Christliche Nächstenliebe ist unvereinbar mit nationalem Egoismus
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Schon als Kind habe ich begriffen, dass christlicher Glaube nicht an den Grenzen eines Landes und auch nicht an der Kirchentüre endet. Wenn wir als Sternsinger:innen rund um den 6. Januar mit unseren Kronen, mit Weihrauch, Kreide und Sammelbüchsen ausgerüstet durch die Straßen zogen, dann war es, als würde sich unsere kleine Welt wenigstens für einen Tag weiten. Wir machten etwas, was anderen Kindern in fernen Ländern helfen sollte, ein besseres Leben zu führen. Irgendwie ahnte ich als Kind schon, dass wir auf dieser Welt zusammengehören, egal, wo wir zufällig geboren sind.
Die weltweit größte Solidaritätsaktion von Kindern für Kinder bringt nicht nur Geld ein, mit dem Hilfsprojekte gestartet werden können, sondern sie prägt seit Generationen das Bewusstsein vieler junger Menschen, die sich daran beteiligen. Im besten Fall bleibt ihnen neben Süßigkeiten die Erkenntnis: Christliche Nächstenliebe ist unvereinbar mit nationalem Egoismus. Sie verlangt Solidarität über die Grenzen von Ländern und Religionen hinweg.
In diesem Jahr steht die Sternsingeraktion unter dem Motto "Gesund werden – gesund bleiben. Ein Kinderrecht weltweit". Mit dem gesammelten Geld soll vor allem in afrikanischen Ländern das Recht auf Gesundheitsversorgung für Kinder durch gezielte Projekte verwirklicht werden. Dass die Herkunft immer noch wesentlich darüber entscheidet, ob Kinder Zugang zu medizinischer Versorgung haben oder nicht, ist ein Skandal. Dass in Wohlstandsländern Menschen beim Gedanken an die schützende Corona-Impfungen "Diktatur" schreien, während anderen, die tatsächlich in diktatorischen Systemen leben, Impfungen versagt bleiben, macht mich wütend. Es zeigt mir, dass der Stern noch längst nicht über allen Häusern aufgegangen ist.
Gleichzeitig ist die Sternsingeraktion für mich aber auch eine Selbstvergewisserung für die Kirche, die die jungen Leute aussendet. Der Horizont der Kirche ist die gesamte Gesellschaft, ist die Menschheitsfamilie. Damit unvereinbar wäre eine Kirche, die sich als "heiliger Rest" versteht und sich mit der Verwaltung ihres eigenen Schrumpfens begnügt.
Der Autor
Burkhard Hose ist Hochschulpfarrer in Würzburg.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.