Nach Berichterstattung über Missbrauchsfall H.

Autor Seewald verteidigt Benedikt XVI. gegen Vorwürfe

Veröffentlicht am 11.01.2022 um 13:02 Uhr – Lesedauer: 

Passau ‐ In der vergangenen Woche hatte die "Zeit" über Vorwürfe gegen den früheren Papst Benedikt XVI. im Umgang mit einem Missbrauchsfall Anfang der 1980er-Jahre berichtet. Jetzt springt dem 94-Jährigen dessen Biograf Peter Seewald zur Seite.

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Der Autor Peter Seewald hat den emeritierten Papst Benedikt XVI. gegen die jüngst in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichten Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall des Essener Priesters H. verteidigt. "Ratzinger hat als Bischof von München weder von der Vorgeschichte dieses Priesters gewusst, noch war er je daran beteiligt, dass der Mann wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde", sagte Seewald, der 2020 eine umfangreiche Biografie über Benedikt XVI. veröffentlicht hatte, am Dienstag in einem Interview der "Passauer Neuen Presse".

Für seine vor zwei Jahren veröffentlichte Biografie über den emeritierten Papst habe er im März 2014 auch den ehemaligen Münchner Generalvikar Gerhard Gruber interviewt, so Seewald weiter. Dabei habe dieser bestätigt, dass er im Januar 1980 die Anweisung gegeben habe, H. auf Bitte des Bistums Essen für eine begrenzte Zeit zu Therapiezwecken im Erzbistum München und Freising aufzunehmen. "Die genauen Hintergründe für die Therapie wurden aus Essen nicht mitgeteilt. Die beschlussfassende Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 hat Ratzinger als Bischof weder geleitet, noch hat er überhaupt an ihr teilgenommen", sagte Seewald.

"Zeit" hatte Dekret aus dem Jahr 2016 veröffentlicht

In der vergangenen Woche hatte die "Zeit" über ein Dekret eines Münchner Kirchengerichts aus dem Jahr 2016 berichtet, durch das insbesondere Joseph Ratzinger, der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war, belastet werde. Im Zentrum der Vorwürfe steht der Umgang mit dem Essener Priester H., der nach sexuellen Vergehen an Minderjährigen 1980 nach München geschickt wurde. Ratzinger habe damals von der Sachlage gewusst und der Aufnahme des Geistlichen in seinem Erzbistum zugestimmt. Mehrere Bischöfe, darunter auch Ratzinger, hätten "bewusst auf eine Sanktionierung der Straftat verzichtet". Benedikts Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, wies diese Behauptungen im Namen des emeritierten Papstes als falsch zurück. Dieser habe zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters keine Kenntnis von den Vorwürfen sexueller Übergriffe gehabt. Der emeritierte Papst habe auch nicht bewusst auf die Sanktionierung von H. verzichtet.

Seewald erklärte, Ratzinger sei zur fraglichen Zeit "längst Präfekt in Rom" gewesen. Zudem habe er den Missbrauch in der Kirche nicht verschwiegen. "Unvergesslich sein erschütternder Klageruf als Kardinal beim Kreuzweg im Jahr 2005: 'Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche, und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten?'", so Seewald. Im Fall H. habe es entgegen der Berichterstattung der "Zeit" in München keine Veranlassung gegeben, eine Untersuchung oder ein Strafverfahren einzuleiten, "denn zuständig bleibt weiterhin H.s Heimatbistum Essen".

Seewald äußert scharfe Kritik an der "Zeit"

Der Autor äußerte zudem scharfe Kritik an der "Zeit". Ihn habe "die reißerische Aufmachung der Geschichte und die offen manipulative Darstellungsweise" der jüngsten Berichterstattung überrascht. Und weiter: "Ich kenne bei der 'Zeit' großartige Kollegen, die ihren Beruf ernst nehmen. Das heißt auch: ihre Verpflichtung zur Wahrheit. In diesem Fall gaben die Autoren klar zu erkennen, dass sie bereit sind, für den 'guten Kampf', den sie führen, die Dinge auch mal zurechtzubiegen. Es geht um die Deutungshoheit über das Vermächtnis des deutschen Papstes." Mancher hoffe wohl, die neuen Attacken würden dem bald 95-jährigen den letzten Stoß geben. "Das Kalkül ist: egal, ob die Vorwürfe stimmen oder nicht – irgendwas wird schon hängenbleiben", sagte Seewald.

Skeptisch äußerte sich der Autor auch mit Blick auf die Aussagen der von der "Zeit" interviewten Kirchenrechtler Norbert Lüdecke und Bernhard Anuth. "Es gehört zu den leichtesten Übungen von Journalisten, sofort irgendwelche Experten zur Hand zu haben, die das erwünschte Statement liefern", sagte Seewald. In kirchenpolitischen Fragen sei das zumeist der "unvermeidliche Professor" Thomas Schüller aus Münster. Dieser habe die Nachfolge von Hans Küng angetreten. Anuth hatte in dem Interview das Verhalten Ratzingers im Fall H. mit den Worten "So handelt kein guter Hirte" kritisiert. (stz)