Welche Rolle spielte Papst Pius XII. im Kalten Krieg?
Zu Pius XII. ist schon unendlich viel geschrieben worden. In erster Linie geht es um seine Haltung zum Nationalsozialismus und sein Schweigen zum Massenmord an den Juden. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endet auch schlagartig das Historiker-Interesse an dem Papst, dessen Pontifikat bis 1958 andauerte. Welche Rolle der Pius-Papst bei der Neuordnung der Welt nach dem Krieg spielte, ist bislang noch nicht erforscht worden.
Eine neue Forschungsgruppe der Deutschen Historischen Institute in Rom und Warschau beabsichtigt nun mithilfe von neuem Archivmaterial, die Rolle des Vatikan im frühen Kalten Krieg und der beginnenden Globalisierung zu erforschen. Seit Frühjahr 2020 stehen nämlich das Vatikanische Apostolische Archiv (früher Geheimarchiv) und verschiedene andere kuriale Archive für die Zeit des Pius-Pontifikats offen.
Zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden sich nach Angaben der Max-Weber-Stiftung von Januar an an verschiedenen internationalen Standorten der Frage widmen, wie sich der Vatikan zu den Schlüsselthemen des 20. Jahrhunderts wie Dekolonisierung, Demokratisierung und Erinnerung an den Holocaust und Zweiten Weltkrieg verhielt. Das Forschungsprojekt trägt den Titel "The Global Papacy of Pius XII: Catholicism in a Divided World, 1945-1958" und ist auf fünf Jahre ausgelegt.
Förderung aus Deutschland
Die Finanzierung übernimmt die Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Sie fördert die Forschung mit Schwerpunkten auf den Gebieten der Geschichts-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in ausgewählten Ländern. Dafür unterhält sie weltweit elf Institute sowie weitere Forschungsgruppen und Büros.
Die Koordination des Forschungsprojektes liegt bei Simon Unger-Alvi, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am DHI in Rom tätig ist. Er sagt, es wäre in der Forschung und auch in der Öffentlichkeit noch gar nicht angekommen, an wievielen Debatten die Kirche in der Nachkriegszeit mitgewirkt habe, ob es nun um die Dekolonisierung oder die Westintegration gegangen sei.
Er nennt als Beispiel aus seiner eigenen Forschung die Stalin-Note vom März 1952, mit der der russische Diktator Josef Stalin den Westmächten Verhandlungen über die Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands anbot. Als Kanzler Konrad Adenauer davon erfuhr, setzte er sich direkt mit dem Papstbotschafter und Apostolischen Nuntius Aloysius Muench in Verbindung, der seinerseits dann umgehend Rom informierte. Adenauer ließ wissen, es drohe ein kommunistisches wiedervereinigtes Deutschland und damit die Vernichtung der katholischen Kirche.
Beharren und Reform
Es sei die Gleichzeitigkeit von Beharren und Reform, die sich als Leitmotiv durch die Politik des Vatikan in der Nachkriegszeit zieht, so Unger-Alvi. Viele Entwicklungen begannen bereits im Pius-Pontifikat, die erst später nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) zum Tragen kamen.
Pius XII. hielt die Zügel der vatikanischen Politik fest in seiner Hand. Nach dem Tod von Kardinal Luigi Magione im August 1944 hat er sogar dessen Aufgabe als Kardinalstaatssekretär mitübernommen. Ein Kardinalstaatssekretär ist für die diplomatischen und politischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls zuständig. Erst 1952 ernannte er zwei Pro-Staatssekretäre – Domenico Tardini (bis 1958) und Giovanni Battista Montini (später Papst Paul VI.) – für die Zeit bis 1954.
Es sind die ganz großen Fragen, die das Forschungsteam beantworten will. Was war die vatikanische Haltung zu Demokratie, den Menschenrechten, totalitären und autoritären Regimen? Wie gingen Pius XII. und die Kurie mit dem Erbe des Faschismus, der Kollaboration und des Holocausts innerhalb der Kirche nach 1945 um? In welcher Weise nahm der Vatikan Einfluss auf den Kalten Krieg? Wie reagierte der Vatikan auf die Gründung Israels oder die Dekolonisation in Afrika oder Asien? In fünf Jahren spätestens weiß man mehr dazu, wenn das Forschungsprojekt endet.