Christian Hartl soll das geistliche Leben im Bistum Augsburg vernetzen

Bischöflicher Beauftragter: "Spiritualität ist kein Selbstzweck"

Veröffentlicht am 20.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Augsburg ‐ Zuvor war er Hauptgeschäftsführer bei Renovabis, nun ist Christian Hartl Bischöflicher Beauftragter für geistliches Leben im Bistum Augsburg. Im katholisch.de-Interview spricht Hartl darüber, worum es bei seiner neuen Aufgabe geht – und erläutert, was christliche Spiritualität ausmacht.

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Im vergangenen Herbst kehrte der ehemalige Renovabis-Hauptgeschäftsführer Christian Hartl, Priester der Diözese Augsburg, für eine neue Aufgabe in sein Heimatbistum zurück: Bischof Bertram Meier ernannte ihn zum Geistlichen Direktor des Exerzitienhauses Leitershofen – und zum Bischöflichen Beauftragter für geistliches Leben in der Diözese Augsburg. Ein solches Amt gab es im Bistum bisher nicht. Mit katholisch.de sprach Hartl über seine Pläne, seine eigene spirituelle Prägung – und über seine Sicht auf das Augsburger Gebetshaus.

Frage: Herr Hartl, Sie sind seit Oktober Bischöflicher Beauftragter für geistliches Leben im Bistum Augsburg. Wie sieht Ihr Jobprofil aus?

Hartl: Ich finde es sehr schön, wie Bischof Meier die Einrichtung dieser neuen Aufgabe begründet hat. Er sagt: In der Kirche wird so viel über Strukturprobleme, über finanzielle Herausforderungen, über rechtliche Rahmenbedingungen diskutiert – aber das, was Kirche eigentlich ausmacht, ist die Spiritualität. Und es ist auch das, was Menschen heute in der Kirche suchen, vielleicht auch jene, die der Kirche schon mehr oder weniger den Rücken gekehrt haben. Von daher geht es zunächst einmal darum, zu schauen, wie Spiritualität als Querschnittsthema bei uns in der Diözese präsent ist. Insofern beginne ich meine neue Aufgabe damit, dass ich sehr viele Gespräche führe. Es ist ja nicht so, dass Spiritualität im Bistum am Anfang stünde. Es gibt Gott sei Dank sehr viel geistliches Leben. Die Frage lautet: Wie kann man all die geistlichen Orte und Akteure gut vernetzen und den spirituellen Reichtum ins Licht heben?

Frage: Wen haben Sie dabei besonders im Blick?

Hartl: Ich sehe drei Ebenen, die im Blick zu behalten sind: Zuallererst geht es immer um die Menschen in den Gemeinden und vor Ort. Deshalb möchte ich auch viel mit Pfarrgemeinden und mit allen möglichen Menschen im Austausch sein. Die zweite Ebene, die dieser ersten dienen soll, sind die Multiplikatoren, sprich Priester und hauptamtliche Laien im pastoralen Dienst. Da stellt sich die Frage, was man mit ihnen und für sie tun kann, damit sie selbst als geistliche Menschen leben können. Denn ich kann als kirchlicher Mitarbeiter geistliches Leben ja nur dann fördern und voranbringen, wenn ich selbst aus einer geistlichen Tiefe heraus lebe. Die dritte Eben ist die diözesane Leitungsebene. Mein Eindruck ist manchmal, wir haben nicht zu wenig, sondern wir haben so viel an geistlichen Angeboten, dass uns und den Menschen vor Ort der Überblick verloren geht.

Frage: Was wäre dann der nächste Schritt nach dieser "Inventur"?

Hartl: Ich möchte mir erstmal Zeit lassen. Das ist ja gerade für geistliche Themen sehr wichtig, dass etwas wachsen kann und man nicht gleich mit einem Konzept anfängt. Es wird aber auf jeden Fall wichtig sein, ein solches Netzwerk zu verdichten und es für Menschen, die spirituell auf der Suche sind, übersichtlicher zu machen. Dann habe ich aber auch ein großes Projekt im Auge: Unser Bischof hat ein Ulrichsjubiläum ausgerufen für die Jahre 2023 und 2024. Das solle, so sein Wunsch, für das Bistum zu einem geistlichen Aufbruch beitragen. Das ist ein Kairos, den wir nutzen wollen.

Pfarrer Christian Hartl wurde am 2. Dezember 2016 als Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Hilfswerks Renovabis eingeführt.
Bild: ©Renovabis (Archivbild)

Pfarrer Christian Hartl ist seit 1. Oktober 2021 Bischöflicher Beauftragter für geistliches Leben in der Diözese Augsburg und Geistlicher Direktor des Exerzitienhauses Leitershofen. Davor war er fünf Jahre Hauptgeschäftsführer des kirchlichen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis.

Frage: Was ist denn Ihr Rüstzeug, das Sie für Ihre Aufgabe mitbringen? Wofür stehen Sie persönlich ein?

Hartl: Ich konnte mich sowohl als Gemeindeseelsorger als auch als Priesterausbilder sehr viel mit geistlichen Themen beschäftigen. Ich bin sehr stark ignatianisch geprägt, aber auch sehr verbunden mit der Gemeinschaft Sant'Egidio, die Gebet und sozialen Dienst miteinander verbindet. Deshalb sind mir drei Punkte besonders wichtig für unser Bemühen im Bistum. Erstens: Wir stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Das nehme ich manchmal so wahr, dass es spirituelle Bewegungen, Gruppen oder Orte gibt, die das Eigene für so bedeutsam halten, dass sie meinen, alles andere wäre nachgeordnet. Da würde ich mir manchmal wünschen, dass wir wertschätzender miteinander umgehen. Der Geist weht, wo er will, und er wirkt vielfältig. Zweitens: Spiritualität ist kein Selbstzweck, sondern wir haben als Kirche einen Auftrag für die Welt. Das ist ein Spezifikum christlicher Spiritualität: Wir haben gerade Weihnachten gefeiert, das Fest der Menschwerdung. Darum muss es uns allen gemeinsam gehen: dass unsere Welt menschlicher wird. Und ein Drittes: Es geht immer auch um Heil-Werden, um seelische Gesundung. Angesichts von Diskussionen über geistlichen Missbrauch ist das ein wichtiger Aspekt. Da ist heute eine ganz hohe Sensibilität gefragt. Wir wissen, überall dort, wo der Weg nicht in die Freiheit führt, sondern in die Enge oder gar in die Angst, da ist Gefahr im Verzug.

Frage: Das Thema Spiritualität ist nahezu eine gesellschaftliche Mode. Wie kann Spiritualität im 21. Jahrhundert aussehen?

Hartl: Das ist eine schwierige Frage. Spiritualität ist ja zu einem Sehnsuchtsbegriff geworden. Man müsste bei denen, die über Spiritualität sprechen, immer erst einmal nachfragen, was sie damit für eine Sehnsucht verbinden. Es gab vor einigen Jahren eine sehr schöne Untersuchung: Da wurden sieben Hauptdimensionen dieser spirituellen Suchbewegung ausgemacht: Die einen sprechen von Spiritualität und wollen eine Reise zu sich selbst unternehmen. Da geht es um Selbstfindung. Andere suchen Festigkeit und Halt, wieder andere suchen die Reise ins Weite, die nächsten die soziale Dimension. Diese Vielfalt gilt es im Blick zu behalten.

Frage: Und konkret die christliche Spiritualität?

Hartl: Zunächst finde ich sehr interessant, vielleicht auch ein bisschen bedauerlich, dass der Begriff Spiritualität dem Christentum "entwendet" worden ist. Ursprünglich hieß "spiritualis" dem Geist gemäß. Paulus hat gesagt, dem Geist gemäß zu leben sei das Kennzeichen aller Christen. Dann wurde das eingeengt auf den Stand der Geistlichen. Und erst im 20. Jahrhundert hat man diesen Begriff wieder neu entdeckt. Ich würde sagen, christliche Spiritualität bezeichnet das, was dem Evangelium Jesu Christi entspricht. Nicht in exklusiver Weise, sondern in einem weiten Sinn. Zu unserem christlichen Glaubensverständnis gehört die Schöpfung, die Erlösung, die Inspiration. Oft aber sage ich ganz schlicht: Christliche Spiritualität ist für mich christlich gelebter Glaube. Der muss in geerdeter, authentischer Weise und sehr konkret gelebt werden – um auch der Meinung derer entgegenzuwirken, die denken, geistliches Leben wäre abgehoben.

„Christliche Spiritualität ist für mich christlich gelebter Glaube. Der muss in geerdeter, authentischer Weise und sehr konkret gelebt werden – um auch der Meinung derer entgegenzuwirken, die denken, geistliches Leben wäre abgehoben.“

—  Zitat: Christian Hartl

Frage: Es gibt in der christlichen Spiritualität neben sehr traditionellen auch sehr progressive Ansätze. Wie kann man diese Vielfalt nutzen?

Hartl: Papst Benedikt XVI. hat einmal gesagt: "Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt." Die Menschen suchen sehr Unterschiedliches, weil sie auch biografisch unterschiedlich geprägt sind. Darum ist es gut, dass es diese Vielfalt in spiritueller Hinsicht gibt. Wir sollten da nicht von vornherein misstrauisch sein. Ich habe am Anfang von der Netzwerk-Arbeit gesprochen: Auch da ist es ganz wesentlich, dass wir viel mehr im Gespräch und im Austausch sind.

Frage: Welche Rolle spielt in dem ganzen Prozess das Exerzitienhaus, das Sie leiten?

Hartl: Das Exerzitienhaus soll der Ort sein, an dem die Menschen eingeladen werden können, die sich an diesem Prozess beteiligen wollen, dass das Bistum eine starke geistliche Ausrichtung erfährt. Aber natürlich wollen wir auch das Profil des Exerzitienhauses mit verschiedenen Sparten stärken. An erster Stelle stehen natürlich Exerzitien und geistliche Begleitung, an zweiter Stelle Persönlichkeitsbildung. Dann wollen wir drittens auch kreativere Angebote in unser Programm aufnehmen. Denn wir müssen vielleicht noch mehr gruppenspezifisch denken. Ein Beispiel: Männer glauben anders als Frauen. Im Hinblick auf eine Männerspiritualität kann dann zum Beispiel das Thema Naturerlebnis oder, christlich gesprochen, Schöpfungswahrnehmung, eine wichtige Rolle spielen. Eine vierte Sparte wird schließlich wird der Bereich Spiritualität und Kunst sein.

Frage: Einen großen Player in Sachen Spiritualität haben sie sozusagen in unmittelbarer Nachbarschaft: das Gebetshaus Augsburg. Ist das für Sie Konkurrenz oder Kooperationspartner?

Hartl: Ich habe schon Kontakt mit Johannes Hartl aufgenommen. Das ist ein interessanter Weg, der da angeboten wird. Ich möchte da gerne im Gespräch bleiben. Aber es ist eben ein Weg neben vielen anderen. Ich denke etwa an eine Bewegung wie Taizé, die über so viele Jahre schon viele junge Menschen fasziniert. Ich denke auch an die Gemeinschaft Sant'Egidio, die aktuell in München still aber mit wachsendem Zuspruch an der Seite der Armen steht. Ich denke auch an viele andere Formate, mit denen es gelingt, Menschen neu anzusprechen, vor allem auch in unseren Pfarrgemeinden – nicht in allen, aber in vielen. Die christliche Botschaft wird auf ganz unterschiedlichen Wegen vermittelt und an vielen, vielen Orten gelebt. Über diesen spirituellen Reichtum dürfen wir uns doch wirklich freuen.

Von Matthias Altmann