Kirchenrechtsreform mit "sehr überschaubarem Mehrwert"

Kirchenrechtler: Umgang mit Missbrauch in neuem Strafrecht mangelhaft

Veröffentlicht am 27.12.2021 um 11:53 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Seit Anfang Dezember gilt in der Kirche ein neues Strafrecht. Nach Ansicht von Kanonist Georg Bier handelt es sich dabei jedoch lediglich um ein "Update" und keine grundsätzliche Neuausrichtung des Kirchenrechts.

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Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier bescheinigt dem seit Anfang Dezember gültigen neuen kirchlichen Strafrecht einen "sehr überschaubaren Mehrwert". Der päpstliche Text sei keine Neuschöpfung des Strafrechts, "sondern lediglich ein Update". Echte Neuerungen seien Ausnahmen, so Bier in der am Montag veröffentlichten Freiburger "Herder Korrespondenz".

So hält Bier die rechtliche Erfassung von sexuellem Missbrauch für defizitär. Nach wie vor sei "unzutreffend von einer Straftat gegen das sechste Gebot die Rede". Dieses Gebot behandelt den Ehebruch. Bei sexualisierter Gewalt gehe es aber weder um Ehebruch im engeren Sinn noch nur um sexuelle Handlungen. Missbrauch sei nicht strafwürdig, weil ein Täter sich zu befriedigen suche, sondern weil er die Selbstbestimmung einer anderen Person verletze.

Unbegreiflich bleibe, warum die Straftat nur gegen die Würde eines Menschen verstoße, wenn sie an Minderjährigen oder an Personen mit eingeschränktem Vernunftgebrauch begangen werde. Bier fragt: "Ist die Vergewaltigung einer volljährigen Ordensfrau durch einen Kleriker nur wegen der Verletzung der Zölibatspflicht strafrechtlich relevant, nicht aber als Verbrechen gegen die Würde und die sexuelle Selbstbestimmung der Ordensfrau?"

"Mangelnde Sensibilität"

Der Kirchenjurist bescheinigt den Autoren der Neufassung "mangelnde Sensibilität". Im Strafrecht komme es auf präzise Begriffe an und nicht darauf, "wie unbestimmte Formulierungen bei gutwilliger Auslegung zu verstehen sind". Die Katholiken müssten "ohne Interpretationsakrobatik erkennen können, was gilt", so Bier.

Anfang Juni war die Reform vorgestellt worden. Papst Franziskus hatte damals in seiner Konstitution "Pascite gregem dei" (Weidet Gottes Herde) erklärt, kirchliche Strafdisziplin sei untrennbar mit der Seelsorge verbunden. Unverständnis für den Zusammenhang zwischen Liebe und Strafdisziplin habe "in der Vergangenheit viel Schaden verursacht", so der Papst.

Mit der Einordnung von sexuellem Missbrauch als "Straftat gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen", ähnlich wie Mord oder Vergewaltigung, will der Gesetzgeber die Schwere des Vergehens angemessener benennen. (KNA)