Historiker über Darstellungen des Diktators in Gotteshäusern

Kontroverse Kunst: Warum man in manchen Kirchen Hitler-Bilder findet

Veröffentlicht am 13.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

St. Ingbert ‐ Im ersten Augenblick klingt es wie ein schlechter Scherz – tatsächlich aber finden sich in mehreren Kirchen in Deutschland religiös konnotierte Bilder von Adolf Hitler. Der Historiker Michael Kuderna hat diese Darstellungen des Diktators untersucht und ein neues Buch dazu veröffentlicht.

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Adolf Hitler und das Christentum passen mindestens aus heutiger Sicht überhaupt nicht zusammen. Und doch findet man in manchen Kirchen in Deutschland noch heute Darstellungen des Diktators. Was ist die Geschichte hinter diesen Bildern? In was für Kirchen findet man sie? Und wie problematisch sind die teilweise noch aus der Zeit vor 1945 stammenden Objekte? Für ein neues Sachbuch hat sich der Historiker und Journalist Michael Kuderna diesen Fragen gewidmet. Im Interview mit katholisch.de erläutert er die Hintergründe.

Frage: Herr Kuderna, ursprünglich wollten Sie lediglich ein Buch über die architektonisch interessante und unter anderem von Le Corbusier beeinflusste Kirche Ste-Thérèse im lothringischen Vasperviller schreiben. Wie kam es dazu, dass daraus nun auch ein Buch über Hitler-Darstellungen in Kirchen geworden ist?

Kuderna: Das liegt daran, dass es in Ste-Thérèse einige sehr interessante Kirchenfenster gibt. Und auf einem dieser Fenster ist eben auch Hitler dargestellt. Als ich das bei einem frühen Besuch in der Kirche zum ersten Mal gesehen habe, habe ich zunächst gestutzt – und mir dann sehr schnell die Frage gestellt, ob es auch in anderen Kirchen entsprechende Darstellungen gibt und wie sie einzuordnen sind. Und in der Tat: Bei meiner Recherche habe ich 15 Kirchen gefunden, in denen Hitler bildlich verewigt wurde.

Frage: Was sind das für Bilder? Wie wird Hitler da dargestellt?

Kuderna: Das ist ganz unterschiedlich und hängt vor allem davon ab, wann das Bild entstanden ist. Bei den zehn von mir untersuchten Bildern aus der Zeit nach 1945 wird Hitler, wenig überraschend, durchweg negativ dargestellt – etwa als Folterknecht oder Insasse der Hölle. Viel interessanter sind aber natürlich die fünf Bilder, die während der NS-Zeit entstanden sind. Hier gibt oder gab es regimetreue Bilder – etwa Hitler und Hindenburg gemeinsam unter dem Hakenkreuz –, rätselhafte Darstellungen, bei denen Hitler neben Jesus steht und man nicht genau weiß, was der Künstler damit ausdrücken möchte, und sogar zwei Bilder, bei denen Hitler dezidiert negativ dargestellt wird.

Frage: Wie sehen diese negativen Darstellungen aus?

Kuderna: Das eine ist das Altarbild in der katholischen Ludwigskirche in Bad Dürkheim, auf dem der gemeinsam mit Jesus gekreuzigte Schächer große Ähnlichkeit mit Hitler aufweist. Wobei eine letzte Unsicherheit bleibt, denn es gibt aus der NS-Zeit natürlich keine schriftlichen Zeugnisse darüber, dass der Künstler Paul Thalheimer hier wirklich Hitler ans Kreuz gemalt hat. Ein entsprechendes Bekenntnis wäre schließlich lebensgefährlich gewesen. Im Rahmen meiner Recherchen habe ich aber herausgefunden, dass Thalheimer dem NS-Regime sehr kritisch gegenüberstand und seine Bilder auch in der berüchtigten Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt wurden. Insofern spricht vieles dafür, dass auf dem Bild tatsächlich der Diktator zu sehen ist. Zumal auch der damalige Bad Dürkheimer Pfarrer, der in die Auswahl des Motivs sicher involviert war, nach meinen Recherchen mit dem Regime auf Kriegsfuß stand.

Bild: ©Emanuel Kuderna

In einem Altarbild in der katholischen Ludwigskirche in Bad Dürkheim weist der mit Jesus gekreuzigte Schächer große Ähnlichkeit mit Hitler auf.

Frage: Und das zweite Bild?

Kuderna: Das befindet sich in der katholischen Stadtkirche St. Peter und Paul in Weil der Stadt und ist noch wesentlich eindeutiger. Hier hat der Künstler Josef Karl Huber 1939 ein kleines Glasfenster gemalt, in dem der Teufel die Gesichtszüge Hitlers trägt und dessen Körperhaltung und Kleidung Hinweise auf nationalsozialistische Symbole enthalten. Diese Darstellung ist – wie man heute weiß – auch einigen Zeitgenossen Hubers aufgefallen. Ob er deshalb als Strafe 1941 als Soldat an die Ostfront geschickt wurde oder man ihn durch den Fronteinsatz im Gegenteil vor einer Bestrafung in der Heimat bewahren wollte, ist nicht bekannt. Interessant ist noch, dass Huber später in britische Gefangenschaft geriet und dort von einem englischen Offizier auf das Bildmotiv angesprochen wurde. Seine Darstellung Hitlers als Teufel muss also zumindest unter der Hand weite Kreise gezogen haben.

Frage: Beide Kirchen liegen geografisch im Südwesten Deutschlands. Gilt das auch für die anderen 13 Kirchen mit Hitler-Bildern?

Kuderna: Nein. Und trotzdem gibt es eine geografische Auffälligkeit: Die Kirchen mit Hitler-Bildern, die ich gefunden habe, liegen alle in einem Korridor, der sich vom Rheinland über den Südwesten bis nach Bayern und Österreich erstreckt. Ich erkläre mir das damit, dass die Tradition der Kirchenmalerei und der opulenteren künstlerischen Ausstattung von Gotteshäusern in diesen Regionen eine wichtigere Rolle gespielt hat als im Norden oder Osten Deutschlands.

Frage: Gibt es mit Blick auf die Hitler-Darstellungen einen Unterschied zwischen katholischen und evangelischen Kirchen?

Kuderna: Ja. Die problematischen Hitler-Bilder aus der Zeit vor 1945, die ich gefunden habe, stammen alle aus evangelischen Kirchen – etwa die schon erwähnte Darstellung von Hitler und Hindenburg unter dem Hakenkreuz. Das hängt vermutlich vor allem mit der Bewegung der "Deutschen Christen" zusammen, die den protestantischen Glauben zwischen 1933 und 1945 mit Teilen der NS-Ideologie verbinden wollte. Wichtig zu wissen ist aber: Die Darstellung von Hitler und Hindenburg unter dem Hakenkreuz ist nach Kriegsende natürlich aus der Martin-Luther-Kirche in Laudenbach an der Bergstraße entfernt worden; heute findet man dort nur noch wenige Überreste.

„Es gibt immer wieder Menschen, die direkt einen Skandal daraus machen, wenn sie Hitler in einer Kirche entdecken – selbst dann, wenn er negativ dargestellt wird.“

—  Zitat: Michael Kuderna

Frage: Wie gehen die betroffenen Kirchen heute mit dem Erbe der Hitler-Bilder um? Insbesondere auch mit den problematischen Bildern?

Kuderna: Eigentlich kommen sie ganz gut damit zurecht. Die meisten Kirchengemeinden bemühen sich, sich mit den Motiven ernsthaft auseinanderzusetzen. Es gibt jedoch drei Probleme, auf die sie stoßen können. Da ist zum einen der Denkmalschutz, der allzu große bauliche oder gestalterische Veränderungen meist nicht zulässt. Das andere sind die Betrachter: Es gibt immer wieder Menschen, die direkt einen Skandal daraus machen, wenn sie Hitler in einer Kirche entdecken – selbst dann, wenn er negativ dargestellt wird. In einem Fall hat ein Mann nach einer Kirchenführung am Niederrhein sofort die "Bild"-Zeitung angerufen, die das dann entsprechend skandalisiert hat. Und das dritte, glücklicherweise jedoch sehr kleine Problem sind Neonazis, die sich freuen, wenn sie Hitler in einer Kirche entdecken. Das ist natürlich sehr unappetitlich.

Frage: Sie haben es angedeutet: Hitlers bildliche Anwesenheit in einer Kirche kann verstörend wirken und negativ aufgefasst werden. Sollten die 15 von Ihnen untersuchten Darstellungen trotzdem sichtbar bleiben?

Kuderna: Ich finde schon – insbesondere natürlich die Bilder, die nach 1945 entstanden sind und Hitler negativ darstellen. Mit diesen Motiven sollten die betroffenen Kirchen offensiv umgehen und gut erklären, was es damit auf sich hat und wie die Darstellung des Diktators konkret einzuordnen ist. Im Übrigen: Im Mittelalter war es normal, Zeitgenossen wie die Stifter oder die am Bau beteiligten Künstler in der Kirche bildlich oder figürlich darzustellen; auch Bösewichte kamen vor. Insofern sind die Hitler-Darstellungen gar nicht so ungewöhnlich. Wir sind heute nur nicht mehr daran gewöhnt, weil ehrende oder anklagende Darstellungen von Personen der Zeitgeschichte in Kirchen inzwischen völlig aus der Mode gekommen sind.

Frage: Weil Sie jetzt vor allem die Bilder aus der Zeit nach 1945 erwähnt haben. Was ist mit den problematischen Darstellungen aus der NS-Zeit? Sollten die auch sichtbar bleiben?

Kuderna: Solche Darstellungen gibt es heute ja kaum noch. Aber wenn doch, sollte man noch vorhandene Spuren dieser Zeit erklären, jedoch nicht unsichtbar machen. Das löst schließlich keine Probleme.

Frage: Ich habe es eingangs erwähnt: Eigentlich wollten Sie vor allem ein Buch über die Kirche in Vasperviller schreiben. Ärgert es Sie, dass dieser Teil Ihres Buches – auch jetzt in unserem Gespräch – von Ihren Recherchen zu den Hitler-Bildern überschattet wird?

Kuderna: Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja auch Journalist und weiß, wie das Geschäft läuft. Ich habe mich im Gegenteil bewusst dafür entschieden, die erwartete mediale Öffentlichkeit in Sachen Hitler-Bilder zu nutzen, um den anderen Aspekt meines Buchs – die hochinteressante Geschichte und Architektur der Kirche in Vasperviller – bekannter zu machen. (lacht)

Von Steffen Zimmermann

Zur Person

Michael Kuderna hat Politik, Germanistik und Geschichte studiert und an der Ludwig-Maximilians-Universität in München über christliche Gruppen im Libanon promoviert. Von 1983 bis 2018 arbeitete er beim Saarländischen Rundfunk, zuletzt als Leiter des Newsrooms. Parallel war er von 1991 bis 2017 Vorsitzender der Landespressekonferenz Saar.

Buchtipp

Michael Kuderna: Grenzüberschreitungen. Ein deutsch-französischer Architekt, sein Meisterwerk und Hitler-Bilder in Kirchen. Geistkirch Verlag, Saarbrücken 2021, 440 Seiten, 29,80 Euro. ISBN: 978-3-946036-31-9.