin, dass die Christen nicht nur liturgisch die Ankunft des Erlösers in der Welt als Kind in der Krippe erwarten, sondern auch auf ein weiteres Kommen Christi hoffen: "Zweifach ist die Herabkunft – die eine verborgen, die andere, noch zukünftige, sichtbar." Cyrill bezieht sich hier zum einen auf die Geburt Jesu in Betlehem, die abseits des großen Weltgeschehens im kleinen Stall von Betlehem geschah.

Zweitens verweist er auf die Wiederkunft Jesu, wie sie im Neuen Testament geschildert ist. Am Ende der Zeiten erscheint Jesus als Weltenrichter sichtbar vor allen lebenden und verstorbenen Menschen. Er läutet damit die Herrschaft Gottes in der Welt ein, die kein Ende kennt. Die ersten Christen lebten in der nahen Erwartung dieser Geschehnisse. Doch auch wenn die "Parusie" genannte Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag bis heute nicht eingetreten ist, gehört es doch zum christlichen Glauben dazu, in der Erwartungshaltung dieses Ereignisses zu leben. Die Rede Cyrills von der zweifachen Ankunft des Gottessohnes, die wie eine Klammer Beginn und Ende der von der Person Jesu Christi geprägten Heilsgeschichte miteinander verbindet, hat die Christenheit geprägt. So richtet sich etwa das Kirchenjahr in seinem Lauf danach aus und die adventliche Liturgie nimmt in ihren Schrifttexten auf beide Ankünfte Bezug.

Bild: ©picture-alliance/akg-images/Orsi Battaglini

Die zweite Ankunft Christi: Der Jüngste Tag in einer Darstellung Fra Angelicos aus dem 15. Jahrhundert.

Bernhard von Clairvaux (1090-1153) erkennt im 12. Jahrhundert jedoch, dass die Lehre Cyrills nicht das ganze Spektrum der christlichen Erfahrung abdeckt und entwickelt sie weiter. Der "honigfließende Lehrer", wie Bernhard aufgrund seiner besonderen Begabung zur Predigt auch genannt wird, fügt den zwei Ankünften Christi eine weitere hinzu: "Eine dreifache Ankunft des Herrn kennen wir." Das dritte Kommen liege "in der Mitte zwischen den anderen", so der Kirchenlehrer in einer Adventspredigt. Er bezeichnet sie als "Adventus medius" und erklärt, dass sie sich auf das Kommen Jesu "in Geist und Kraft" beziehe. Damit will Bernhard die Erfahrung der sakramental-mystischen Ankunft Gottes beschreiben, was in der spirituellen Tradition die "Gottesgeburt im Herzen des Menschen" genannt wird.

Christus als Ruhe und Trost

Beim "Adventus medius" geht es für Bernhard also um die unmittelbare Begegnung mit Christus im Gebet oder den Sakramenten. Damit stellt er, obschon "drittes Kommen" genannt, eine Verbindung zwischen den noch von Cyrill beschriebenen zwei Ankünften dar: "Diese mittlere Ankunft ist gewissermaßen der Weg, auf dem man von der ersten bis zur letzten gelangt: In der ersten war Christus unsere Erlösung, in der letzten wird er als unser Leben erscheinen, in dieser aber ist er unsere Ruhe und unser Trost", predigt Bernhard. Er begründet seine Lehre vom mittleren Advent Christi mit der Heiligen Schrift, vor allem mit dem Johannesevangelium, in dem Jesus verheißt, "wenn jemand mich liebt, wird er an meinen Worten festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen" (Joh 14,23). Bernhard sieht hier eine direkte Beziehung zwischen dem Glauben und Leben eines Christen sowie der Gemeinschaft mit Gott.

Daraus folgt für den Zisterziensermönch und Theologen eine mystische Innerlichkeit: In einer Predigt ruft Bernhard die Menschen, die Gott begegnen wollen, dazu auf, dass es nicht notwendig ist, die Welt zu bereisen oder Berge zu besteigen, um spirituelle Erfahrungen zu machen. "Kein weiter Weg, sage ich, wird dir gezeigt: Geh nur in dich und begegne dort deinem Gott!" Hier führt er als Begründung ein Wort aus dem Römerbrief an, in dem Paulus schreibt: "Das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und deinem Herzen" (Röm 10,8). Diese Art der Mystik findet sich auch in der Dichtung von Angelus Silesius einem Lyriker aus dem 17. Jahrhundert. Vertonungen seiner Verse werden besonders in der Adventszeit gerne gesungen, da sie eine große Offenheit für den "Adventus medius" aufweisen. Ein oft in der Weihnachtszeit zitierter Satz von Silesius lautet: "Wird Christus tausendmal in Betlehem geboren und nicht in dir, du bleibst doch ewiglich verloren."

Papst Benedikt XVI. in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo
Bild: ©picture alliance/abaca

Im zweiten Band seines Jesus-Buchs geht Papst Benedikt XVI. auch auf den "Adventus medius" ein.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. geht auf den letzten Seiten des zweiten Bandes seines Jesus-Buchs auf die Lehre des mittleren Advents von Bernhard von Clairvaux ein. Benedikt bezeichnet sie als Ausdruck der präsentischen Eschatologie, wie sie sich etwa im Johannesevangelium finden lässt. Diese Spielart der Lehre von den letzten Dingen "gibt die Erwartung der endgültigen weltwendenden Ankunft nicht auf, zeigt aber, dass die Zwischenzeit nicht leer ist". Diese "antizipative Gegenwart" gehöre zur christlichen Existenz, so der Papa emeritus.

Die Möglichkeiten des "Adventus medius" sind nach Ansicht von Benedikt äußert vielfältig. Jesus Christus komme durch die Bibel, die Sakramente oder auch durch andere Worte und Ereignisse in das Leben der Menschen. Es gebe jedoch auch "epochale Weisen dieses Kommens", so Benedikt und nennt als Beispiele die Gründergestalten der Bettelorden des 12. und 13. Jahrhunderts, wie die heiligen Dominikus und Franziskus, oder prägende Heiligengestalten der Neuzeit: Ignatius von Loyola, Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz. Ihnen allen sei gemeinsam, dass sie den christlichen Glauben auf eine neue Weise verkündeten, die sich an die Erfordernisse der jeweiligen Zeit anpasste. Gottes "Menschen verwandelnde und Geschichte formende Kraft" zeige sich bei der dritten Ankunft Christi stets auf neue Weise. Jesus Christus wolle der Welt nicht nur an Weihnachten oder am Jüngsten Tag nahe sein, sondern in jedem Augenblick.

Von Roland Müller